KONRAD_GAMEOVER

Am 27. Mai 2021 reichten der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und der Naturschutzbund (NABU) als anerkannte Umweltverbände einen Antrag auf Rücknahme bzw. Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses Schacht Konrad beim niedersächsischen Umweltministerium ein. Getragen wird dieser juristische Schritt vom Bündnis Salzgitter gegen Konrad, in dem die Stadt Salzgitter, die IG Metall Salzgitter-Peine, das Landvolk Braunschweiger Land und die Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten.

Der Antrag ist die notwendige Konsequenz aus den immer eklatanter werdenden Widersprüchen zwischen den heutigen Anforderungen an ein tiefengeologisches Lager für radioaktive Abfälle und dem alten Projekt Konrad. Doch darum alleine geht es nicht.

Bereits zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses entsprach das Projekt nicht dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik. Kein Wunder, schließlich waren für die Genehmigung von Schacht Konrad auch nicht Sicherheitsuntersuchungen, sondern politische Interessen ausschlaggebend. 1999 erklärten sowohl der Landesumweltminister Wolfgang Jüttner (SPD) als auch der Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) in der Öffentlichkeit, dass Schacht Konrad nicht genehmigungsfähig sei. Ungeachtet ihrer fachlichen Kritik an dem Projekt schrieb die rot-grüne Bundesregierung am 14. Juni 2000 im sogenannten „Atomkonsens“ mit der Energiewirtschaft die Genehmigung von Schacht Konrad fest. Deal! Zwei Jahre später setzte Jüttner als niedersächsischer Umweltminister die Vereinbarung um und erteilte am 3. Juni 2002 die Genehmigung für die Einlagerung radioaktiver Abfälle in dem alten Eisenerzbergwerk.

„Ich weiß nicht, ob Schacht KONRAD sicher ist, aber jetzt haben wir es und dann nehmen wir es auch.“
Die damalige Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am 19. Januar 2016 in Salzgitter

Anders als in Erklärungen von Politik und Betreiber zu hören, wurde vor Gericht lediglich ein kleiner Teil, der bereits 2002 bestehenden Kritik an dem Projekt verhandelt. Den klagenden Kommunen sprachen die Richter gleich jegliches Klagerecht ab. Bei der Landwirtsfamilie Traube aus Salzgitter-Bleckenstedt, die stellvertretend für alle anderen vor Gericht zog, war das nicht ganz so einfach. Sie durften als Betroffene zwar klagen, es gebe aber kein Recht auf „Nachweltschutz“, stellten sowohl das Oberverwaltungsgericht als auch das Bundesverfassungsgericht fest. Den Schutz ihrer Nachkommen durften sie nicht einklagen. Der Langzeitsicherheitsnachweis ist somit noch von keinem Gericht geprüft worden.

Musste 2002 noch eine persönliche Betroffenheit nachgewiesen werden, um gegen eine Atomanlage überhaupt klagen zu können, so gibt es heute das Verbandsklagerecht für anerkannte Umweltverbände. BUND und NABU begründen ihren Antrag an das niedersächsische Umweltministerium damit, dass auf Basis des heutigen Erkenntnisstandes davon auszugehen ist, dass der Langzeitsicherheitsnachweis entweder schon von Anfang an nicht vorlag oder aber inzwischen entfallen ist. Dann darf aber ein tiefengeologisches Atommüll-Lager nicht in Betrieb genommen werden.

 

Schacht Konrad - Zeitraubendes Scheitern.png
Quelle: .ausgestrahlt-Magazin 41, Oktober 2018

 

Antrag auf Rücknahme des Planfeststellungsbeschlusses

Schon während des Erörterungstermins 1992/1993 gab es fundamentale Kritik am Langzeitsicherheitsnachweis für ein Atommüll-Lager Schacht Konrad, u.a.:

  • Es fehlt ein wissenschaftsbasiertes Standortauswahlverfahren, wie es damals bereits bei Deponien für Sonderabfälle Praxis war.
  • Die in den Modellrechnungen für die Langzeitsicherheit zugrunde gelegten geologischen Daten haben zufälligen Charakter. Sie entsprechend den Erdöl- und Erdgasbohrungen im Untersuchungsgebiet aus den 1920er Jahren, denen sie entstammen. Sie sind weder räumlich und zeitlich repräsentativ noch enthalten sie qualitativ verlässliche Informationen für den Zweck der sicheren Lagerung von Atommüll.
  • Weder ist der hydrogeologische Antriebsmechanismus für den Schadstofftransport bekannt noch die tiefenabhängige Mineralisation, die für die Grundwasserbewegung wichtig ist.
  • Die mögliche Ausbreitung der Radionuklide über die Schächte und alten Bohrungen ist völlig unzureichend untersucht worden. Es fehlt sowohl der Nachweis für die angenommene Wasserdurchlässigkeit als auch für die Machbarkeit des vorgesehenen Schachtverschlusses.
  • Sämtliche Programme, mit denen die Grundwasserverhältnisse bzw. der Radionuklidtransport modelliert worden sind, sind nicht validiert.
  • Es bleibt unklar, an welchem Ort, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Konzentration Radionuklide in der Biosphäre auftauchen werden.

Der Planfeststellungsbeschluss für Schacht Konrad beruht auf den „Sicherheitskriterien der Reaktorsicherheits-Kommission für die Endlagerung radioaktiver Abfälle in einem Bergwerk vom 20. April 1983“. Zum Zeitpunkt der Genehmigung war jedoch bereits die Kritik der Reaktor-Sicherheitskommission und der Strahlenschutzkommission bekannt, dass diese Kriterien in wesentlichen Teilen nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen.

Auch die Überlegungen des Arbeitskreises Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) des Bundesumweltministeriums zur Entwicklung des Konzepts eines einschlußwirksamen Gebirgsbereichs (ewG) standen zum Zeitpunkt der Genehmigung durch öffentliche Veranstaltungen des AkEnd jedermann zur Verfügung. Offensichtlich wurden diese neueren inhaltlichen Entwicklungen von der Genehmigungsbehörde aber nicht berücksichtigt.

Zusätzlich waren zum Zeitpunkt des Planfeststellungsbeschlusses die gravierenden Probleme, die mit der Nachnutzung eines alten Bergwerks verbunden sind, sowohl an der Asse, als auch am Atommülllager Morsleben unübersehbar geworden.

2020 hat der Betreiber von Schacht Konrad, die Bundesgesellschaft für Endlagerung mit beschränkter Haftung (BGE) die Ergebnisse der Phase 1 ihrer „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen des Endlagers Konrad nach dem Stand von Wissenschaft und Technik (ÜsiKo)“ vorgelegt. Die Gutachter, die sich bemüht haben, bestehende Defizite möglichst klein zu reden, haben immerhin noch 36 sicherheitsrelevante Deltas (Abweichungen) des Projektes Konrad zum Stand von Wissenschaft und Technik identifiziert.

Da diese Deltas zwar aufgezeigt, aber nicht plausibel geschlossen worden und nicht sämtliche sicherheitsrelevanten Unklarheiten gelöst worden sind, muss unterstellt werden, dass diese sicherheitsrelevanten Deltas von Anfang an vorlagen (mit Ausnahme der Dosiskonversionsfaktoren, sich auf Grund neuerer Erkenntnisse erst nach 2002 verändert haben). Damit steht fest, dass wegen eines fehlenden Nachweises der Langzeitsicherheit der Planfeststellungsbeschluss von Anfang an rechtswidrig war und zurückzunehmen ist.

Antrag auf Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses

Nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG darf eine Behörde einen Verwaltungsakt widerrufen, wenn sie auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde.

Seit dem Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hat sich der Stand von Wissenschaft und Technik weiter fortentwickelt. Zusätzlich zu den von Anfang an vorhandenen Defiziten wird der Stand von Wissenschaft und Technik heute verfehlt:

  • Dem Nachweis der Langzeitsicherheit bei Konrad liegt kein planmäßiges Vorgehen im Rahmen eines Sicherheits- und Nachweiskonzept zugrunde. Es fehlt eine nachvollziehbare Szenarienanalyse, der Umgang mit Unsicherheiten und die Bündelung aller Argumente für ein Endlager („Safety Case“).
  • Bei Schacht KONRAD gibt es keinen einschlusswirksamen Gebirgsbereich wie ihn das Standortauswahlgesetz für hochradioaktiven Müll fordert. Stattdessen soll der Atommüll in eine wasserführende Schicht eingelagert und das unverantwortliche Prinzip „Verteilen und Verdünnen“ angewendet werden.
  • Beim heutigen Stand von Wissenschaft und Technik sind räumlich umfassendere und detailliertere Untersuchungen zur Integrität des Gebirges bzw. der Barrieren erforderlich. Dazu wird heute üblicherweise eine umfangreiche 3 D-Seismik im Modellgebiet angewendet, mit der erheblich besser die Struktur (z.B. Störungen) des Untergrundes erhoben werden kann. Der alleinige Hinweis auf die langen Transportzeiten oder eine 2 D-Seismik nur im Bereich des Lagers (wie bei Konrad geschehen) genügen heute nicht mehr, um auf detaillierte Integritätsuntersuchungen zu verzichten.
  • Beim Schacht Konrad ist keine Rückholbarkeit bzw. Bergbarkeit der radioaktiven Abfälle vorgesehen.
  • Beim Schacht Konrad wurde eine Strahlenexposition (effektive Dosis) für einen Säugling von maximal mit 260 µSv/a berechnet. Dies überschreitet den Bewertungsmaßstab für die Langzeitsicherheit aus den aktuellen Sicherheitsanforderungen für hochradioaktiven Atommüll von 100 µSv/a bzw. 10 µSv/a deutlich. Es ist nicht hinnehmbar, das für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung immer noch der Dosisgrenzwert von 1983 von 300 µSv/a gelten soll. Schließlich ist es für den Säugling unerheblich, ob Ausgangspunkt für seine Strahlenbelastung schwach-, mittel oder hochradioaktive Abfälle sind.
  • Die Internationale Strahlenschutzkommission ICRP hat bereits vor 10 Jahren eine Empfehlung für die Berechnung der Strahlenbelastung (Dosiskoeffizienten) durch Radon verabschiedet nach der das Risiko an Lungenkrebs zu erkranken doppelt so hoch als bisher anzusehen ist. Dies muss auch bei Konrad berücksichtigt werden.
  • Die bei Schacht Konrad zugrunde gelegten Radionuklide waren von Anfang an nicht vollständig, weil deren Vorhandensein in den Abfällen zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt war. Auch insoweit verfehlen die frühere Abschätzung und der darauf beruhende Langzeitsicherheitsnachweis den Stand von Wissenschaft und Technik.
  • Inzwischen wurde im Rahmen von Änderungsgenehmigungen das Inventar um insgesamt 91 auch langlebige Radionuklide erweitert. Dies ist ohne jeden Zweifel potenziell sicherheitsrelevant, stellt vor allem den Langzeitsicherheitsnachweis infrage und wirft somit die Genehmigungsfrage neu auf.

Steht - wie hier - fest, dass der Langzeitsicherheitsnachweis gescheitert ist und ist ein solcher auch auf Basis des aktuellen Regelwerks nicht mehr führbar, besteht eine Verpflichtung zum Widerruf aus den bereits vorstehend genannten Gründen, bevor das Atommüll-Lager in Betrieb geht. Es wäre unverantwortlich, auch im Hinblick auf zukünftige Generationen sehenden Auges ein solches Lager zu betreiben, bei dem der Langzeitsicherheitsnachweis als gescheitert angesehen werden muss.

Wie geht es weiter?

Der Niedersächsische Umweltminister hat nun drei Möglichkeiten:

  • Entweder er tut nichts. Dann reichen BUND und NABUnach einer angemessenen Frist Untätigkeitsklage ein.
  • Oder er lehnt den Antrag ab. Dann reichen BUND und NABU Klage gegen die Ablehnung ein.
  • Oder er tut das Richtige und nimmt den Planfeststellungsbeschluss zurück bzw. widerruft ihn. Dann freuen wir uns, dass die Politik auch gute Entscheidungen treffen kann, feiern alle zusammen ein großes Fest und kümmern uns darum, dass es für alle Arten radioaktiver Abfälle ein vergleichendes und wissenschaftsbasiertes Standortauswahlverfahren gibt und die gefährlichen Abfälle so sicher wie möglich gelagert werden.

Nach Gorleben auch Schacht Konrad aufgeben!

Unter dem Slogan „Nach Gorleben auch Schacht Konrad aufgeben!" fordern inzwischen 78 Umweltverbände und Anti-Atom-Initiativen aus ganz Deutschland die sofortige Aufgabe des Projektes Schacht Konrad. Für alle Arten radioaktiver Abfälle muss ein vergleichendes und transparentes Standortauswahlverfahren umgesetzt werden, heißt es in der Resolution, die im Rahmen der Atommüllkonferenz beschlossen wurde.