Der Deal mit Rosatom

24.10.2024 | Armin Simon
In Sachen Atomkraft sind Macron und Putin beste Freunde. Protest bei der Verleihung des westfälischen Friedenspreises in Münster am 28. Mai
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Foto: Arndt Hofmann

Die Atomfabrik Lingen will mit der staatlichen russischen Atombehörde gemeinsame Sache machen. Bald wird das Vorhaben öffentlich erörtert. Was dahinter steht und warum es viele empört.

1. Die Atomfabrik und ihr Projekt

Die Brennelementefabrik im niedersächsischen Lingen fertigt Brennelemente für Reaktoren westlicher Bauart. Dazu wandelt sie angereichertes Uranhexafluorid (UF6) in Uranoxidpulver um, presst und sintert daraus Uranpellets, befüllt damit Brennstäbe und montiert diese zu Brennelementen zusammen. Die Fabrik ist vom Atomausstieg ausgenommen. Durch das Abschalten der AKW in Deutschland und den Rückgang der Atomstromerzeugung europaweit ist sie nicht mehr ausgelastet. In Zusammenarbeit mit Rosatom (siehe unten) will sie künftig auch Brennelemente für Reaktoren russischer bzw. sowjetischer Bauart herstellen. Dazu ist sie auf Komponenten, Maschinen, Know-how und den Goodwill von Rosatom angewiesen. Daneben benötigt sie eine atomrechtliche Genehmigung, die Einwendungen dagegen werden im November erörtert (siehe Artikel „Herbstliche Putin-Festspiele“).

2. Rosatom und der Kreml

Die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands (Rosatom) ist die staatliche russische Atombehörde und zugleich der weltgrößte Atomkonzern. In ihr ist die gesamte zivile und militärische Atomwirtschaft Russlands vom Uranbergbau über Bau und Betrieb von AKW bis zur Atomwaffenproduktion zusammengefasst. Rosatom ist direkt dem Kreml unterstellt, der den Konzern für seine politischen Ziele einsetzt. Rosatom ist aktiv am Krieg gegen die Ukraine beteiligt, etwa bei der Besetzung des AKW Saporischschja.1, 2, 3, 4

3. Kollaborateur Framatome

Der französische Staatskonzern Framatome, einst die Reaktorsparte von Areva, ist über die Tochtergesellschaft Framatome ANF Betreiber der Lingener Atomfabrik. Framatome baut und entwickelt AKW, hält diese instand und versorgt sie mit Brennelementen. Der Konzern hat im Dezember 2021, als der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze schon in vollem Gang war, eine Langzeitkooperation mit Rosatom vereinbart, an der er (mit Rückhalt der französischen Regierung) bis heute festhält. Die geplante Zusammenarbeit mit Rosatom in Lingen ist ein Beispiel dafür. Die enge Verquickung der französischen Atomindustrie mit Rosatom ist einer der maßgeblichen Gründe, warum der russische Atomsektor bisher von allen EU-Sanktionen ausgenommen ist: Entsprechende Vorstöße scheiterten stets am Veto Frankreichs.5

4. Spionage und Sabotage

Die Brennelementefabrik Lingen und Framatome verfügen über detaillierte sicherheitsrelevante Informationen über die belieferten AKW; dies betrifft Reaktoren in ganz Europa. Die enge Zusammenarbeit mit Rosatom und der für das Projekt nötige kontinuierliche und enge Kontakt und Austausch von Informationen öffnen Einfallstore für Spionage, Sabotage, Drohungen und Erpressungen. Manipulierte Brennelemente könnten Störungen und Unfälle im Reaktor verursachen. Die von Rosatom gelieferten Maschinen, Komponenten und fertigen Brennstäbe, die zur Produktion der neuen Brennelemente verwendet werden sollen, bieten viele Möglichkeiten für Manipulationen und zur Verschleierung derselben. Auch Sabotageakte in der Fabrik in Lingen selbst sind denkbar. Die direkt dem Kreml unterstellte Atombehörde Rosatom verfügt technisch, organisatorisch und finanziell über alle Möglichkeiten, solche Szenarien umzusetzen. Sicherheitspolitische Bedenken sind auch der Grund, warum die Bundesregierung dem Joint Venture 2021/22 auf Basis des Außenwirtschaftsrechts kein grünes Licht erteilt. Framatome und Rosatom tragen es schließlich in Frankreich ins Handelsregister ein.

5. Uranimport & Uranexport

Ungeachtet des russischen Angriffs auf die Ukraine bezieht die Brennelementefabrik Lingen bis heute regelmäßig Uran aus Russland und verschafft dem Kreml damit wertvolle Einnahmen. Mit dem geplanten Ausbau würde auch Geld für Maschinen, Bauteile, Brennstäbe und Lizenzen in Putins Kriegskasse fließen. Beantragt sind darüber hinaus Exporte von Kernbrennstoff an eine Rosatom-Tochtergesellschaft, die sich damit brüstet, Atomwaffen und U-Boot-Reaktoren für das russische Militär zu bauen.6

6. Putins Atommaschinen und die Untätigkeit der Behörden

Noch bevor über die beantragte Genehmigung für den Einstieg Rosatoms in die Brennelementeproduktion in Lingen überhaupt entschieden ist, lässt Framatome im Frühjahr die Atom-Maschinen aus Russland bereits anliefern, aufbauen, konfigurieren und testen – versteckt in einer heimlich dafür angemieteten ehemaligen Möbelhalle in einem Lingener Gewerbegebiet. Ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt, sind dafür wochenlang Abgesandte des Kreml-Konzerns in Lingen tätig. Diese führen sogar Schulungen für Framatome-Mitarbeitende durch – unter Spionagegesichtspunkten ideale Bedingungen zur Anbahnung von Kontakten. Weder Sicherheitsbehörden noch Atomaufsicht schreiten ein.

Dieser Text erschien erstmals im .ausgestrahlt-Magazin 62 (Okt 2024 - Jan 2025)

weiterlesen:

  • Herbstliche Putin-Festspiele
    Ende November muss sich die Atomfabrik Lingen erstmals öffentlich der Kritik an ihrem Kooperationsprojekt mit dem Kreml-Konzern
  • „Framatome schafft Fakten am Gesetz vorbei“
    18.06.2024: Rechtsanwältin Michéle John über die Gefahr von Spionage und Sabotage durch Rosatom und den Versuch von Framatome, Sicherheitsvorschriften durch Ausweichen auf ein benachbartes Grundstück zu umgehen.
    Rosatom stellen – auch wenn sie genau darüber nicht reden will
  • Atomfabrik Lingen schließen - Keine Geschäfte mit Rosatom
    Alle Infos zur Brennelementefabrik, der geplanten Produktionsausweitung und die Rolle des russischen Staatskonzerns Rosatom.
  • Der Elefant im Raum
    12.02.2024: Die Brennelemente-Fabrik Lingen will ihre Produktion erweitern, die Unterlagen dazu liegen bis März öffentlich aus. Doch über die Kooperation mit Rosatom, Anlass der Expansion, und die Rolle des Kreml-Konzerns bei dem Projekt verlieren sie kein Wort.
  • Im Sicherheitsbereich
    5.1.2024: Berührt der Einstieg von Rosatom in die Brennelemente-Fertigung in Lingen bundesdeutsche Sicherheitsinteressen? Das legen Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums nahe. Und auch Reaktorsicherheitsexpert*innen warnen: Ein derartiger Partner in einem solchen Betrieb sei keine gute Idee.
  • Kein Ausbau der Brennelementefabrik in Lingen – Sicherheitsgefahren nicht verheimlichen
    26.10.2023: Das Bundeswirtschaftsministerium sieht im Zusammenhang mit dem Einstieg Russlands in die Brennelementefertigung in Lingen die Möglichkeit einer „Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen“ Deutschlands und die Gefahr von „Sabotageakten“ – bis heute.
  • Der Atom-Riese
    3.8.2023: Der russische Staatskonzern Rosatom ist der größte Player im weltweiten Atomgeschäft. Im Auftrag des Kreml verbreitet er Atomkraft in alle Welt – und ist auch am Angriff auf die Ukraine beteiligt. Ein Überblick
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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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