Strahlung – Atomkraftwerke machen krank
Schon im Normalbetrieb geben Atomkraftwerke laufend radioaktive Stoffe an die Umwelt ab. Die von ihnen ausgehende Strahlung ist selbst in geringen Dosen gesundheitsschädlich und kann Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie genetische Schäden verursachen.
Bei der Kernspaltung im AKW entsteht eine Vielzahl radioaktiver Isotope. Über Abluftkamin und Abwasserrohr des Atommeilers gelangen täglich große Mengen davon in Luft, Wasser und Boden. Nimmt ein Organismus strahlende Substanzen über Nahrung oder Lunge auf, können sie großen Schaden anrichten – vor allem, wenn er sie in seine Körperzellen einbaut. Radioaktives Cäsium und Strontium lagern sich etwa in Muskeln, Knochen und Zähnen ab. Das von Atomkraftwerken in hohen Mengen freigesetzte Tritium (radioaktiver Wasserstoff) baut sich in alle Zellen und sogar direkt in die Gene ein.
Biologisch gibt es keinen Schwellenwert, unterhalb dessen Strahlung ungefährlich wäre. Dennoch erlauben die Behörden radioaktive Emissionen und Strahlenbelastungen bis zu bestimmten Grenzwerten. Diese orientieren sich noch dazu stets an einem fiktiven Referenz-Menschen („reference man“): einem gesunden, jungen, männlichen Erwachsenen. Insbesondere Embryos und Kinder, aber auch Frauen und ältere Menschen reagieren jedoch deutlich empfindlicher auf Strahlenbelastungen.
Studien haben nachgewiesen: Kleinkinder, die in der Umgebung eines Atomkraftwerkes leben, haben ein erhöhtes Krebsrisiko. Vor allem Leukämie (Blutkrebs) tritt in diesem Zusammenhang vermehrt auf.
Stellungnahme und Strahlenschutzgesetz
Wie hoch ist die legale Strahlenbelastung? Die Regierung arbeitet an einem Strahlenschutzgesetz. .ausgestrahlt hat zusammen mit zahlreichen Organisationen und Initiativen, organisiert in der Atommüllkonferenz, eine kritische Stellungnahme dazu abgegeben.
Interview mit Dr. Alfred Körblein: "Nur eins und eins zusammenzählen"
Der Diplom-Physiker Dr. Alfred Körblein forscht seit 1992 zu den gesundheitlichen Folgen radioaktiver Niedrigstrahlung. Er war Mitglied des wissenschaftlichen Begleitgremiums der Kinderkrebs-Studie.
.ausgestrahlt: Herr Körblein, Schwangere sollten besser das Weite suchen, wenn ein AKW mit neuen Brennelementen bestückt wird – das rieten neulich die Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW). Wie kommen die zu so einer Empfehlung?
Alfred Körblein: Wenn im AKW die Brennelemente ausgewechselt werden, muss dazu der Deckel des Reaktordruckbehälters geöffnet werden. Die radioaktiven Gase, die sich darin gesammelt haben, gelangen dann über den Abluftkamin des AKW ins Freie.
Woher kommen diese Gase?
Das sind Spaltprodukte, die in den Brennelementen entstehen. Kriegen die Brennstabhüllen Risse, was regelmäßig vorkommt, drückt das Gas raus und sammelt sich im Druckbehälter.
Ein AKW gibt doch immer, auch wenn der Reaktordeckel geschlossen ist, radioaktive Stoffe ab.
Wenn der Deckel geöffnet wird, steigen die Emissionen aber stark an.
Das vermuten Sie!
Nein, das sieht man an den Messwerten – wenn man mal die zeitlich detaillierten Werte zu Gesicht bekommt.
Ist das schwierig?
In den Jahresberichten zur Strahlenbelastung steht immer nur, wie viel Radioaktivität die Reaktoren im ganzen Jahr abgeben. In Bayern hat es eine Landtagsanfrage und ein Auskunftsersuchen nach dem Umweltinformationsgesetz gebraucht, bis das Umweltministerium die Halbstundenmesswerte herausgegeben hat – als gedruckte Tabelle. Die mussten wir dann erst noch mühsam digitalisieren.
Wozu der ganze Aufwand?
Wir wollen versuchen, zu verstehen, wie es zu den massiv erhöhten Krebsraten bei Kindern in der Nähe von Atomkraftwerken kommt. Die sogenannte KiKK-Studie hat die ja unbestritten nachgewiesen, und zwar besonders bei Leukämie, die besonders leicht durch radioaktive Strahlung verursacht wird. Aber die AKW-Betreiber und die Behörden behaupten, dass sich die Krebsfälle durch die Strahlung eigentlich nicht erklären ließen. Weil man dafür eine etwa tausendmal höhere Strahlendosis abbekommen müsse, als nach den offiziellen Berechnungen der Fall.
Und was sagen Sie?
Dass wir da vermutlich irgendwas übersehen haben. Es könnte zum Beispiel sein, dass es nicht auf die Jahresdosis, sondern auf die Emissionsspitzen ankommt.
Wie kommen Sie darauf?
Da muss man nur eins und eins zusammenzählen. Man weiß erstens, dass Leukämien, genauso wie Fehlbildungen und Totgeburten, in einem sehr empfindlichen Stadium während der Embryonalentwicklung induziert werden können. Wenn es also da DNA-Schäden gibt, etwa durch radioaktive Strahlung, dann steigt das Risiko stark an, dass sich das später, durch ein zweites Ereignis, zu einer Leukämie oder einer Fehlbildung entwickelt oder es gar zu einer Totgeburt kommt. Und zweitens weiß man, dass bei solchen embryonalen Schäden der Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung nicht linear ist.
Nicht linear? Was soll das heißen?
Dass die Schäden mit steigender Dosis überproportional zunehmen. Die Schadenskurve biegt sozusagen steil nach oben. Das heißt in unserem Fall, dass es auf die Spitzen der Strahlenbelastung ankommt und nicht auf den Mittelwert. Weil sich die Spitzen viel stärker auswirken.
Was hat Ihre Analyse der Halbstundenmesswerte denn ergeben?
Wenige Tage nachdem das AKW in Revision ging, stiegen seine radioaktiven Emissionen drastisch an – kurzzeitig bis auf das 500-Fache. Vermutlich haben sie da den Reaktordeckel aufgemacht. Ein Drittel der gesamten Jahresemissionen kam an nur zwei Tagen raus. Das ist enorm. Entsprechend hoch ist die Strahlendosis, die ich als Anwohner in diesem Zeitraum abbekomme. Und wenn wir davon ausgehen, dass die Schäden mit der Dosis überproportional zunehmen, ist das besonders gefährlich.
Wenn man das Strahlenrisiko also nicht anhand der Jahresemissionen und Jahresdosis, sondern anhand der Halbstundenwerte berechnet …
… dann ist es um ein Vielfaches höher. Oder umgekehrt ausgedrückt: Schon eine im Jahresmittel sehr geringe zusätzliche Strahlenbelastung führt, wenn darunter solche Belastungsspitzen sind, wie wir sie in der Umgebung von Atomkraftwerken offensichtlich haben, zu einem deutlich höheren Risiko, wegen der Strahlung an Krebs zu erkranken.
Konkret?
Nach meinen Berechnungen reicht bei solchen Emissionsspitzen und Annahme einer gekrümmten Dosis-Wirkungs-Beziehung eine zusätzliche jährliche Belastung von nur 50 Mikrosievert – das sind 5 Prozent der natürlichen Hintergrundstrahlung – aus, um das Leukämierisiko bei Kleinkindern zu verdoppeln.
Selbst 50 Mikrosievert sind aber rund zehnmal mehr, als wir den offiziellen Modellrechnungen zufolge durch AKW abbekommen.
Diesen Modellrechnungen liegen viele Annahmen zugrunde, welche die tatsächliche Strahlenbelastung unterschätzen können. Real kann diese mindestens zehnmal so hoch sein.
Nimmt man das alles zusammen...
... dann kommt man einer Erklärung der Ergebnisse der Kinderkrebs-Studie schon recht nahe.
Das Interview führte Armin Simon