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- Atomstrom verstopft das Netz – Schluss damit!
„Netzverstopfer“ wird so etwas wie das Anti-Atom-Wort des Jahres 2018. Bevor .ausgestrahlt aufdeckt, dass der Betrieb von Atomkraftwerken in Norddeutschland dazu führt, dass Windkraftanlagen abgeregelt werden müssen, ist dies kaum jemandem bekannt. Doch die Auswertung von Daten aus verschiedenen Quellen, z.B. der Bundesnetzagentur, belegen diesen Fakt klar. Mit einem gut orchestrierten Paket verschiedener Maßnahmen und Aktionen findet das Thema seinen Weg in die Öffentlichkeit und die Politik.
In einer Expertenanhörung des Umweltausschusses wird das „Netzverstopfer-Problem“ in der Folge ausführlich diskutiert. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung im Rahmen einer Stellungnahme zur anstehenden Atomgesetz-Novelle auf, Lösungen dafür zu entwickeln. Trotzdem verpasst der Bundestag die Chance, in der Gesetzesänderung entsprechende Handlungsmöglichkeiten zu verankern.
Über 13.700 Menschen fordern mit ihrer Unterschrift: „AKW jetzt vom Netz, damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien vorangehen kann!“.
28. Juni 2018: Die Novelle des Atomgesetzes wird ohne inhaltliche Änderungen im Bundestag verabschiedet. Die Umsetzung des Bundesratsbeschlusses und Forderung von Expert*innen, im Rahmen der Gesetzesänderung die Übertragung von Strommengen auf die Atomkraftwerke Brokdorf und Emsland zu verbieten, scheitert am Widerstand der Union.
Analyse im Blog zur Pressemitteilung
13. Juni 2018: Bei der Expertenanhörung im Umweltausschuss des Bundestages zur anstehenden Atomgesetznovelle sind die "Netzverstopfer" in aller Munde. Mit einem Verbot der Übertragung von Reststrommengen hätte die Bundesregierung den passenden Hebel, um die Energiewende zu beschleunigen und Netzengpässe abzubauen. Im aktuellen Gesetzentwurf bewegt sie diesen Hebel jedoch nicht – trotz eines entsprechenden Bundesratsbeschlusses und viel Zustimmung während der Anhörung.
zum taz-Artikel
zum Blog-Beitrag
08. Juni 2018: Der Bundesrat richtet sich im Rahmen der angedachten Novelle des Atomgesetztes mit einer Stellungnahme an die Bundesregierung. In dieser wird auch das Netzverstopfer-Problem thematisiert und die Bundesregierung aufgefordert, tätig zu werden und entsprechend Lösungen zu entwickeln.
23. Mai 2018: Das Bundeskabinett verhandelt über die Atomgesetznovelle, mit der die Regierung das Verfassungsgerichtsurteil zum Atomausstieg von 2016 umsetzt. Vorgesehen sind Entschädigungszahlungen an die AKW-Betreiber im oberen dreistelligen Millionenbereich. Eine zeitgleich veröffentlichte
Umfrage im Auftrag von .ausgestrahlt
zeigt: eine Mehrheit von 59 Prozent der Deutschen ist dafür, die noch laufenden Atomkraftwerke früher abzuschalten als derzeit geplant, selbst wenn dafür Entschädigungen an die Betreiber gezahlt werden müssten. Diese Forderung könnte im Rahmen der Gesetzesnovelle erfüllt werden, indem die Übertragung von Reststrommengen abgeschalteter Reaktoren auf noch laufende AKW verboten würde.
zur Pressemitteilung
zum taz-Artikel
zum Blog-Beitrag
26. Januar 2018: Anlässlich der Sondierungsgespräche der geplanten "GroKo" veröffentlicht .ausgestrahlt gemeinsam mit dem Bundesverband Windenergie, dem Umweltinstitut München und dem BUND einen offenen Brief an die Parteivorsitzenden der beteiligten Parteien SPD und CDU/CSU.
19. Oktober 2017: .ausgestrahlt ist mit der "Netzverstopfer-Kampagne" auf dem niedersächsischen Branchentag Windenergie in Hannover präsent.
30. September 2017: Beim Länderrat der Grünen stimmen die Delegierten der Partei über eine mögliche Teilnahme in der Bundesregierung ab. .ausgestrahlt fordert mit anderen Atomkraftgegner*innen Grüne Spitzenpolitiker*innen dazu auf, sich bei den Koalitionsverhandlungen für einen schnelleren Atomausstieg einzusetzen: Netzverstopfer müssen abgeschaltet werden, jetzt.
- .ausgestrahlt-Dossier: "Netzverstopfer - Atomstrom verstopft das Netz" (Stand: Mai 2018)
Stillstand im Sturm
Weht der Wind, ordnen Netzbetreiber immer häufiger das Abschalten von Windenergieanlagen an; die Kosten tragen die Verbraucher*innen. Eine Kontrolle ist unmöglich: Die Daten dafür haben nur die Netzbetreiber
Der Coup war gut platziert am Neujahrsmorgen. Während draußen die Neujahrsstürme tobten, warnte der Chef des Übertragungsnetzbetreibers Tennet, Lex Hartmann, unter Verweis auf vorläufige Bilanzzahlen seines Unternehmens vor den hohen Kosten, die für Eingriffe zur Stabilisierung des Stromnetzes nötig seien. Fast eine Milliarde Euro habe Tennet 2017 dafür ausgegeben und auf die Netzgebühren aufgeschlagen. Abhilfe, so Hartmann, könne nur ein schnellerer Ausbau der Übertragungsnetze bringen.
Was der Tennet-Chef nicht sagte, ist, wie viele Millionen nur deshalb anfielen, weil unflexible konventionelle Kraftwerke, an erster Stelle AKW, selbst bei starkem Windstromangebot ihre Produktion nicht einstellen, sondern ungerührt weiter Strom ins Netz drücken (siehe Infografik oben). Für diesen ökologischen Unsinn, der allen Zielen der Energiewende widerspricht, zahlen die Verbraucher*innen gleich dreifach drauf. Erstens erhöhen die für den abgeregelten Ökostrom anfallenden Entschädigungen die Netzgebühren. Zweitens steigt aufgrund der Kraftwerksüberkapazitäten der Stromexport in windigen Zeiten stark an; das macht wiederum vermehrt Redispatchmaßnahmen* notwendig, deren Kosten die Netzbetreiber ebenfalls auf die Netzgebühren umlegen. (*Dabei werden, als virtueller Stromleitungsersatz, konventionelle Kraftwerke im Norden herunter- und andere im Süden dafür hochgeregelt, beides gegen Entschädigung.) Drittens sinken aufgrund des Überangebots an Strom die Börsenstrompreise ins Bodenlose, bisweilen gar unter Null; entsprechend steigt die EEG-Umlage, welche die Differenz zwischen Einspeisevergütung und dem für den Ökostrom an der Börse erzielbaren Preis abdecken muss.
Abregelung ohne Kontrolle
Im Jahr 2016 beliefen sich allein die Entschädigungen für abgeregelten Ökostrom – Strom, den die bestehenden Windenergie- und Solaranlagen hätten erzeugen können, aber auf Anweisung des Netzbetreibers nicht erzeugen durften – bundesweit auf 373 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2017 – neuere Zahlen liegen noch nicht vor – fielen bereits 142 Millionen Euro an. Etwa drei Viertel des abgeregelten Stroms betreffen Windenergie-Anlagen, die in Schleswig-Holstein stehen oder dort ans Stromnetz angebunden sind, wie etwa die Offshore-Windparks vor den schleswig-holsteinischen Küsten.
Eine der am stärksten überlasteten Leitungen der Republik ist die Höchstspannungsleitung entlang der Elbe: Windstrom von der Westküste Schleswig-Holsteins und aus den dort angebundenen Offshore-Windparks konkurriert hier mit dem Atomstrom aus dem AKW Brokdorf – das seine Leistung selbst bei kräftigem Wind um maximal ein Drittel drosselt.
Angesichts der erheblichen Kosten ist umso verwunderlicher, dass offenbar niemand kontrolliert, ob die Abregelungen der Ökostromanlagen angemessen sind und den gesetzlichen Vorgaben (Einspeisevorrang für erneuerbare Energien!) entsprechen. Vielmehr ordnen die Netzbetreiber die Abschaltungen der Wind- und Solaranlagen in eigener Regie an; die Kosten schlagen sie auf die Netzgebühren auf. Selbst die Bundesnetzagentur weiß nach eigener Aussage nicht, wie viel Ökostrom zu welchen Zeitpunkt in welcher Region produziert wird bzw. hätte produziert werden können, aufgrund des sogenannten Einspeisemanagements (EinsMan) aber nicht produziert werden durfte. Die entsprechenden Daten liegen nur den jeweiligen Netzbetreibern selbst vor, die sie bisher nicht veröffentlichen. Für Schleswig-Holstein errechnete das dortige Umweltministerium, dass im Jahr 2016 mehr als ein Fünftel der potenziellen Onshore-Windstromerzeugung aufgrund von Abregelungen verloren ging.
Neuregelung im Atomgesetz
Ein Weg, die netzverstopfenden AKW schneller abzuschalten, wäre, sie maximal die Strommenge noch produzieren zu lassen, die ihnen der rot-grüne „Atomkonsens“ von 2001 zugestand. Dafür müsste der Bundestag die Übertragung ungenutzter Reststrommengen bereits abgeschalteter Meiler auf noch laufende Anlagen verbieten – eine Forderung, die, was das AKW Brokdorf angeht, auch die Jamaika-Regierung in Schleswig-Holstein erhebt. Eine Gelegenheit dazu könnte die sowieso anstehende Neuregelung zu den Reststrommengen sein, die das Bundesverfassungsgericht der Regierung bis Mitte 2018 aufgetragen hat. Hintergrund sind eventuelle (niedrige) Entschädigungsansprüche einiger Betreiber aufgrund der 2011 erfolgten AKW-Abschaltungen. .ausgestrahlt fordert, in diesem Zusammenhang auch die durch den Weiterbetrieb der unflexiblen Meiler verursachten Kosten zu berücksichtigen, die bisher auf die Netzgebühren umgelegt werden.
Armin Simon
Ergänzung zum Artikel:
28. Juni 2018: Die Novelle des Atomgesetzes wird ohne inhaltliche Änderungen im Bundestag verabschiedet. Die Umsetzung des Bundesratsbeschlusses und Forderung von Expert*innen, im Rahmen der Gesetzesänderung die Übertragung von Strommengen auf die Atomkraftwerke Brokdorf und Emsland zu verbieten, scheitert am Widerstand der Union.
Atomkraftwerke bremsen die Energiewende aus.
Wenn in Deutschland Windräder stillstehen, liegt das nicht nur an der Wetterlage. Windkraftanlagen werden immer häufiger abgeschaltet – angeblich, weil nicht genügend Leitungen vorhanden sind, um all den Strom zu transportieren.
Die Ursache: Atomenergie verstopft das Stromnetz.
Doch das bestehende Stromnetz reicht locker aus, den in Deutschland benötigten Strom jederzeit zu transportieren. Das Problem ist vielmehr, dass konventionelle Kraftwerke ihre Produktion auch bei immensem Angebot an Wind- und Solarstrom nicht ausreichend drosseln. Insbesondere Atomkraftwerke können ihre Produktion aus technischen Gründen nicht wirklich flexibel an den jeweiligen Bedarf anpassen.
Die Folge: Atomstrom verdrängt die Erneuerbaren Energien.
Statt Atomkraftwerke abzuschalten, müssen deshalb immer öfter Windkraftanlagen ihre Produktion einstellen, obwohl jede Menge Wind weht – energie- und umweltpolitisch völlig absurd. In weiten Teilen Norddeutschland hat die Bundesregierung zuletzt sogar den Ausbau der Windkraft an Land ganz gestoppt. Dagegen sollen alte Atomreaktoren wie die in Brokdorf und Lingen noch bis 2022 weiterlaufen – trotz zunehmenden Sicherheitsrisikos, trotz des Atommüllproblems und trotz der negativen Folgen für den Ausbau erneuerbarer Energien – gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung.
Wie die AKW-Betreiber außerdem mit der Übertragung von Stromproduktionsrechten längst abgeschalteter Meiler die zügige Abschaltung der noch laufenden Reaktoren blockieren, erfährst Du in diesem Blogbeitrag.