Atomkraft schadet dem Klima

06.02.2024 | Julian Bothe
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Die Bekämpfung der Klimakrise ist so dringend, dass wir uns auf die Mittel konzentrieren müssen, die möglichst schnell möglichst viel bewirken können. Schon deshalb fällt Atomkraft raus.

Atomkraft bremst den Klimaschutz aus

Atomkraft ist nicht nur die mit Abstand teuerste Form der Stromerzeugung. Auch die Kostenentwicklung spricht gegen sie: Denn während die Kosten der erneuerbaren Energien seit Jahren zum Teil drastisch fallen, wird Atomkraft immer teurer, wie die Grafik von Our World in Data eindrücklich zeigt.

Die Investmentbank Lazard, die seit Jahren die Stromgestehungskosten (Levelized Cost of Electricity, LCOE) unterschiedlicher Energieerzeugungsarten vergleicht, kommt in ihrer jüngsten Analyse01 – durchgeführt am Beispiel der USA, aber indikativ auch für andere Regionen – zu folgenden Ergebnissen:

  1. Strom aus Windkraft und Solarstrom aus großen Anlagen ist deutlich billiger als Atomstrom, der das Neun- bis Zehnfache kosten kann.
  2. Sogar inklusive der Kosten für nötige Stromspeicher ist Wind- und Solarstrom meist günstiger als Strom aus neuen AKW.
  3. Selbst Laufzeitverlängerungen bereits abgeschriebener alter AKW kosten wegen der nötigen Nachrüstungen und Reparaturen auf die Kilowattstunde umgerechnet mehr als neu errichtete Wind- oder Solarkraftwerke.

Jeder Euro und Dollar kann nur einmal ausgegeben werden. Geld, das in erneuerbare Energien investiert wird, ersetzt bis zu zehnmal mehr fossil erzeugten Strom, als wenn es in Atomkraft fließt – alleine aufgrund des Preisvorteils der erneuerbaren Energien. Umgekehrt verhindern Investitionen in Atomkraft Investitionen in erneuerbare Energien, die unterm Strich viel mehr Strom liefern und viel mehr CO2 einsparen würden, als mit dem Geld finanzierte AKW es je tun werden.

Müsste die Atomkraft ihre Folgekosten selbst tragen, etwa eine Haftpflichtversicherung abschließen, welche die Schäden bei einem Super-GAU abdeckt, wäre sie nochmals erheblich teurer, der Preis- und Klimavorteil der Erneuerbaren noch größer.

Entwicklung der Stromgestehungskosten (LCOE) unterschiedlicher Energieartenin Abhängigkeit von der weltweit installierten Kapazität

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Foto: Our World in Data

Atomkraft hält Fossilstrom im Geschäft

Die Planungs- und Bauzeit von Atomkraftwerken ist in der Regel deutlich länger als die von Erneuerbaren-Anlagen. Wer auf Atomkraft setzt, nimmt in Kauf, dass fossile Kraftwerke viele Jahre länger Strom produzieren, als dies der Fall wäre, wenn statt Atomkraft die erneuerbaren Energien ausgebaut würden. Dies vergrößert den Klimavorteil der Erneuerbaren, den diese bereits aufgrund ihres günstigeren Preises haben – und verschlechtert die CO2-Bilanz von Atomstrom. Dem Energieprofessor Marc Jacobsen zufolge02 verursacht Strom aus Atomkraft, über einen Zeitraum von 100 Jahren gerechnet, 9 bis 37 Mal so hohe Treibhausgasemissionen wie dieselbe Menge Strom aus Onshore-Windkraft und bis zu 223 Mal so viel Treibhausgasemissionen wie Solarstrom vom Dach.

Atomkraft blockiert die Transformation des Energiesystems

In einem Energiesystem, das auf erneuerbaren Energien fußt, gibt es keinen Platz für „Grundlast“-Kraftwerke mehr, die das ganze Jahr auf Volllast durchlaufen. Zu decken ist nur noch die so genannte Residuallast, also der Strombedarf, den die Erneuerbaren im jeweiligen Moment nicht decken. Die Residuallast schwankt stark und häufig. Das hat Auswirkungen auf den dafür nötigen Kraftwerkspark: Gefordert sind flexible Kraftwerke, die häufig an- und abschalten und im Betrieb ihre Leistung flexibel regeln können. Da sie nur stunden- und tageweise zum Einsatz kommen, müssen sie vor allem günstig zu bauen sein; ihre Betriebskosten sind aufgrund ihrer geringen Auslastung nicht so relevant. Atomkraftwerke sind dafür maximal ungeeignet.03

Schon bei einem Erneuerbaren-Anteil von 54% (darunter 41% Wind und Solar), wie in Deutschland 2023 der Fall, ist so gut wie kein Kraftwerk mehr im „Grundlast“-Betrieb. Steigt der Anteil von Wind- und Solarstrom nur auf 50% an, ist bereits in jeder dritten Stunde des Jahres keine zusätzliche Stromerzeugung mehr nötig.

Ein Festhalten an Atomkraft – auch getarnt als angebliche „Ergänzung“ zu Sonne und Wind – behindert den Ausbau der erneuerbaren Energien und den Umbau des Energiesystems, und zwar physikalisch, ökonomisch und politisch: Die Gesamtkosten steigen, die Energiewende wird ausgebremst.04

Atomkraft lenkt ab von dem, was wichtig ist

Das Gerede um Atomkraft, von ihren Fans nach Kräften befeuert, oder um die „Option Kernkraft“, auf welche die CDU im Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms in Zeile 1778 zumindest „nicht verzichten“ wollte,05 das Geraune von Kernfusions- und anderen Reaktoren, von denen nicht einmal vage abzusehen ist, ob sie jemals Strom erzeugen: Mit seriöser Klima- und Energiepolitik hat das nichts zu tun. Aber es nährt die falsche Hoffnung, dass die Klimakrise verschwinden und uns nicht weiter belästigen würde, wenn, ja wenn bloß die Atomkraft endlich oder wieder zum Zuge käme. Wer daran glaubt, braucht sich um Anderes, Unbequemeres, nicht mehr zu kümmern. Nichts lässt der Klimakrise freieren Lauf.

Was wirklich helfen würde gegen die drohende Klimakatastrophe, hat der von Atom-Fans oft ins Feld geführte Weltklimarat in einem seiner IPCC-Berichte präzise aufgelistet. Die Wissenschaftler*innen haben die verschiedenen Möglichkeiten, CO2-Emissionen zu reduzieren, auf ihr Treibhausgas-Minderungs-Potenzial abgeklopft. Diese „Potenzial-Balken“ haben sie dann farblich eingefärbt, nach den für die Umsetzung der jeweiligen Option zu erwartenden Kosten.

Atomkraft ist demnach, zusammen mit der CCS-Technik, die mit Abstand teuerste Methode, Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Und ihr Potenzial dafür ist, verglichen mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien, ziemlich begrenzt.06

Atomkraft-schadet-dem-Klima-Grafik-Mitigation-options-Mag60.jpg
Foto: IPCC 2023

Quellen

  1. Lazard, „Levelized Cost of Energy Comparison—Unsubsidized Analysis“; in: Lazard, „2023 Levelized Cost of Energy+“, April 2023, S. 5.
  2. Jacobson, Mark Z., „Evaluation of Nuclear Power as a Proposed Solution to Global Warming, Air Pollution, and Energy Security; in: Jacobson, Mark Z., „100% clean, renewable energy and storage for everything“, 2021.
    Jacobson, Mark Z., Tweet 31.08.2023.
  3.  Hirth, Lion, Tweet 28.06.2022.
  4. Sovacool, Benjamin K. et. al., „Differences in carbon emissions reduction between countries pursuing renewable electricity versus nuclear power“, 2020; in: Nat Energy.
  5. CDU Bundesvorstand, „In Freiheit leben“, Entwurf des CDU-Grundsatzprogramms, Dezember 2023.
  6. IPCC, „Multiple Opportunities for scaling up climate action“, Fig. SPM.7; in: IPCC, Climate Change 2023 Synthesis Report, Summary for Policymakers, 2023.
Dieser Text erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 60 (Feb./März/Apr. 2024)

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Julian Bothe

Julian Bothe arbeitet bei .ausgestrahlt zum Thema Klimakrise und Atomkraft. Er ist ausgebildeter Geograph und beschäftigt sich seit langem mit Energiefragen. Seit seiner Jugend ist er aktiv in sozialen Bewegungen – für Bewegungsfreiheit, Energiedemokratie und Klimagerechtigkeit.

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