Standortsuche „Endlager“: Abschied von der weißen Landkarte?

13.11.2024 | Helge Bauer
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Es ruckelt gehörig bei der Suche nach einem sogenannten Endlager für den hochradioaktiven Atommüll. Spätestens seitdem die mit der Suche beauftragte Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) bekannt gegeben hat, dass die im Gesetz vorgesehenen Zeitfenster nicht eingehalten werden können, ist das allen klar. Statt 2031 peilt sie nun einen Zeitraum zwischen 2046 und 2068 für die Festlegung auf einen Standort an.

Ein Gutachten des Öko-Instituts im Auftrag des Bundesumweltministeriums kommt sogar zu dem Schluss, dass dies nicht vor 2074 möglich sei. Steht der Standort fest, müssen aber noch das Bergwerk und weitere notwendige Anlagen geplant und gebaut werden. Die ersten Behälter werden somit erst im nächsten Jahrhundert den Ort erreichen, an dem sie für eine Million Jahre bleiben sollen.

Die Aussicht auf eine weitere jahrzehntelange Zwischenlagerung des Atommülls lässt die Emotionen hochkochen. Viele fordern eine Abkürzung des Verfahrens. So hat die vom Bundesumweltministerium eingesetzte Entsorgungskommission erst Ende Oktober einen weitreichenden Vorschlag vorgelegt, wie das Verfahren an entscheidenden Stellen abgespeckt werden könnte, um Zeit zu sparen. Verschwiegen wird dabei, dass die Umsetzung ihrer Ideen die tragenden Säulen des Gesetzes regelrecht einstürzen lassen würde.

Erinnern wir uns zurück: Von 2014 bis 2016 hat eine vom Bundestag eingesetzte Kommission, die in ihrer Zusammensetzung alle Teile der Gesellschaft widerspiegeln sollte, mit großem Aufwand das heutige Standortsuchverfahren erarbeitet. Ihre Ergebnisse wurden von vielen als breit getragener Konsens und somit als ein großer Erfolg dargestellt. Der dann gesetzlich festgelegte Weg zum „Endlager“ sollte auf den Grundprinzipien von Wissenschaftlichkeit, Transparenz, Partizipation und einem lernenden Verfahren aufbauen. Betrachtet man nun die konkreten Vorschläge der Entsorgungskommission (ESK), so hebeln diese zumindest Teile der genannten Grundprinzipien aus. 

Bisher ist es Ziel des Suchverfahrens, den bestmöglichen Standort zu finden. Ganz Deutschland wurde zu seinem Start als weiße Landkarte beschrieben, die gesamte Landesfläche kam in den Topf. Es wurden wissenschaftliche Kriterien aufgestellt, mit deren Hilfe Daten gesammelt, erhoben und verglichen werden sollten, um nach und nach geeignete Standorte herauszufiltern. Die ESK fordert nun aber eine Abkehr vom Ziel des bestmöglichen Standortes hin zu einem möglichst geeigneten Standort. Gebiete, für die noch keine oder wenige geologische Daten vorliegen, sollen frühzeitig aus dem Rennen genommen werden, um die Zeit für ihre eigentlich nötige Erkundung einzusparen. Zitat: „Vielmehr sollte auf Regionen fokussiert werden, deren Erfolgschancen aufgrund der bereits bestehenden Datenlage als besonders hoch eingeschätzt werden.“ Der bestmögliche Standort könnte so verloren gehen, nur weil bisher keine Daten zu seinem Untergrund vorliegen.

Die ESK geht aber noch weiter. Sie fordert, einen der drei bisher als endlagertauglich eingestuften Gesteinstypen, das kristalline Gestein, ohne weitere Untersuchungen grundsätzlich aus dem Verfahren auszuschließen. Entspricht ein solches Vorgehen noch dem Kriterium einer rein wissenschaftlichen Vorgehensweise, wenn Orte rausfallen, deren fehlende Eignung nicht nachgewiesen ist?

Die Mütter und Väter des Standortsuche-Gesetzes haben in § 1 auch das Grundprinzip des lernenden Verfahrens festgeschrieben. Dieses sollte ursprünglich dazu dienen, auch nach der Verabschiedung des Gesetzes neue Erkenntnisse in das Gesetz einfließen zu lassen, um es vor allem in Hinblick auf die anderen Prinzipien – Wissenschaftlichkeit, Partizipation, Transparenz – weiterzuentwickeln und zu stärken. Nun soll diese Möglichkeit genutzt werden, um das Gegenteil zu erreichen. Die ESK fordert eine Anpassung des Gesetzes. Zitat: “Die Gesetzgebung am Ende der Phase I sollte genutzt werden, um den Standortauswahlprozess unter Berücksichtigung der bis dahin gewonnenen Erfahrungen zu überdenken und so zu gestalten, dass die vielfältigen nach derzeitiger Rechtslage vorgesehenen Prozesse in ihrer Gesamtschau deutlich optimiert werden.“ Eine rein zeitliche Optimierung lässt befürchten, dass u.a. die ohnehin wenigen und unzureichenden, aber immer als „zeitaufwändig“ empfundenen Beteiligungsprozesse dem Rotstift zum Opfer fallen. Grundsätzlich ist hier weniger Partizipation, weniger Transparenz, weniger Wissenschaftlichkeit zu befürchten. Dies sind nur zwei Beispiele für mögliche negative Auswirkungen bei Umsetzung der ESK-Forderungen, weitere ihrer Vorschläge könnten ebenfalls sehr kritische Entwicklungen nach sich ziehen. Grundsätzlich sollte natürlich auch immer auf Möglichkeiten der zeitlichen Optimierung des Verfahrens geachtet werden. Diese dürfen aber den genannten Grundprinzipien der Ausrichtung des Verfahrens nicht widersprechen.

Häufig wird auch die Generationengerechtigkeit als Argument für das Zusammenstreichen des Verfahrens angeführt. Es sei ungerecht, unseren Nachkommen die Hinterlassenschaften einer Technologie aufzubürden, von der sie selbst keinen Nutzen mehr hatten. Wenn aber das laufende Verfahren den Rest der ohnehin angekratzten Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung verspielt, wächst die Gefahr, dass am Ende ein zweites Gorleben entsteht. Das könnte passieren, wenn der wissenschaftliche Weg und/oder die Transparenz über diesen Weg und damit seine Nachvollziehbarkeit verloren geht oder wenn die Bürger*innen weiterhin nicht wirklich am Verfahren beteiligt sind. Im schlimmsten Fall könnte ein übereiltes Verfahren ohne ausreichende Wissenschaftlichkeit zu einer Situation führen, wie wir sie derzeit in der Asse sehen. Den Scherbenhaufen müssten nachfolgende Generationen erst einmal zusammenkehren, bevor sie ein neues Verfahrensmodell töpfern könnten. Viel mehr Zeit ginge verloren, als man sie nun für eine gründliche und nachhaltige Arbeit benötigt. Leider wird dieser Aspekt der Generationengerechtigkeit in der Diskussion bisher kaum berücksichtigt.

Dass wir durch falsche Weichenstellungen nicht nur Gefahr laufen, dass das Verfahren in Zukunft aus den Schienen springt, sondern dass schon jetzt manches sehr unbefriedigend bleibt, hat die Veröffentlichung des ersten Jahresberichts der BGE Anfang November gezeigt. Auf den ersten Blick erscheint er als ein Weg zu mehr Transparenz. So benennt er doch, früher als es das Gesetz eigentlich vorsieht, 13 Teilgebiete, die zumindest in Teilen voraussichtlich aus dem Verfahren ausscheiden könnten. Richtet man den Blick aber auf die 77, die mit ihrer kompletten Fläche noch im Rennen sind, wird deutlich, wie wenig Transparenz es in Wirklichkeit gibt. Denn über den Arbeitsstand zu dieser Mehrzahl der Teilgebiete erfährt man nämlich nichts. Die BGE beantwortet nicht einmal die generelle Frage, ob die Untersuchungen zu einzelnen Gebieten überhaupt begonnen haben oder nicht. Doch zurück zu den 13 von der BGE  öffentlich als voraussichtlich ungeeignet bewerteten Gebieten. Auch hier fehlt auf den zweiten Blick die notwendige Transparenz, denn die Entscheidungen sind nicht überprüfbar und damit nachvollziehbar. Die dazu herangezogenen Geodaten bleiben zumindest teilweise unter Verschluss und sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Übrigens: Anders als in den Medien oft dargestellt, sind die von der BGE ausgewiesenen Bereiche der 13 Gebiete nicht endgültig aus dem Rennen. Die eigentliche Entscheidung trifft der Bundestag. Dieser ist dabei nicht an die Ergebnisse der BGE gebunden. Letztlich gilt also weiterhin das freie Spiel der politischen Kräfte, je nach Zusammensetzung des Bundestages. Gerade wenn sich aktuelle politische Tendenzen durchsetzen, lässt das nichts Gutes vermuten.

weiterlesen:

  • weiterführende Informationen im  Infoportal Standortsuche
  • Standortsuche im Nebel - Zehn Jahre nachdem der Bundestag einen „Neustart“ der Standortsuche beschließt, haben sich viele interessierte Einzelpersonen und Organisationen bereits desillusioniert abgewandt. Wie ist es dazu gekommen? Und was braucht es jetzt?

 

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