SOS_header_desktop_faq_x2.png

Bis 2031 soll der Bundestag laut Standortauswahlgesetz (StandAG) den Ort bestimmen, an dem der hochradioaktive Müll aus deutschen Atomkraftwerken dauerhaft lagern wird. Das Standortauswahlverfahren ist jedoch – anders als behauptet – weder fair noch wissenschaftsbasiert noch partizipativ.

Fragen & Antworten

zur Standortsuche für die langfristige Lagerung von hochradioaktivem Atommüll aus deutschen AKW (Stand: 09/20).

  • Das 2017 gestartete Suchverfahren nach einem Atommüll-Lager-Standort für hochradioaktive Abfälle scheitert an seinen eigenen Ansprüchen. Und dies nicht erst im laufenden Suchprozess, sondern bereits mit seiner gesetzlichen Grundlage: dem Standortsauswahlgesetz (StandAG). Dieses schreibt den Verfahrensablauf, die Entscheidungskriterien und die Rahmenbedingungen vor. Gleich im ersten Paragrafen des StandAG hat der Gesetzgeber Leitsätze formuliert, denen das Verfahrenskonzept jedoch nicht gerecht wird:

    „Mit dem Standortauswahlverfahren soll in einem partizipativen, wissenschaftsbasierten, transparenten, selbsthinterfragenden und lernenden Verfahren für die im Inland verursachten hochradioaktiven Abfälle ein Standort mit der bestmöglichen Sicherheit [...] in der Bundesrepublik Deutschland ermittelt werden.“
    (§ 1 Absatz  2 Standortauswahlgesetz)

    Diese Vorsätze: Transparenz, Beteiligung, Wissenschaftbasiertheit und auch die Selbstreflektion und im Zweifel die Bereitschaft Rückschritte zu machen, sind Gelingensbedingungen für die Atommüll-Lager-Suche. Sie sind die Voraussetzung für den nötigen Vertrauensaufbau in der Bevölkerung. Dafür, dass ein geeigneter Standort (also der am wenigsten schlechte Ort für die Lagerung des Atommülls) gefunden wird. Dafür, dass dieser von der Bevölkerung akzeptiert und von Betroffenen mitgetragen wird. Das Standortauswahlgesetz hebt jedoch in sich schon all diese Versprechen wieder auf. Von § 1 Absatz 2 bleibt nichts als Worthülsen.

    Der bisherige Verlauf des Verfahrens und das Agieren von BGE und BaSE bestätigen die Kritik. Das Verfahren ist Intransparent, Beteiligung findet nicht statt, u.a. weil alle relevanten Entscheidungen bereits im Vorfeld getroffen wurden. Die Betroffenen haben zudem kaum die Möglichkeit sich rechtlich zur Wehr zu setzen, wenn sie die Standortentscheidungen des Bundestages anzweifeln. Das wissenschaftliche Konzept weist schwere Mängl auf und enge Zeitvorgaben, lassen keinen Spielraum für relevante Verfahrenskorrekturen, sondern erhöhen das Fehlerrisiko.

    Das Standortauswahlverfahren ist in sich eine Fehlkonstruktion.

  • In der Öffentlichkeit ist der Eindruck entstanden, die betroffene Bevölkerung werde aktiv in das Standortauswahlverfahren einbezogen. Tatsächlich sind die vorgesehenen Beteiligungsformate auf ein behördlich reguliertes Recht auf Information und Anhörung (nicht Mitsprache!) beschränkt. Diese Form der Teilhabe ist maximal eine Vorstufe der Partizipation. Damit erfüllt das StandAG lediglich das Minimum an Beteiligung, das Deutschland betroffenen Bürger*innen aufgrund internationaler Abkommen (Aarhus Konvention) zugestehen muss. Eine Beteiligung Betroffener im Sinne von Mitgestaltung und Mitbestimmung lässt  das StandAG nicht zu. Die Stellungnahmen, die Betroffene im Laufe des Verfahrens abgeben können, bleiben im Zweifel folgenlos. Denn die Atommüllbehörde entscheidet selbst, in welcher Weise sie Kritik von außen berücksichtigt. Auch Klagerechte sind stark eingeschränkt. Dagegen sind behördlicher Willkür, Macht und Gewalt im Zweifel alle Türen geöffnet.

  • Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die das Suchverfahren durchführt, und die Aufsichtsbehörde, das Atommüll-Bundesamt (BaSE), sperren sich gegen eine kontinuierliche Veröffentlichung von Ergebnissen. Mit dem Zwischenbericht informiert die BGE die Öffentlichkeit drei Jahre nach Suchstart erstmals darüber, welche Gebiete für die Suche infrage kommen. Während insbesondere die Menschen, die in den betroffenen Gebieten leben, nun versuchen innnerhalb kürzester Zeit, das Verfahren nachzuvollziehen und die komplexen Inhalte zu durchdringen, ist die BGE schon einen Schritt weiter. Die Suchgesellschaft fährt mit dem Auswahlverfahren fort - wiederum hinter verschlossenen Türen. Die Bevölkerung wird erst informiert, wenn bereits Fakten geschaffen sind. Der Verfahrensvorsprung der Behörden ist stets unaufholbar.

    Obendrein ist die rechtliche Situation nicht geregelt. Private Erkundungsdaten sind durch das Grundgesetz geschützt. Sie dürfen nicht ohne Zustimmung der Rechteinhaber veröffentlicht werden. Die Geheimhaltungsinteressen der Rohstoffindustrie etwa sind jedoch hoch. Ohne eine adäquate gesetzliche Regelung ist die gesetzlich geforderte Transparenz per se nicht möglich. Das im Juni 2020 verabschiedete Geologiedatengesetz erfüllt dies nicht. Große Datenmengen bleiben vorerst und zum Teil für immer für die Öffentlichkeit verschlossen. Das Standortauswahlverfahren ist im laufenden Prozess nahezu blickdicht - das Nachvollziehen der Ergebnisse und Entscheidungen wird erst rückwirkend und auch dann nicht in voller Gänze möglich sein..

  • Nein. Es gibt verschiedene Kritikpunkte am wissenschaftlichen Konzept des Standortauswahlverfahrens:

    • In der ersten Phase des Auswahlverfahrens arbeitet die BGE auf Basis der bei den geologischen Landesämtern vorliegenden Erkundungsdaten. Innerhalb Deutschlands ist die Datendichte sehr unterschiedlich. Ist die Datenlage zu einem Gebiet nicht ausreichend, entscheidet der Bundestag, ob die Region im Verfahren bleibt. Dadurch entsteht die Gefahr, dass Standorte bereits in einer frühen Phase des Suchprozesses unabhängig von ihrer geologischen Eignung aus politischen Gründen wegfallen.
    • „ Die Lagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen am Standort des Atommüll-Lagers für hochradioaktive Stoffe ist laut StandAG grundsätzlich zulässig. Für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll müsste jedoch stattdessen ein eigenes Verfahren entwickelt werden, das die besonderen Eigenschaften dieser Abfälle berücksichtigt.
    • „ Aufgrund der Erfahrungen mit havarierten Atommüll-Lagern betonen zuständige Behörden und Politiker*innen immer wieder den Aspekt der Rückholbarkeit der Abfälle. Tatsächlich begrenzt das StandAG dies jedoch auf die Dauer der Betriebsphase. Danach soll die Bergung des Atommülls für 500 Jahre lang möglich sein. Die Bedingungen sind jedoch völlig ungeklärt. Auch ist bisher nicht nachgewiesen, dass die Behälter ein halbes Jahrtausend dicht halten.
    • Schutz und Sicherheit für eine Million Jahre – so lautet der Anspruch, den das StandAG an die langfristige Lagerung von hochradioaktivem Atommüll stellt. Geolog*innen können anhand der Beschaffenheit von Gesteinsformationen die Vergangenheit rekonstruieren und Abschätzungen über weit in der Zukunft liegende geologische Entwicklungen vornehmen. Sie können jedoch nicht den Zeitraum von einer Million Jahre exakt vorhersagen. Die Zahl ist willkürlich gewählt; eine Beruhigungspille für die Bevölkerung, die nicht das Mögliche benennt, sondern das, was angesichts der langen Halbwertszeiten verschiedener Radionuklide unbedingt nötig wäre.
    • Das StandAG schreibt die Errichtung eines Atommüll-Bergwerks in Salz-, Kristallin- oder Tongestein vor. Dies, obwohl von wissenschaftlicher Seite Sicherheitsbedenken bestehen. Bislang sind fast alle bestehenden tiefengeologischen Lagerstätten havariert. Umfassende Forschungen zu anderen Lagerungsoptionen sind nicht erfolgt. Der Aspekt der „bestmöglichen Sicherheit“ bezieht sich allein auf die Bergwerks-Lagerung.
    • Standort Gorleben: Bei der Formulierung der geologischen Kriterien durch die Atommüll-Kommission galt die Direktive, dass kein Kriterium zu einem sofortigen Ausschluss Gorlebens führen dürfe. Der Anspruch der Wissenschaftlichkeit wurde somit dem politischen Willen zur Beibehaltung der Standort-Option Gorleben untergeordnet. Damit setzt ein erwiesenermaßen ungeeigneter Salzstock den Maßstab für die Eignung anderer Standorte im Suchverfahren.
    • Vertreter*innen verschiedener Bundesländer haben dieDebatten in der Atommüll-Kommission genutzt, um aktiven Gebietsschutz zu betreiben. Auf diese Weise haben sie verhindert, dass geologische Kriterien aufgestellt werden konnten, die eine gleichwertige Betrachtung der unterschiedlichen Gesteinsarten ermöglichen. Das Ergebnis ist ein Katalog vager Kriterien, mit dem sich jeder Standort rechtfertigen lässt, wenn er politisch gewollt ist. Die Bewertungskriterien beruhen auf Formelkompromissen und schwammigen Formulierungen, die politischen Spielraum dort erlauben, wo eigentlich wissenschaftliche Präzision angebracht wäre.
  • Innerhalb der nächsten vier Jahre sollen per Ausschlussverfahren die Standorte für die übertägige Erkundung durch Bundestagsentscheid festgelegt werden. 2031, so die Zielvorgabe im StandAG, bestimmt das Parlament den Standort für das Atommüll-Lager. Dieser Termin erzeugt erheblichen Zeitdruck, entsprechend gibt es im laufenden Prozess keinen Spielraum für wesentliche Verfahrensanalysen und -korrekturen. Bisher liegt nicht einmal ein Evalutionskonzept vor.

  • Das Standortauswahlgesetz gewährt Betroffenen nur minimalen Rechtsschutz. Lediglich vor den Standortentscheidungen des Bundestages am Ende der Phasen 2 und 3 haben Betroffene die Möglichkeit, vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen. Der übliche Instanzenweg ist ausgeschaltet, weil der Bundestag alle Standortentscheidungen per Gesetz trifft. Erreicht das Bundesverwaltungsgericht eine Klageschrift, prüft es, ob der Behörde in der jeweiligen Phase Verfahrensfehler unterlaufen sind – vorausgegangene Standortentscheidungen durch den Bundestag bleiben davon jedoch unberührt. Grundsätzlich ist fraglich, ob Fehlerkorrekturen überhaupt möglich sind, wahrscheinlicher ist, dass der Gerichtsbeschluss folgenlos bleibt. Zudem sind die entscheidungsrelevanten Formulierungen im StandAG sehr offen gehalten und bieten daher kaum juristische Angriffsfläche. Insgesamt läuft es bei einer richterlichen Bewertung immer darauf hinaus, herauszustellen, ob das StandAG von den Behörden korrekt angewendet wurde. Das Gericht stellt also nur fest, ob ein schlechtes Verfahrenskonzept richtig umgesetzt wurde.

    Die Standortentscheidungen am Ende der drei Phasen haben Gesetzesstatus und können nur durch das Bundesverfassungsgericht entkräftet werden. Der Weg nach Karlsruhe ist beschwerlich, Betroffene müssen begründen, dass die jeweiligen Standortentscheidungen gegen Grundrechte verstoßen.

  • Das Standortauswahlgesetz (StandAG) gibt die Rahmenbedingungen vor. So ist bereits festgelegt, dass der Atommüll tiefengeologisch in einer Gesteinsformation aus Salz, Ton oder Kristallingestein (v. a. Granit) gelagert werden soll. Die Beurteilung der infrage kommenden Standortregionen erfolgte zunächst über geologische Ausschlusskriterien (etwa Erdbebenrisiko, Vulkanismus, Schäden durch Bergbau). Im nächsten Schritt wendete die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die das Standortauswahlverfahren durchführt, Mindestkriterien (u.a. Größe, Tiefe, Mächtigkeit des Gebirgsbereichs) an. In der laufenden ersten Phase des Suchverfahrens arbeitet die BGE ausschließlich mit Daten, die in der Vergangenheit erhoben wurden –  und zwar fast ausschließlich nicht zum Zweck der Lagerung von Atommüll.

    Erst ab der zweiten Phase des Verfahrens finden Erkundungen, etwa seismische Messungen und Bohrungen, vor Ort statt. In der letzten, dritten Verfahrensphase werden an mindestens zwei Standorten Erkundungsbergwerke errichtet. Das Standortauswahlverfahren ist ein vergleichendes Verfahren. Das Problem: Die Gesteinsarten haben völlig unterschiedliche Eigenschaften, deren Vor- und Nachteile sich nicht gegeneinander aufwiegen lassen. Es ist ein Vergleich wie zwischen Äpfeln und Birnen. Hinzu kommen regionale Besonderheiten. Es ist unklar, wie im Vergleich der Standorte miteinander eine Gewichtung der angewendeten Kriterien erfolgen soll. Willkür sind damit Tür und Tor geöffnet.

  • Grundsätzlich ja. Ausschlaggebend bei der Entscheidung, ob ein Standort im Sinne des Verfahrens geeignet ist oder nicht, ist zunächst die Bewertung der geologischen Voraussetzungen. Nicht-geologische Kriterien finden erst dann Berücksichtigung, wenn die BGE mehrere Standorte aus geologischer Sicht gleich gut bewertet. Ein Kriterium wäre dann etwa der Abstand zu Wohnsiedlungen – dabei wird eine Entfernung ab 1.000 Meter als günstige Voraussetzung bewertet. Die Bevölkerungsdichte selbst ist im StandAG nicht als Abwägungskriterium aufgeführt. Weitere – der geologischen Eignung nachgeordnete – Kriterien können den Naturschutz, die kulturelle Bedeutung eines Standortes oder geplante Rohstoffvorhaben betreffen.

  • Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wertet in Phase 1 des Verfahrens geologische Daten aus, die sie von den zuständigen Landesämtern erhalten hat. Das bedeutet, dass das Auswahlverfahren bis zur Festlegung der Standort-Regionen für die übertägige Erkundung durch den Bundestag allein auf Aktenbasis verläuft.

    Bis zur Veröffentlichung des Zwischenberichtes und der Benennung von Teilgebieten am 28. September 2020 hat die BGE anhand der vorliegenden Daten und der gesetzmäßigen Ausschluss- und Mindestkriterien erste Gebietsausschlüsse vorgenommen. In einem zweiten Schritt hat sie auf die verbliebenen Gebiete die geowissenschaftlichen Abwägungskriterien angewendet, um ggf. weitere Gebiete auszuschließen. Die verbliebene Auswahl sind die sogenannten Teilgebiete.

    Während die Öffentlichkeit sich mit dem Zwischenbericht Teilgebiete befasst, fährt die BGE hinter verschlossenen Türen mit dem Auswahlverfahren fort. Sie führt vorläufige Sicherheitsuntersuchungen durch und wendet dann erneut die geowissenschaftlichen Abwägungskriterien an, um die Gebietsauswahl zu verringern. Auf die verbliebenen Gebiete kann die BGE sogenannte planungswissenschaftliche Kriterien anwenden - hier können Rohstoffvorkommen, wirtschaftliche und kulturelle regionale Interessen zum Tragen kommen.

    Datendichte und Datenqualität sind sehr unterschiedlich. Zu einigen Gebieten liegen keine aussagekräftigen geologischen Erkundungsdaten vor. Das Standortauswahlgesetz lässt den Ausschluss dieser Gebiete durch den Bundestag zu. Das heißt, Gebiete, die tiefengeologisch schlecht erforscht sind, können vorzeitig aus dem Verfahren ausscheiden.

     

 

Was fordert .ausgestrahlt?

.ausgestrahlt will verhindern, dass es zu einem unsicheren Atommüll-Lager kommt, nur weil bei der Suche übertriebener Zeitdruck herrscht, Geld gespart werden soll, politische Interessen schwerer wiegen als wissenschaftliche Erkenntnisse oder weil die Bedenken der Betroffenen nicht ernst genommen werden.

Deswegen fordert .ausgestrahlt, das angelaufene Suchverfahren abzubrechen und zuerst eine gesellschaftliche Verständigung über die Regeln für ein neues Verfahren unter gleichberechtigter Einbeziehung der (potenziell) Betroffenen zu erarbeiten. Denn diejenigen, bei denen der Müll am Ende landet, sind mit ihren Interessen und Bedenken der beste Garant für größtmögliche Sicherheit.