Stand: April 2015

Strahlende Landschaften

Beispiel des Scheiterns: Uranabbau in Thüringen und Sachsen

Die Uranabbaugebiete in Thüringen und Sachsen werden in der Atommüll-Debatte kaum betrachtet. Sie gelten als Relikt aus einer anderen Zeit und einem anderen Staat. Doch Abbau und Aufbereitung des AKW-Brennstoffs haben einen gigantischen Haufen Dreck hinterlassen: radioaktiven Schutt und Schlamm, der das Grundwasser bedroht, die Luft verseucht, die Bevölkerung verstrahlt. Die Halden und Absetzbecken der ehemaligen Wismut SDAG wurden und werden nur zum Teil überhaupt saniert. Selbst dann jedoch bleiben in vielen Fällen oberflächennahe, dauerhafte Abfalllager aus radioaktivem Abraum zurück.

Uranhalde aus der Ferne betrachtet
Foto: Marco Barnebeck / pixelio
Uranhalde in Ronneburg (2005)


Zwischen 1947 und 1990 förderte die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft  (SDAG)  Wismut in Sachsen und Thüringen 231.000 Tonnen Uran  für  AKW  und  Atomwaffen. Übrig blieb eine vergiftete Kunstlandschaft aus Abraumhalden und  Absetzbecken. Seit 1. Januar 1991 ist die Uran-Förderung eingestellt und das bundeseigene Nachfolgeunternehmen Wismut GmbH arbeitet daran, einen Teil der Bergbauhinterlassenschaften zu sanieren. Und die haben es in sich: Allein im von der Wismut GmbH zu sanieren den Teil des Uranbergbaus sind 1.500 Kilometer offene Grubenbaue zurückgeblieben, hinzu kommen 311 Mio. Kubikmeter  Haldenmaterial und 160  Mio. Kubikmeter radioaktive Schlämme in zum Teil dicht besiedelten Gebieten.

Radioaktive Schlammseen

Weil das uranhaltige Gestein bei der Uranerz-Aufbereitung zerkleinert wird, können die zuvor im Gestein gebundenen Schadstoffe nun in großen Mengen in die Biosphäre entweichen. Radioaktives Radon gast aus, Wind verteilt radioaktiven Staub, Regen löst strahlende Schadstoffe, die dann ins Grundwasser und in Gewässer gelangen. „Tailings“ heißen die schlammartigen  Rückstände, die übrig bleiben, nachdem das Uran chemisch aus dem Gestein gelöst wurde. Die riesigen  Schlammbecken, die die Uranförderung hinterließ, enthalten nicht nur jede Menge Gif-te, sondern auch die gesamte Kette der Radionuklide, speziell das bei der Aufbereitung des Uran-Erzes nicht abgetrennte Thorium-230 und Radium-226 sowie deren Zerfallsprodukte – Halbwertszeit des Strahlencocktails: Tausende von Jahren.

Wie gefährlich die Strahlung aus dem Uranbergbau ist, verdeutlicht eine 2006 vom Bundesamt für Strahlenschutz veröffentlichte Gesundheitsstudie unter insgesamt 59.000 ehemaligen Bergarbeitern der Wismut.

Atommüll gehört langfristig in tiefe geologische Formationen – so erklären es offiziell Politik, Wissenschaft und Industrie. Für die Hinterlassenschaften der SDAG Wismut gilt dies offensichtlich nicht

Diese bis heute weltweit größte Studie zum Thema errechnete einen Anstieg der Lungenkrebsrate um 50 bis 70 Prozent sowie über 7.000 strahleninduzierte Todesfälle. Auch zeigte die Studie, dass das Risiko für die Krebsentwicklung 15 bis 24 Jahre nach der Strahlenexposition am höchsten ist, sodass auch in Zukunft viele Neuerkrankungen zu befürchten sind.

Massenhaft kontaminiertes Grubenwasser

Die laufenden Sanierungsarbeiten der Wismut-Hinterlassenschaften sind ein extrem aufwändiger Prozess. Halden werden umgelagert, Schlammabsetzbecken abgedeckt, Tagebaulöcher müssen verfüllt, unterirdische Stollen gesichert werden. Vor  allem  die  Aufbereitung des Grubenwassers ist eine Herausforderung und wird deutlich länger dauern, als gedacht – nach bisherigen Schätzungen bis 2040. Doch die Radioaktivität ist danach nicht verschwunden. Das Wasser aus den ehemaligen  Urangruben muss weiter überwacht werden, eigentlich ewig.

Ein Teil der Altlasten bleibt einfach liegen

Saniert  wird  übrigens nur, was sich in Rechtsträgerschaft der Wismut GmbH befindet beziehungweise zwischen Land, Bund und Wismut vertraglich geregelt wird. In Sachsen kümmert sich die Landesregierung um die Bereiche, die nicht von der Wismut saniert werden. In Thüringen  sehen  die  PolitikerInnen  wenig  Handlungsbedarf. Fast alle Uranbergbau-Altlasten jenseits des Wismut-Territoriums bleiben einfach liegen – auch wenn sie mit ihren Abdeckungen aus der DDR-Zeit meist nicht den heutigen Anforderungen entsprechen. Allein im  thüringischen  Uranbergbaugebiet  Ronneburg  betrifft  dies  188  Millionen  Kubikmeter  Haldenmaterial und 105 Millionen Kubikmeter radioaktiven Schlamm. Extrahohe Grenzwerte für DDR-Altlasten.

Bergwerke, Halden und Tailings werden ohne Planfeststellungsverfahren, ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Langzeitsicherheitsnachweis zu „Quasi-Endlagern“ umfunktioniert

Doch auch dort, wo saniert wird, sind die Gefahren für die Bevölkerung längst nicht gebannt. Nach der Wende wurde festgelegt, dass in den gesamten Wismut-Gebieten das völlig veraltete und weniger strenge Strahlenschutzrecht der DDR weiter gilt. Für die BewohnerInnen der Wismut-Region ist etwa eine 17- bis 167-fach höhere Organbelastung zulässig als nach westdeutschen Vorschriften.  Zudem  entfällt  mit  der  Fortgeltung  des DDR-Strahlenschutzrechts  die  Verpflichtung  zu  einem Genehmigungs- oder  Planfeststellungsverfahren  mit Öffentlichkeitsbeteiligung.

Freiluft-Atommüll-„Endlager“

Atommüll gehört langfristig in tiefe geologische Formationen – so erklären es offiziell Politik, Wissenschaft und Industrie. Für die Hinterlassenschaften der SDAG Wismut gilt dies offensichtlich nicht. Stattdessen verbleiben riesige Mengen radioaktiven Materials in Form von Halden und Tailings unterschiedslos vor Ort. Dazu gehört  auch  der  radioaktiv  kontaminierte  Bauschutt aus dem Abriss der übertägigen Bergbau-Betriebsanlagen. Nichts davon wird „endlagergerecht“ konditioniert oder zwischengelagert. Stattdessen wir der Schutt in Bergwerken und Halden vergraben. Selbst Tailings – in ihnen ist das Strahleninventar am  höchsten – werden im Zweifel ohne Planfeststellungsverfahren, ohne ausreichende Öffentlichkeitsbeteiligung  und  ohne  Langzeitsicherheitsnachweis zu „Quasi-Endlagern“ umfunktioniert.

Abdeckungen verlieren schon jetzt ihre Wirkung

Trotz des massiven Sanierungsaufwands ist überdies absehbar, dass in einigen Gebieten (so z. B. Aue/Schlema) die Abdeckungen aus  Erdmaterial ihre angestrebten Schutzwirkungen, etwa gegen die Ausgasung von radioaktivem Radon, nicht erreichen oder wieder verlieren. Die erlaubte Jahres-Strahlendosis wurde bei Messungen in der jüngsten Vergangenheit um das Dreifache übertroffen. Die Verantwortlichen halten still. Möglicher Grund: Die EU hat eine neue, bis Februar 2018 umzusetzende Strahlenschutzrichtlinie beschlossen. Weil darin die bisherigen Grenzwerte massiv erhöht werden, liegen bei der Wismut die Strahlenwerte künftig wohl weit unter den offiziellen Grenzwerten. Alles, was bisher bedenklich war, wird dann mit einem Federstrich unbedenklich – der wohl einfachste Weg, das Atommüll-Problem loszuwerden.

Julia Schumacher

Uranbergbau Wismut - Zahlen und Fakten

• Geförderte Uranmenge: ca. 231.000 Tonnen
• Abraum pro Kilo Uran: ca. 1 Tonne
• Dauer der Uranförderung: 43 Jahre
• Dauer der Sanierung der Abbaugebiete: mind. 50 Jahre
• Nötige Überwachung der Grubenwässer: unbegrenzt
• Sanierungsflächen (nur Wismut GmbH): ca. 3.700 Hektar
• Zu sanierende Halden (nur Wismut): ca. 48, über 300 Mio. m³
• Radioaktive Schlämme (nur Wismut): 160 Mio. m³
• Sanierungskosten bis 2040 (nur Wismut): ca. 7,1 Mrd. €
• Gesundheitliche Folgekosten bisher: ca. 1 Mrd. €
• Weitere Uranabbau-Standorte in Sachsen und Thüringen,  für die die Wismut nicht zuständig ist: ca. 1.900