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Das Märchen von der Transmutation -
Warum der Atommüll bleiben wird
In regelmäßigen Abständen erscheinen Berichte über neue Verfahren und Wunder-Reaktoren, die angeblich Atommüll beseitigen und dessen langfristige Lagerung unnötig machen. Bei genauerer Betrachtung entpuppen sich diese Versprechen als ebenso unrealistisch wie das Versprechen, aus Stroh Gold spinnen zu können.
Das Konzept – fachsprachlich Partitionierung & Transmutation – besteht darin, Atommüll fein säuberlich in verschiedene Bestandteile aufzuteilen (Partitionierung) und die gefährlichen Bestandteile dann in weniger gefährliche umzuwandeln (Transmutation).
Die Idee basiert zwar auf Prozessen, die in der Theorie bereits seit Jahrzehnten bekannt sind. Sie ist jedoch trotz langjähriger Forschung einer Umsetzung nicht näher gekommen. Dies liegt sowohl an technischen Problemen als auch an physikalischen Grenzen.
Bestandteile von Atommüll
Atomkraft basiert auf der Energie, die bei der Spaltung von schweren Atomen wie Uran frei wird. Dabei entsteht Atommüll, der aus verschiedenen Bestandteilen mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht. Zu unterscheiden sind dabei nicht nur die enthaltenen chemischen Elemente, sondern auch ihre einzelnen Isotope. Verschiedene Isotope eines Elements haben zwar die gleichen chemischen Eigenschaften, unterscheiden sich aber in der Anzahl der Neutronen in ihrem Kern und daher in ihren physikalischen Eigenschaften und ihrer Radioaktivät.
Die Bestandteile des Atommülls lassen sich anhand der Entstehung im Reaktor und der Radioaktivität/Halbwertszeit in verschiedene Gruppen einteilen, auch wenn die genaue Zusammensetzung je nach Reaktortyp variiert. Ausschlaggebend für den langfristigen Umgang sind – vor allem aufgrund der langen Halbwertszeiten – die langlebigen Spalt- und Aktivierungsprodukte und die Transurane.
Bei letzteren hat die Strahlung das Uran nicht gespalten, sondern in schwerere Elemente umgewandelt – in Plutonium oder weiter in die sogenannten minoren Aktinoide.
Theoretische Möglichkeiten und Grenzen
In der Transmutations-Forschung sind mittelfristig höchstens Ansätze vorstellbar, welche Transurane in speziellen sogenannten Brutreaktoren spalten. Eine Umwandlung langlebiger Spalt- und Aktivierungsprodukte ist auch perspektivisch nicht möglich.
Bereits in den 1970er Jahren gab es großangelegte Pläne, Plutonium aus dem Atommüll abzutrennen („Wiederaufarbeitung“) und als Brennstoff in sogenannten „schnellen Brütern“ zu verwenden. Die Umsetzung scheiterte an technischen Problemen, Kosten, Umweltauswirkungen und Gefahren. Die Spaltung anderer Transurane würde dagegen die Entwicklung völlig neuer Brutreaktoren erfordern.
Daneben gibt es Ideen, Transurane durch Verfahren mit Teilchenbeschleunigern umzuwandeln („Spallation“). Auch sie bräuchten technische Neuentwicklungen. Außerdem würden solche Verfahren wiederum radioaktive Stoffe erzeugen, zu denen es bislang kaum Erfahrungen gibt.
Eine dritte Idee beruht darauf, radioaktive Isotope durch Bestrahlung in schwerere, ungefährlichere Stoffe umzuwandeln („Neutroneneinfang“). Versuche, die dafür notwendigen Strahlungsquellen zu entwickeln, sind gescheitert. Die Idee wird nicht weiter verfolgt.
Völlig ungelöst ist auch die notwendige Trennung der Bestandteile, die Partitionierung. Aktuell existiert nur ein Verfahren zur Abtrennung von Plutonium. Das sogenannte Purex-Verfahren gehört zu den dreckigsten Prozessen der Atomindustrie. Weiterentwicklungen, die auch andere Bestandteile abtrennen können, sind über Laborversuche nicht hinausgekommen oder existieren nur auf dem Papier.
Hinzu kommt, dass das Purex-Verfahren auf bereits vorhandene große Mengen verglaster Abfälle aus der Wiederaufarbeitung nicht anwendbar ist. Für sie muss in jedem Fall eine Möglichkeit der Langzeit-Lagerung geschaffen werden. Bei allen Verfahren entstehen zudem hochreine atomwaffenfähige Materialien.
Langlebige Spalt- & Aktivierungsprodukte
Eine der physikalischen Grenzen des Konzepts: Die langlebigen Spalt- und Aktivierungsprodukte können mit keinem der diskutierten Verfahren umgewandelt werden. Sie bilden zwar nur einen kleinen Anteil der Masse des Atommülls, sind aber aufgrund ihrer Eigenschaften schwierig zu isolieren und im Fall einer Freisetzung für den Menschen besonders gefährlich.
Sicherheitsanalysen für verschiedene geplante Tiefenlager zeigen, dass vor allem einige dieser Stoffe – wie Iod-129, Kohlenstoff-14 oder Chlor-36 – in Zukunft in die Umwelt gelangen könnten. Sie sind langfristig mobil und Teil biologischer Prozesse. Dadurch lagern sie sich leicht im menschlichen Körper ein – beispielsweise radioaktives Iod-129 in der Schilddrüse.
Eine langfristige Lagerung von Atommüll ist weiterhin notwendig, selbst wenn Transurane einmal behandelt werden könnten. Auch die notwendigen Isolationszeiträume würden durch die Transmutation nicht kürzer. Die Masse an Transuranen ist dagegen kaum relevant, weil die Größe eines Atommüll-Lagers von den anderen Müll-Bestandteilen bestimmt wird.
Dirk Bosbach, Leiter des Bereichs Nuclear Waste Management am Forschungszentrum Jülich (Spektrum.de, 15.7.2020)
Stand der Transmutations-Forschung
Mehr als 50 Jahre Forschung haben die Grenzen des Konzepts immer deutlicher aufgezeigt. Die meisten Länder haben sich von der Idee abgewandt. Nur wenige Institute, vor allem in der EU und Russland, forschen weiter. Deutschland finanziert dies über den EU-Haushalt mit. Der geringe Forschungsumfang zeigt jedoch, wie wenig Hoffnung noch in die Idee gesetzt wird.
Die Versprechen der Transmutations-Befürworter*innen sind vor allem ein Versuch, Atomkraft wieder gesellschaftsfähig zu machen und die Atommüll-Problematik klein zu reden. Offensiv tritt vor allem die AfD mit dem Thema an die Öffentlichkeit. Atomkraftfans suggerieren, solche „Atommüllfresser“ gäbe es tatsächlich. Energiewende-Gegner*innen wollen mit diesen Mythen Atomkraft erneut als Alternative zu erneuerbaren Energien etablieren.
In Deutschland wird oft auf die Papierskizze des „Dual-Fluid-Reaktors“ verwiesen. Dieses Konzept wird von einer kleinen Gruppe von Atomfans aus dem Umfeld der AfD in ihrer Freizeit „entwickelt“. Weder interessieren sich Investor*innen dafür, noch wurde auch nur einer der Bestandteile jemals im Labor getestet. Gleichwohl versprechen die Entwickler das Blaue vom Himmel – ohne auf die vielen ungelösten Schwachpunkte und Grenzen ernsthaft einzugehen.
Auch der russische Reaktor BN-800 dient immer wieder als Beispiel für eine angebliche Umwandlung von Atommüll. Doch auch er wird lediglich mit „gewöhnlichen“ Mischoxid-Brennelementen (MOX) betrieben.
Transmutation - Eine Idee mit vielen Problemen
Auf den ersten Blick scheint es verlockend, Atommüll einfach umwandeln und dadurch das Problem beseitigen zu können. Diese Idee scheitert jedoch an vielen Stellen:
- Aktuell existieren keine Verfahren für die notwendige Auftrennung des Mülls. Selbst optimistische Schätzungen gehen weiter von einer Entwicklungszeit von mehreren Jahrzehnten aus.
- Selbst wenn das Konzept technisch umsetzbar wäre, bräuchte es weiterhin eine langfristige Lagerung des Atommülls. Die besonders gefährlichen langlebigen Spalt- und Aktivierungsprodukte sowie bestimmte Abfallarten lassen sich mit den aktuell diskutierten Konzepten grundsätzlich nicht behandeln. Im Gegenteil: Die Menge an Spaltprodukten würde durch eine Umwandlung noch zunehmen.
- Die Notwendigkeit, den Atommüll über mindestens eine Million Jahre zu isolieren, und die übrigen Anforderungen an eine geologische Lagerung würden nicht verringert, da sie vor allem von den langlebigen Spalt- und Aktivierungsprodukten abhängen.
- Die Menge an schwach- und mittelradioaktivem Müll würde sich vervielfachen.
- Für die Umwandlung bräuchte es einen jahrhundertelangen Reaktorbetrieb mit neu zu entwickelnden und nicht erprobte Reaktormodellen – einschließlich neuer Unfallrisiken.
- In diesem Zeitraum von mehreren hundert Jahren müssten große Mengen hochreine atomwaffenfähige Stoffe gelagert, transportiert und behandelt werden. Niemand kann sicherstellen, dass dabei kein Material entwendet und für Atomwaffen genutzt wird.
Bestmögliche Lagerung statt Träumereien
Das Konzept der Transmutation dient vor allem dazu, den Umgang mit Atommüll als beherrschbar darzustellen. Die zahlreichen Probleme und die grundsätzlichen Grenzen des Verfahrens werden ausgeblendet. Atommüll ist und bleibt aber ein Problem – und der Betrieb von Atomkraftwerken ein Verbrechen an nachfolgenden Generationen.
.ausgestrahlt fordert daher:
- Stopp der Atommüllproduktion – AKW überall abschalten!
- Energiewende statt Atomkraft: Keine Forschung mehr an neuen Reaktorkonzepten und ungeeigneten Entsorgungsszenarien.
- Entwicklung langfristiger Lagerungs-Konzepte für Atommüll gemeinsam mit potenziell Betroffenen. Ziel muss sein: So sicher wie möglich! Das kann nur gemeinsam mit der Bevölkerung an möglichen Standorten gelingen, denn diese tragen das Sicherheitsrisiko und übernehmen am Ende die größte Verantwortung.
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Filmtipp: Terra X - Atomkraft ohne Risiko??
Harald Lesch stellt in diesem Video sehr anschaulich den Flüssigsalzreaktor vor.