„Framatome schafft Fakten am Gesetz vorbei“

18.06.2024 | Armin Simon
Putins Männer sind schon vor Ort
Putins Männer sind schon vor Ort
Foto: Lars Hoff

Rechtsanwältin Michéle John über die Gefahr von Spionage und Sabotage durch Rosatom und den Versuch von Framatome, Sicherheitsvorschriften durch Ausweichen auf ein benachbartes Grundstück zu umgehen.

Frau John, der Betreiber der BrennelementeFabrik in Lingen will in Zusammenarbeit mit dem russischen Staatskonzern Rosatom die Brennelementefertigung in Lingen ausbauen. Kann die Atomaufsicht dieses Vorhaben verhindern?
Michéle John: Die Behörde hat ein sogenanntes Versagungsermessen, darin unterscheidet sich das Atomrecht von vielen anderen Rechtsgebieten. Selbst wenn die im Gesetz genannten Voraussetzungen für eine Genehmigung erfüllt sind, kann die Behörde diese versagen – zum Beispiel, weil das Vorhaben gegen die Gesetzeszwecke in § 1 AtG verstoßen könnte, nämlich die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

Die Bundesregierung hat dafür schon vor zweieinhalb Jahren Erkenntnisse zusammengetragen, damals auf Basis des Außenwirtschaftsrechts. Sind diese auch im atomrechtlichen Verfahren relevant?
Ob eine Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit vorliegt, kann auch mit Blick auf die Kriterien des Außenwirtschaftsrechts beantwortet werden, und natürlich spielt auch die Gefährdung der Sicherheitslage eine Rolle, beispielsweise durch mögliche Einflussnahmen eines ausländischen Staates auf kritische Infrastrukturen.

Welche Sicherheitsgefahren könnten aus dem Vorhaben denn erwachsen?
Die Brennelemente sollen unter Beteiligung und Lizenz von Rosatom hergestellt werden. Rosatom ist ein russischer Staatskonzern, direkt dem Kreml unterstellt. Er bündelt alle nuklearen Aktivitäten Russlands, vom Uranabbau über AKW bis zu den Atomwaffen. Der Konzern ist auch an der illegalen Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja beteiligt.

Aber was hat all das mit dem Projekt in Lingen zu tun?
Es geht etwa um die Gefahr von Spionage und Sabotage. Wir wissen, dass Russland das gerade auf allen Ebenen versucht, und gerade kritische Infrastrukturen sind immer ein Ziel. Mit dem Projekt bekäme der Kreml Zugang zu einer Fabrik, die Brennelemente für AKW in ganz Europa fertigt. Nicht nur physischen Zugang, über von Rosatom gelieferte Maschinen, die von Rosatom-Mitarbeitenden aufgebaut, konfiguriert und gewartet werden, oder persönlich über Schulungen, bei denen Rosatom-Leute zum Personal der Fabrik Kontakte aufbauen können. Sondern sicher auch elektronisch, weil die Framatome-Mitarbeitenden ja einen engen Austausch mit Rosatom pflegen werden. Da bieten sich jede Menge Einfallstore.

Betrifft das nur die Brennelemente-Fabrik in Lingen selbst?
Nein. In Lingen sind sensible und sicherheitsrelevante Informationen zu allen von Lingen belieferten AKW in ganz Europa vorhanden. Die Fabrik ist außerdem in ein Netz von Zulieferern aus dem Nuklearbereich eingebunden und Teil des Framatome-Konzerns, der Reaktoren baut, entwickelt und wartet. Wir müssen davon ausgehen, dass das europaweit Auswirkungen haben kann.

In den jüngsten Berichten über Spionage-Verdachtsfälle in Deutschland unter anderem durch Russland war auch die Rede von möglichen Sabotage-Akten. Womit muss man da bei dem Projekt in Lingen rechnen?
Zu befürchten sind etwa Manipulationen an den Brennelementen. Rosatom liefert und programmiert ja nicht nur die Maschinen, die hier aufgestellt werden sollen, sondern liefert auch Komponenten für die zu fertigenden Brennelemente. Dazu gehören sogar fertig verschweißte Brennstäbe, in die keiner mehr reinschauen kann. Mit seinem Wissen, seinen technischen, organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten dürfte es für Rosatom ein Leichtes sein, unbemerkbar veränderte Komponenten anzufertigen oder den Prozess in Lingen so zu manipulieren, dass am Ende fehlerhafte Brennelemente herauskommen. In den Reaktoren, in denen diese dann eingesetzt werden sollen, könnte sich das fatal auswirken: mit unerwarteten Reaktionen, Strahlenfreisetzungen, Schäden am Reaktor und indirekt damit auch Störungen der Stromversorgung.

Die aus Lingen belieferten AKW liegen allesamt im Ausland. Inwiefern sind mögliche Gefahren dort für das Verfahren hier relevant?
Solche Ereignisse könnten auch Auswirkungen auf Deutschland haben – radiologisch, über das Stromnetz oder politisch: Sabotage „made in Lingen“ hätte auch Auswirkungen auf die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.

Framatome hat eingeräumt, das Projekt nicht ohne Hilfe von Rosatom-Mitarbeitenden durchführen zu können. Müssten die dann auch einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden, wie alle Personen, die in der Brennelemente-Fabrik arbeiten?
Ja. Aber die Frage ist, ob die Verfassungsschutz- und Polizeibehörden in Deutschland überhaupt an belastbare Informationen über diese Leute kommen. Das hängt immer auch von der Mitarbeit des entsendenden Staates ab, in dem Fall also des Kreml.

Framatome hat, wie .ausgestrahlt mit aufgedeckt hat, die Maschinen aus Russland bereits anliefern lassen. Rosatom-Mitarbeitende haben sie in Lingen auf einem Grundstück in der Nähe der Fabrik aufgebaut, getestet, konfiguriert und die Framatome-Mitarbeitenden dort geschult. Was halten Sie davon?
Das ist ein Trick, um die Sicherheitsüberprüfungen der Rosatom-Leute zu umgehen. Aufbau und Einrichtung der Maschinen ist meines Erachtens außerdem bereits ein „Errichten“ einer Atomanlage. Die atomrechtliche Genehmigung dafür ist noch nicht erteilt, das Verfahren läuft ja noch. Framatome schafft hier Fakten am Gesetz vorbei.

Es gab mehr als 11.000 Einwendungen gegen das Vorhaben. Das niedersächsische Umweltministerium muss diese öffentlich erörtern und dann im Benehmen mit der Bundesatomaufsicht entscheiden. Welche Optionen hat der Minister?
Er könnte die Genehmigung erteilen, mit oder ohne Auflagen. Er könnte verlangen, weitere Unterlagen einzureichen. Oder er könnte die Genehmigung wegen erheblicher Zweifel versagen.

Interview: Armin Simon

Michéle John
Foto: rae-guenther.de

Dr. Michéle John ist Verwaltungsrechtlerin in der Kanzlei Günther in Hamburg. Im Auftrag von .ausgestrahlt hat sie eine Expertise zu den sicherheitspolitischen Gefahren erstellt, die bei einem Einstieg Rosatoms in Lingen drohen, und dargelegt, welche Folge dies für das atomrechtliche Genehmigungsverfahren haben muss. Außerdem vertritt sie .ausgestrahlt in dem Verfahren.

Die „Rechtliche und sachliche Bewertung zum Genehmigungsverfahren“ kannst Du hier herunterladen: ausgestrahlt.de/lingen

Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 61 (Juni-September 2024)

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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