Schöne neue Reaktorwelt? Generation IV, SMR & Co.
Zurück auf Los? Neuer Hype um alte Ideen
Sicher, sauber, billig? Das behauptet zumindest die internationale Atomgemeinschaft, wenn sie über die Zukunft der Atomenergie spricht. Eine neue Generation von Reaktoren soll angeblich alle Probleme der Atomkraft lösen: keine Risiken,
kein gefährlicher Atommüll, keine horrenden Kosten – und obendrein soll sie auch noch das Klima retten. Aber was ist dran an diesen Versprechen? Gibt es sie wirklich, die „schöne neue Reaktorwelt“?
Um welche Reaktoren geht es?
13 Staaten – darunter die USA, Frankreich, Russland, China, Großbritannien – und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) arbeiten im „Generation IV International Forum“ an vorgeblich innovativen Reaktorkonzepten wie schnellen Brütern, Hochtemperaturreaktoren und Flüssigsalzreaktoren. Tatsächlich handelt es sich um Ideen und Entwicklungen aus dem letzten Jahrhundert. Aufgrund massiver technischer Mängel konnten sie sich nie durchsetzen. Keines der Modelle bietet echte Lösungen für die Folgen und Risiken, die mit der Nutzung von Atomkraft einhergehen.
Ebenfalls im Gespräch sind kleine modulare Reaktoren („small modular reactors“, SMR) mit bis zu 300 Megawatt elektrischer
Leistung. In Serie produziert sollen sie überall in der Welt aufgestellt werden. Viele Konzepte für SMR basieren auf Generation-IV-Technik. Bei den weiter fortgeschrittenen SMR-Projekten jedoch handelt es sich in der Regel um herkömmliche Druckwasserreaktoren – wie die meisten heutigen AKW. Deren Probleme sind nicht ansatzweise gelöst.
Auch Fusionsreaktoren sind immer wieder Thema. Darin werden Atomkerne nicht gespalten, sondern verschmolzen. Dieser Vorgang setzt große Mengen an Energie frei – so die Theorie. In greifbare Nähe gerückt ist ein Strom produzierendes Fusionskraftwerk aber nie, trotz jahrzehntelanger Forschungsarbeit und Milliardeninvestitionen.
Gefährlich - Sicherheit ist eine Illusion
Bei den „neuen“ Reaktorkonzepten wird suggeriert, die Gefahr katastrophaler Unfälle sei geringer als bei heutigen Reaktoren. Doch da viele Modelle noch in einer frühen Phase der Forschung und Entwicklung sind, sind auch die Sicherheitskonzepte noch unausgereift und nicht einmal überprüfbar. Daher sind solche Sicherheitsversprechen vollkommen unbewiesen. In der Reaktorentwicklung hat sich zudem gezeigt, dass sich viele Schwachstellen und Probleme erst im Betrieb realistisch einschätzen lassen, denn der Teufel steckt oft im Detail. Reaktorsicherheitsexpert*innen erwarten von den „neuen“ Konzepten sicherheitstechnisch keine großen Durchbrüche.
Passive Sicherheit?
Bei Generation-IV-Modellen und SMR sollen vermehrt passive Systeme zum Einsatz kommen. Sie sollen unabhängig von einer Energiezufuhr rein aufgrund von Naturgesetzen funktionieren. Selbst die atomfreundliche Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) sieht jedoch großen Nachholbedarf, was konkrete Sicherheitsnachweise angeht. Expert*innen befürchten
außerdem, dass wegen der von passiven Sicherheitssystemen erwarteten Vorteile sowie aus Kostengründen Abstriche bei wichtigen Sicherheitsprinzipien wie Redundanz (mehrere voneinander unabhängige Systeme) und Diversität (unterschiedliche Systeme mit gleicher Funktion) gemacht werden könnten, die bei heutigen Reaktoren Standard sind.
Angreifbar - Reaktoren in aller Welt
Bei jedem Reaktor besteht die Gefahr, dass atomwaffenfähige Spaltstoffe oder entsprechendes Know-how weitergegeben
wird („Proliferation“). Vollständig proliferationssichere Reaktoren gibt es nicht. Wie groß das Risiko ist, hängt vom Konzept, von Details des Reaktordesigns und vom Brennstoff ab. Für Reaktoren, die auf einem anderen Prinzip basieren als heutige Modelle, müssten ganz neue „Safeguards“ – also Maßnahmen zur Überwachung des atomaren Brennstoffs – entwickelt werden.
Außerdem entstehen bei SMR neue Risiken durch eine Vervielfachung der Anlagenzahl, denn bei weit verteilten AKW
wird die lückenlose Kontrolle von spaltbarem Material zu einer besonderen Herausforderung. Bei einigen Generation-IV-Reaktoren fallen waffenfähiges Plutonium oder ähnlich brisante Stoffe beim Betrieb sogar in Reinform an.
„Super-Brennstoffe“?
Manche Brennstoffe, insbesondere Tritium und Thorium, werden als besonders „sicher“ angepriesen. Doch Tritium, das in
Fusionsreaktoren zum Einsatz kommen soll, ist auch „Booster“ für Atomwaffen. Aus Thorium, für schnelle Reaktoren gehandelt, kann Uran-233 erbrütet werden, das sich zum Bau von Atomwaffen eignet. Aus einem Thorium-Reaktor ausreichend Material für den Bombenbau abzuzweigen, ist deshalb relativ einfach.
Schmutzig - Keine Lösung der Atommüllfrage
Die genaue Zusammensetzung des Atommülls und damit die Anforderungen an die Lagerung unterscheiden sich je nach Konzept erheblich. Die Mehrzahl der „neuen“ Reaktorkonzepte hat aber keine oder keine wesentlichen Vorteile, was die langfristige Lagerung des anfallenden Atommülls angeht.
Atomfans wollen insbesondere Verfahren zur Transmutation vorantreiben. Sie soll auch bei Konzepten wie dem schnellen
Brüter und dem Flüssigsalzreaktor eine Rolle spielen. Die Idee: Langlebiger Atommüll wird in kurzlebigere radioaktive Stoffe
aufgespalten, um die Lagerdauer zu verkürzen. Doch ein erheblicher Teil des bereits entstandenen Atommülls ist für die Transmutation ungeeignet. Gerade die langlebigen Spaltprodukte, die es erforderlich machen, den Atommüll über sehr lange Zeit sicher zu lagern, lassen sich nicht umwandeln. Die Lagerung radioaktiver Abfälle über eine Million Jahre ist unvermeidlich.
Bei der Kernfusion entsteht nichtradioaktives Helium und die Halbwertszeit des radioaktiven Brennstoffs Tritium ist mit gut
12 Jahren vergleichsweise kurz. Allerdings werden Bauteile des Reaktors radioaktiv und müssen aufgrund ihrer Belastung
häufig ausgetauscht werden. Auch bei der Kernfusion würden daher große Mengen an Atommüll anfallen. Dieser würde
allerdings einige hundert Jahre lang strahlen.
Teuer - Milliardengrab
Atomenergie war schon immer unwirtschaftlich. Auch womöglich kommende AKW-Generationen werden den erneuerbaren Energien wirtschaftlich weit unterlegen sein.
Atomkraft ist nicht nur teuer, die Kosten steigen sogar, während sie gleichzeitig bei den erneuerbaren Energien fallen. AKW-Projekte sind überdies stets von technischen Problemen und Verzögerungen geplagt, was die Kosten nochmal massiv in die Höhe treibt.
Befürworter*innen behaupten zwar, ein Paradigmenwechsel – weg von Groß-AKW, hin zur Serienfertigung kleinerer Reaktoren – könne das Kostenproblem der Atomkraft lösen. Doch diese Rechnung geht nicht auf. Bau, Betrieb, Unterhalt, Kontrolle und Rückbau vieler kleiner AKW wären unterm Strich wahrscheinlich sogar viel teurer. Dies gilt umso mehr, wenn sie dieselben oder höhere Sicherheitsanforderungen als heutige AKW erfüllen müssen.
Alle diskutierten Reaktormodelle sind Jahrzehnte von einer Serienreife entfernt. Obendrein ist ungewiss, ob überhaupt eines
jemals kommerziell nutzbar sein wird. Dennoch fließen weiter Milliarden an EU-Geldern in die Reaktorforschung. Als Mitglied der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) ist auch Deutschland mit öffentlichen Geldern und Forschungseinrichtungen an der Reaktorentwicklung beteiligt – trotz „Atomausstieg“.
Scheinlösung - Irrweg in der Klimakrise
Auch Atomkraft verursacht Treibhausgasemissionen, von der Brennstoffproduktion über den Betrieb der AKW bis zur Atommüll-Lagerung. Sie ist aber vor allem aus einem ganz anderen Grund ein Irrweg in der Klimakrise: Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen die Treibhausgas-Emissionen sehr schnell sinken. All die „neuartigen“ Reaktoren, von denen es nicht einmal funktionierende Prototypen gibt, werden nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen. Jeder Euro, der in Erhalt oder Ausbau der Atomkraft fließt, fehlt für wirksamen Klimaschutz.
Erneuerbare Energien sparen pro Euro viel schneller und viel mehr Treibhausgase ein als Atomkraft. Investitionen in neue und alte AKW sind daher unterm Strich sogar schädlich fürs Klima.
Strategische Interessen
Warum also versucht die Atomindustrie, einen Hype um angeblich neuartige Reaktortypen zu entfachen? Seit langem in der
Krise, setzt sie alles daran, sich den Anstrich einer „Zukunftstechnologie“ zu geben. Denn sie ist auf weitere Subventionen
sowie Forschungs- und Entwicklungsgelder angewiesen. Die tatsächlichen Erfolgsaussichten der Atom-Projekte sind dabei
von untergeordneter Bedeutung.
Diese Strategie verfängt besonders dort, wo auch die Politik die Atomindustrie am Leben halten will. Dahinter steckt oft der
Wunsch nach geopolitischem Einfluss und vor allem militärischer Schlagkraft. Überschneidungen zwischen ziviler und militärischer Atomindustrie „verstecken“ einen Teil der Kosten für Atomwaffen und Atom-U-Boote. Das entlastet das Verteidigungsbudget. Außerdem eignen sich insbesondere mobile Minireaktoren auch direkt für militärische Zwecke.
Atomkraft: Gefährlich, schmutzig und teuer
Sichere, saubere und billige Atomenergie ist und bleibt ein Mythos. Auch mit vorgeblich „neuen“ Reaktoren bedeutet die Technik nicht vertretbare Risiken für Mensch und Natur, und die Frage des verantwortungsbewussten Umgangs mit den strahlenden Hinterlassenschaften bleibt ungeklärt. Investitionen in Atomkraft verschärfen die Klimakrise. Alternativen sind vorhanden. Es gibt keinen guten Grund, an Atomenergie festzuhalten.
.ausgestrahlt fordert daher:
- Energiewende statt Atomkraft: Forschung an „neuen“ Reaktoren und Brennstoffen einstellen.
- Kein grünes Mäntelchen für alte oder neue AKW.
- Milliardengrab ITER stoppen – kein Geld mehr für Kernfusion.
- Euratom-Vertrag reformieren: Keine EU-Gelder und keine Subventionen für Entwicklung und Bau neuer Reaktoren.
- Alle noch laufenden Atomkraftwerke und Atomfabriken sofort abschalten.
TERRA-X: Mini-Kernkraftwerke: Der Weg aus der Klimakrise?
Harald Lesch erläutert, warum SMR kein Weg aus der Klimakrise sind.