Pressemitteilung
AKW Neckarwestheim: Rohrbruch ohne Vorwarnzeit möglich
EnBW setzt auf Leck-Erkennung / Die Materialprüfungsanstalt Stuttgart zeigt jedoch: Dampferzeuger-Heizrohre mit umlaufenden Rissen brechen ohne vorheriges Leck / Spontanes Versagen der vorgeschädigten Rohre im AKW nicht auszuschließen
Im AKW Neckarwestheim‑2 sind im dritten Jahr in Folge Korrosionsschäden an den Heizrohren in den Dampferzeugern entdeckt worden, darunter bisher insgesamt 292 zum Teil tief gehende Risse. Ursache der Risse ist nach Annahme von EnBW und Behörden die gefährliche Spannungsrisskorrosion, die Risse unvorhergesehen entstehen und schnell wachsen lässt. Durch die Heizrohre strömt unter hohem Druck stehendes heißes radioaktives Wasser aus dem Reaktorkern. Ein Abriss von Heizrohren kann zu einer Kernschmelze führen.
EnBW will den Reaktor trotzdem wieder in Betrieb nehmen und argumentiert, dass Risse in den Heizrohren immer zunächst Lecks verursachen würden, bevor es zum gefährlichen Bruch der Rohre komme.
Hierzu erklärt Armin Simon von der Anti-Atom-Organisation .ausgestrahlt:
„Weil sie weitere Risse im AKW Neckarwestheim nicht ausschließen kann, den Reaktor aber unbedingt laufen lassen will, klammert sich die EnBW an einen Notnagel namens ‚Leck-vor-Bruch‘: Dieser Theorie zufolge ist ein Heizrohrbruch ausgeschlossen, weil Risse in den Heizrohren immer zunächst ein Leck verursachen würden, aufgrund dessen man den Reaktor noch rechtzeitig herunterfahren könne. Mit dieser Begründung durfte das AKW Neckarwestheim schon nach den Rissfunden von 2018 wieder ans Netz.
Versuche der Materialprüfungsanstalt Stuttgart im Auftrag des Bundesumweltministeriums zeigten jedoch schon 2013, dass ein ‚Leck-vor-Bruch‘-Verhalten geschädigter Heizrohre nur bei längs zur Rohrrichtung verlaufenden Rissen auftritt. Zogen sich die Risse um das Rohr herum – das ist im AKW Neckarwestheim der Fall – brach auf dem Prüfstand das Rohr ohne (!) vorheriges Leck. Versuchsgegenstand waren Dampferzeuger-Heizrohre, wie sie auch im AKW Neckarwestheim verbaut sind. ‚Die Proben mit Längsfehlern zeigen ein typisches „Leck-vor-Bruch“-Verhalten, während die Proben mit Umfangskerbe spontan durch Bruch versagen.‘, fassten die Wissenschaftler ihre Ergebnisse zusammen. (MPA Stuttgart, BMU-Vorhaben 3610R01385, Schädigungsmechanische Modellierung des Resttragvermögens von geschädigten Dampferzeugerheizrohren, Abschlussbericht Juli 2013, Seite 82, Punkt 4; https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Forschungsdatenbank/fkz_3610_r_01385_dampferzeugerheizrohr_bf.pdf)
Reale Erfahrungen an anderen AKW zeigen ebenfalls, dass Heizrohre aufgrund von Rissen ohne vorheriges Leck und völlig unvorhergesehen brechen können. So geschehen etwa am 5. April 2002 im südkoreanischen AKW Hanul‑4. Der Reaktor dort war zum Zeitpunkt des Rohrbruchs zum Glück bereits für einen geplanten Brennelementewechsel heruntergefahren.
Reißt in einem AKW wie Neckarwestheim‑2 nur ein einziges der mehr als 16.000 Heizrohre im Betrieb ab, kann das weitere Rohre beschädigen. Der Störfall wäre dann bereits auslegungsüberschreitend und könnte Reaktorsicherheitsexperten zufolge bis zum Super-GAU führen. Selbst vom Umweltministerium beauftragte Sachverständige räumen ein, dass weitere Heizrohre in den Dampferzeugern des AKW Neckarwestheim‑2 unsichtbar vorgeschädigt sein können. Die 191 in diesem Jahr neu entdeckten Risse beweisen zudem, dass der Schadensmechanismus weiterhin wirksam ist. Die Atomaufsicht darf sich nicht erneut auf ein angebliches ‚Leck-vor-Bruch‘-Verhalten verlassen, von dem bekannt ist, dass es für die in Neckarwestheim vorkommenden Schäden nicht existiert.
Nach dem Kerntechnischen Regelwerk darf ein Reaktor nur betrieben werden, wenn der Bruch von Heizrohren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Dieser Nachweis ist im AKW Neckarwestheim‑2 nicht zu erbringen. Umweltminister Untersteller muss dem Reaktor im Interesse der Bevölkerung die Wiederanfahrgenehmigung verweigern.“