Die Diskussionen auf dem Erörterungstermin zum geplanten Ausbau der Lingener Brennelementefabrik zeigen erneut, mit welcher Naivität die Betreiber Framatome / ANF dem Kreml-Konzern Rosatom den roten Teppich ausrollen. Wo die Konzernvertreter kritischen Fragen nicht auswichen, mussten sie erschreckende Sicherheitslücken zugeben. Nicht einmal Sprengstoff-Attacken können sie ausschließen. Auch der ehemalige technische Leiter des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja warnte eindringlich vor den Gefahren einer Kooperation mit Rosatom.
Drei Tage lang dauert die Anhörung zum geplanten Ausbau der Brennelementefabrik Lingen. Atomkraftgegner*innen diskutieren ab dem 20. November 2024 nicht nur mit dem niedersächsischen Umweltministerium als verantwortlicher Genehmigungsbehörde. Auch die Antragsteller Framatome / ANF müssen sich erstmals den zahlreichen Argumenten und kritischen Fragen stellen. Trotz ihrer Versuche, den Fragen auszuweichen, offenbaren sie eine Vielzahl neuer Erkenntnisse – und beunruhigende Einblicke in die Denkweise von sowohl Leitung als auch Mitarbeiter*innen.
Putin-Riesenpuppe begrüßt Anwesende
Die Framatome-Mitarbeiter*innen waren – auch das ein Novum für atomrechtliche Anhörungen – ebenfalls zahlreich zu der nicht-öffentlichen Veranstaltung erschienen. Begrüßt wurden sie bereits vor der Halle – von einem lebendigen Riesen-Putin. Zahlreiche Anti-Atom-Aktive machen dagegen mit Argumenten und Musik deutlich, wie sehr der geplante Ausbau abzulehnen ist. Sie fordern: „Atomfabrik Lingen schließen – keine Geschäfte mit Rosatom!“
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Beginn des Erörterungstermins - Putin ist schon da!
Kooperation mit Rosatom langfristig
In der Halle beteiligt sich dann eine große Anzahl an Anti-Atom-Bewegten mit vielen kritischen Fragen und viel Fachwissen an der Diskussion. Damit entlarven sie auch die von Framatome / ANF vorgeschobene Schutzbehauptung als Farce. Die Vertreter der Atomfabrik betonen in stets wiederholten, vorgelesenen Textbausteinen, dass sie mit der beabsichtigten Produktion von sechseckigen Brennelementen angesichts des Angriffs auf die Ukraine doch nur den „osteuropäischen“ Ländern helfen wollten, deren von Russland bzw. der Sowejetuntion gebauten VVER-Reaktoren auf diese Brennelemente angewiesen seien. Schnell wird aber klar: Die Planungen für die Kooperation haben bereits lange vor 2022, vor dem vollumfänglichen Angriff Russlands auf die Ukraine, begonnen. Zudem gibt es weitere westliche Hersteller, die VVER-Brennelemente bereits eigenständig herstellen können – mit diesen hat Framatome eine Kooperation aber offenbar nicht auch nur in Erwähnung gezogen. Auch einordnenden Fragen nach der Ukraine („Liegt Ukraine für Sie also nicht in Osteuropa?“) und der Rolle Rosatoms im russischen Angriffskrieg weichen die Konzern-Vertreter systematisch aus.
Bereits bei der Vorstellung der geplanten Änderungen müssen die Framatome-Vertreter einräumen, dass die Kooperation mit Rosatom langfristig geplant ist: Selbst falls Framatome irgendwann ein eigenes Design für sechseckige VVER-Brennelemente entwickelt haben sollte, wollen sie auch weiterhin das Rosatom-Design in Lizenz produzieren. Die Aussage, dass es sich bei der Kooperation bloß um eine „kurzfristige Strategie“ handele, um die Zeit bis zur Eigenentwicklung zu überbrücken, entpuppt sich damit als Lüge.
„Fördert Framatome ANF den Bau russischer Atomwaffen?“ Zur Pressemitteilung
In Lingen häufig bloße Endmontage
Noch brisanter: Bestimmte Typen von Uran-Pellets, die in VVER-Brennelementen zum Einsatz kommen, kann Framatome offenbar nicht selbst herstellen. Auch für die Zukunft sei die Produktion von solchen Pellets mit zentralem Loch in der Mitte nicht geplant. Stattdessen sollen diese Pellets in fertig verschweißten Brennstäben aus Russland angeliefert werden. Dies ist besonders heikel, da es viele Möglichkeiten für Sabotage bietet.
Auf Nachfragen, wie viele der Brennstäbe das betreffe, laviert Framatome herum, spricht von einer „geringen Anzahl“ und von „Fragen des Reaktordesigns“. Tatsache ist aber, dass viele Typen von VVER-Brennelementen ausschließlich aus Brennstäben mit solchen Loch-Pellets bestehen. Unseres Wissens nach werden in allen VVER-Reaktoren mindestens ein paar Brennelemente mit solchen Pellets eingesetzt. Mehr noch: Viele der Atomkraftwerke russischen Typs – auch in Osteuropa – benutzen ausschließlich solche Brennelement-Typen, die Uran-Pellets mit zentralem Loch benötigen. Das bedeutet, dass in diesem Fall nicht nur einzelne, sondern alle Brennstäbe – also der gesamte Brennstoff – fertig verschweißt aus Russland nach Lingen geliefert würde. Entsprechend groß ist die Sabotagegefahr.
Die angeblich eigenständige Lizenz-Fertigung der Brennelemente in Lingen entpuppt sich auch darüber hinaus zu großen Teilen als bloße Endmontage von aus Russland angelieferten Vorprodukten. Denn wie Framatome im Verlauf des Termins zugab, werden auch alle weiteren Bauteile für die Brennelemente – zum Beispiel Abstandshalter, Kopf- und Fußstücke oder Tragstücke – von Rosatom geliefert. Dies eröffnet dem Staatskonzern unzählige Möglichkeiten, Brennelemente zu manipulieren und damit Schäden in den belieferten AKW anzurichten.
Sprengstoff in Brennstäben?
Die Anlieferung von fertig verschweißten Brennstäben aus Russland eröffnet Rosatom sogar die Möglichkeit, unbemerkt Sprengstoff in die in Lingen gefertigten Brennelemente einzubringen. Die Brennstäbe enthalten sowohl an den Enden als auch in den besagten Löchern in den einzelnen Pellets Hohlräume, die für die Aufnahme von Sprengstoff geeignet sind. Beispielsweise könnten in einem einzelnen sechseckigen VVER-Brennstab bis zu 30 Gramm des Sprengstoffs Nitropenta untergebracht werden. Nitropenta, bekannt durch die Pager-Attacken im Libanon, würde ohne weitere Zündvorrichtung beim Einsatz im AKW explodieren. Eine solche Manipulation würde auch gewichtsmäßig nicht auffallen, weil bei solchen Brennstäben Schwankungen im Gewicht der Uranfüllung und damit im Gewicht des ganzen Brennstabs zugelassen sind.
„Kann Kreml-Konzern Sprengstoff in Brennstäbe schmuggeln?“ Zur Pressemitteilung
Faktenblatt zu Sprengstoff in Brennstäben Zum Faktenblatt
Spionage und mangelndes Sicherheitsbewusstsein
Auch in Bezug auf Spionage offenbaren die Betreiber, dass sie keinerlei Risikobewusstsein angesichts einer so kritischen Kooperation besitzen. Framatome gibt zwar zu, dass sich im Frühjahr 2024 rund 20 Rosatom-Mitarbeiter*innen mehrere Wochen lang in Lingen aufhalten, Maschinen aufbauen und dabei Mitarbeiter*innen von Framatome schulen. Laut Framatome fand dabei keinerlei Sicherheitsüberprüfung der Rosatom-Mitarbeiter*innen statt. Dies sei – so Framatome – nicht notwendig, weil diese Schulungen außerhalb des Werksgeländes stattfanden.
Der Tenor der Betreiber: Wenn Rosatom-Mitarbeiter*innen den inneren Sicherheitsbereich nicht betreten, gibt es auch keine Gefahr von Spionage. Völlig außer Acht lässt dies, dass Spionage häufig eben nicht durch persönlichen Zugang zu besonders sensiblen Bereichen stattfindet, sondern beispielsweise durch das Zusenden von sensiblen Informationen, durch jegliche Art von Kommunikation, durch Zugang zu Entscheidungsträgern, durch Aufbau von Vertrauen. Nicht umsonst warnte der Bundesverfassungsschutz erst im Juli 2024, dass angesichts der Tätigkeiten russischer Geheimdienste alle Informationen über Personen oder Betriebsabläufe gefährliche Ansatzpunkte für Spionage, Sabotage oder deren Vorbereitung darstellen könnten.
Den Höhepunkt der Naivität stellt in diesem Kontext ein Beitrag des Betriebsratsvorsitzenden der Atomfabrik dar, der offenbar selbst auch eine „Einwendung“ formuliert hatte und deshalb Rederecht in der Halle besaß. Er sei „entsetzt“, so der Mitarbeiter, dass man „uns unterstelle, dass wir anwerbbar sind, dass wir erpressbar sind, dass wir Sabotage betreiben“ – als ob nicht monatlich immer neue Fälle von Spionage und Sabotage bis hin zu höchsten Bundesinstitutionen bekannt würden und als ob die Bundesnachrichtendienste nicht immer eindringlicher vor diesen Gefahren warnten. Wenn man den Betriebsrat einmal als stellvertretend für die Belegschaft anssieht: Ein Bewusstsein für die Möglichkeiten von Sabotage und Spionage, die die Beteiligung von Rosatom mit sich bringt, scheint damit auch unter den Mitarbeitenden schlicht nicht zu existieren.
Auch die Idee der ANF-Manager, dass die von Rosatom gelieferten Maschinen durch die Atomfabrik selbst gewartet werden könnten und - so die Implikation - bei eventuell auftretenden Problemen eben wieder außerhalb des Werksgeländes repariert würden, zeugt bestenfalls von Naivität. Auch hier ist eben nicht auszuschließen, dass auch in Zukunft Rosatom-Mitarbeiter*innen nach Lingen kommen, Zugang zu den Maschinen haben und in engem persönlichen Kontakt zu den Lingener Mitarbeiter*innen stehen.
Einfallstor Frankreich
Immer wieder tauchte in den Diskussionen die besondere Rolle Frankreichs auf: Das Gemeinschaftsunternehmen mit Rosatom gründete Framatome nach Kritik in Deutschland in Lyon. Die bereits aufgebauten Maschinen wurden über Frankreich angeliefert. Auch die Rosatom-Mitarbeiter kamen, so lässt sich aus den kargen Antworten der Konzern-Vertreter schließen, wohl mit französischen Visa nach Deutschland.
Überall, wo deutsche Behörden kritische Fragen stellen könnten oder gestellt haben, weicht Framatome damit auf Frankreich aus – und umgeht damit mögliche Kontrollen. Dabei ist nicht zu erwarten, dass Frankreich die Pläne von Framatome kritisch prüft. Im Gegenteil: Als Tochterunternehmen von EDF (Électricité de France) ist auch Framatome ein französisches Staatsunternehmen, und fragt damit bei seinen eigenen Eigentümern um Erlaubnis für seine Pläne.
Ukrainischer Kraftwerksleiter warnt vor Kooperation mit Rosatom
Und so sind sich eine Vielzahl von Personen und Institutionen – vom deutschen Geheimdiensten über Politiker*innen von Grünen und CDU bis hin zu Anti-Atom-Aktiven – einig in ihrer Bewertung der Gefahren einer Kooperation mit Russland und mit Rosatom. Nur die Atomfabrik Framatome / ANF scheint aufgrund ihrer wirtschaftlichen Interessen blind für die Risiken.
Auch der ehemalige technische Leiter des ukrainischen AKW Saporischschja, Oleg Dudar, warnt im Zusammenhang mit dem geplanten Ausbau der Brennelementefabrik Lingen eindringlich vor einer Zusammenarbeit. In einem während der Erörterung verlesenen Statement beschreibt er, wie sich Rosatom an der militärischen Eroberung und Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja beteiligt hat. Der Atomkraft-Befürworter schildert, wie der dem Kreml unterstellte Konzern bis heute eng mit Geheimdienst und Armee zusammenarbeitet. Demnach hat Rosatom unter anderem dabei mitgeholfen, das AKW zu verminen und AKW-Mitarbeiter*innen zu foltern. Mit seinem Handeln habe Rosatom die Welt an den Rand einer nuklearen Katastrophe gebracht, deren Folgen das Ausmaß von Fukushima noch übertreffen könnten.
Er warnt: „Die russische Atombehörde wird nicht zögern, jegliche Anforderung an nukleare Sicherheit auch in Deutschland und in jedem anderen Land zu verletzen, wenn dies zur Verwirklichung seiner Ziele und der Ziele Russlands beiträgt.”
„OLEG DUDAR: Argumente gegen Rosatom“ Zum Statement
„Hochrangiger AKW-Mitarbeiter warnt vor Kooperation mit Rosatom“ Zur Pressemitteilung
Erweiterung stoppen – Atomfabrik schließen!
Ingesamt zeigt sich damit während der Erörterung sehr deutlich, dass die Zusammenarbeit mit Rosatom unausweichlich mit der Möglichkeit von Spionage und Sabotage verbunden ist. Damit gefährdet der geplante Ausbau die Sicherheit Deutschlands und seiner Verbündeten und führt zu nuklearen Gefahren in sämtlichen von Lingen belieferten Atomkraftwerken.
Die Genehmigungsbehörden können damit nicht nur die Genehmigung für den Ausbau versagen – aufgrund der im Atomrecht verankerten Vorsorgepflicht sind sie dazu auch verpflichtet. Die von .ausgestrahlt bereits im Februar 2024 veröffentlichte juristische Bewertung hat sich im Erörterungstermin in erschreckerender Weise bestätigt. Jetzt kommt es darauf an, den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten, damit Landes- und Bundesregierung der Pflicht zur Ablehnung auch nachkommen – und die Atomfabrik Lingen letztlich ganz schließen.
Video-Eindrücke von der Erörterung findest Du unter: https://www.youtube.com/@ausgestrahlt/shorts
Mehr Informationen gibt es auch auf unserer Themenseite: ausgestrahlt.de/Lingen
Presseschau (Auswahl)
- Schwere Vorwürfe gegen Rosatom (taz, 22.11.2024)
- AKW-Brennelemente für Russland: Deutsches Unternehmen treibt gewagtes Spiel (efahrer.com, 22.11.2024)
- Spionage aus Russland befürchtet - Brennelementfabrik in Lingen sorgt für Zündstoff (ntv, 21.11.2024)
- Brennelemente aus Lingen für Osteuropa: Vorhaben wird kritisch diskutiert (Ems Vechte Welle, 21.11.2024)
- Brennelemente für den Osten aus Lingen? Einwände werden diskutiert (NDR, 21.11.2024)
- Widerstand gegen Brennelemente für Russland aus Lingener Fabrik (sat.1, 20.11.2024)
- Russischer Einstieg bei Brennelemente-Fabrik? (tagesschau, 20.11.2024)
- ANF-Pläne in Lingen: Atomgegner und Mitarbeiter stehen sich gegenüber (NOZ, 20.11.2024)
- Kritische Masse - Erörterungstermin zur Atomfabrik Lingen (taz, 20.11.2024)
- Heimliche Geschäftsanbahnungen im Möbellager (Zeit, 20.11.2024)
- Brennelementfabrik stößt auf viele kritische Fragen (SZ, 20.11.2024)
- Proteste bei Anhörung zum Ausbau von Brennelemente-Fabrik in Lingen (evangelisch.de, 20.11.2024)
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