Die Putschisten in Niger stoppen die Uran-Exporte. Das könnte auch die französische Atomindustrie in die Bredouille bringen, die bis heute die Hand auf die Uranvorkommen in der ehemaligen französischen Kolonie hält.
Niger gehört zu den großen Uranlieferanten der Welt, vor allem durch zwei Uranminen in Arlit im Norden des Landes. Die Stadt verdankt ihre Existenz einzig dem Uranvorkommen – und der Bedeutung, die der Rohstoff für Frankreichs Atomindustrie hat. Die Region war jahrhundertelang Heimat der Tuareg-Nomaden, die das Gebiet als Weide-, Wander- und Anbaugebiet nutzten. Mit der Entdeckung von Uran im Jahr 1965 änderte sich das radikal. In den direkt nebeneinander liegenden Minen Arlit und Akokan fanden 25.000 Menschen an einem staubigen Ort Arbeit, wo zuvor praktisch nichts war.
Uran im Wert von zig Milliarden Dollar wurde seither im Niger gefördert. Doch das Land hat davon praktisch nichts: Es gehört zu den ärmsten der Welt und liegt beim Human Development Index der Vereinten Nationen auf dem drittletzten Platz. 45 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze, jedes zweite Kind ist unterernährt, 1,7 Millionen der rund 25 Millionen Männer, Frauen und Kinder hungern.
Die Gründe dafür sind in der französischen Ausgabe des Uranatlas* ausführlich beschrieben: Niger wurde 1960 zwar offiziell als Staat selbstständig, aus der kolonialen Abhängigkeit ist das Land aber so gut wie nicht herausgekommen. Das begann bereits damit, dass Frankreich sich den Zugriff auf das nigrische Uran vertraglich zusichern ließ, bevor es der Unabhängigkeit seiner ehemaligen Kolonie zustimmte.
Staatliche Bergbaufirmen
Um die Uranlagerstätte in Arlit ausbeuten zu können, gründete Frankreich 1968 die staatliche Bergbaugesellschaft Société des Mines de l'Aïr (Somaïr). Niger hält bis heute nur 36 Prozent der Anteile daran und musste dem Konzern vorteilhafte Steuerbestimmungen zugestehen. Die verbleibenden Anteile gehören der inzwischen verstaatlichten französischen Orano (früher Areva). Unter vergleichbaren Bedingungen entstand 1970 die Compagnie Minière d’Akouta (COMINAK), die für den Uranabbau im benachbarten Akokan zuständig ist.
Frankreich hat sich durch diese Beteiligungen über Jahrzehnte den Rohstoff für seine Atomkraftwerke gesichert. Der Großteil des in Niger geförderten Urans ging per Lkw ins 2.000 Kilometer entfernte Cotonou in Benin am Atlantischen Ozean und von dort per Schiff nach Marseille. Noch vor rund zehn Jahren deckte Niger rund 40 Prozent des französischen Uranbedarfs, im vergangenen Jahr – nach Schließung der ausgebeuteten Untertagemine in Akokan – war es noch knapp ein Viertel.
Doch seit August ist auch damit vorerst Schluss: Die neuen Machthaber haben ihren Putsch mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes aufgrund der neokolonialen Ausbeutung begründet und den Export von Uran gestoppt. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) hat zudem die Grenzen zu Niger geschlossen. Keine einzige Tonne Uran wird derzeit nach Cotonou transportiert. „Weil die Grenzen geschlossen sind, kommt kein Treibstoff mehr ins Land. Der ist aber nötig, um Uran abzubauen“, beschreibt der Anti-Uran-Aktivist Almoustapha Alhacen die Situation vor Ort.
Uranatlas
Den von .ausgestrahlt mit herausgegebenen Uranatlas kannst Du downloaden unter ausgestrahlt.de/uranatlas
Die französische Version mit speziell für Frankreich relevanten Aspekten findest Du unter nuclear-free.com/uranatlas
In der Vergangenheit achtete die französische Regierung immer darauf, dass sich an den günstigen Uranlieferungen nichts ändert. Als Hamani Diori, der erste Präsident des neu gegründeten Staats Niger, bereits Anfang der 1970er Jahre von Frankreich beziehungsweise vom staatlichen Commissariat à l’énergie atomique forderte, den Uranpreis zu erhöhen, wurde er durch einen Militärputsch gestürzt. Der neue Diktator Seyni Kountché nahm bis zu seinem Tod 1987 mehr Rücksicht auf die französischen Uran-Interessen. Auch alle Nachfolger, ob nun demokratisch gewählt oder mit militärischer Gewalt ins Amt gekommen, blieben treue Verbündete der uranhungrigen früheren Kolonialmacht.
Dass Frankreich nun angekündigt hat, seine Truppen aus Mali abzuziehen, ist insofern ein neues Signal: dafür, dass es aktuell in Niger militärisch nicht eingreifen will. Nichtsdestotrotz warf der Putsch Ende Juli sogleich die Frage der Uranversorgung der französischen AKW auf. Orano redete das Problem klein, betonte, dass ohnehin nur noch die Mine in Arlit in Betrieb sei und behauptete zunächst, es gehe alles seinen gewohnten Gang. Frankreichs Außenministerium beschwichtigte, dass Frankreich mit Uran aus Kanada, Australien und Kasachstan „extrem diverse Lieferketten habe“ und die Minen in „Niger nur vier Prozent der globalen Uranproduktion“ ausmachten. Laut Wirtschaftswoche hat die EU-Atomwirtschaft zudem „noch Uran für etwa drei Jahre eingelagert.“ Auch bei einem fortdauernden Exportstopp Nigers stünden die AKW in Frankreich und anderen EU-Ländern also nicht sofort ohne Brennstoff da.
Uranvorkommen Imouaren
Mittelfristig könnte der Putsch die französische Atomwirtschaft dennoch in Schwierigkeiten bringen. Orano hält 66 Prozent am Imouraren-Vorkommen 80 Kilometer südlich von Arlit. 217.000 Tonnen Uran lagern dort laut Uranatlas. Orano wollte in einigen Jahren im sogenannten In-Situ-Leaching-Verfahren jährlich 5.000 Tonnen Uran fördern, das entspricht rund zehn Prozent der derzeitigen weltweiten Fördermenge. Ob und wenn ja wann das Projekt nun startet, ist jetzt fraglich. Welch große Auswirkungen auf den Uranmarkt ein paar tausend Tonnen Uran mehr oder weniger im Jahr aber haben, zeigt ein Blick auf die Finanzmärkte: Der Uranpreis ist nach dem Exportverbot der nigrischen Militärs von 43 auf inzwischen 66 US-Dollar pro Pound gestiegen. Kein Wunder: Die weltweite Uranförderung liegt seit 2016 unter dem, was die AKW jährlich verbrauchen.
Manche Menschen in Niger dagegen verbinden mit dem Exportverbot von Uran neue Hoffnungen: „Derzeit ist der Abbau von Uran ein Desaster für Niger“, betont Almoustapha Alhacen, der selbst Jahrzehnte im Uranbergbau gearbeitet hat und viele seiner Kollegen an den Folgen der radioaktiven Belastung sterben sah. „Er ist ein ökonomisches und ökologisches Desaster, denn das Uran wird auf unkontrollierte Weise abgebaut. Man kann sogar von einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprechen. Wenn weiterer Abbau bedeutet, dass die Verschmutzung so weitergeht wie bisher, dann ist es besser, damit aufzuhören.“
Aus den Minen in Arlit und Akokan wurden bislang rund 150.000 Tonnen Uran gefördert. Bei der geringen Erzkonzentration von 0,1 Prozent hinterließ der Bergbau 150 Millionen Tonnen zermahlene Gesteinsreste, die sämtliche Abbauprodukte von Uran enthalten und weitgehend ungeschützt unter freiem Himmel lagern. Wüstenstürme verteilen radioaktiven Staub großräumig und tragen ihn auch in die Häuser der Bergleute und ihrer Familien. Auch bei vier von fünf Trinkwasserproben, die Greenpeace vor einigen Jahren nahm, lag die Urankonzentration über dem von der WHO empfohlenen Grenzwert.
Ob in Niger weiterhin Uran abgebaut wird, ist ungewiss. Almoustapha Alhacen glaubt jedenfalls nicht, dass es der neuen Militärregierung gelingen wird, bessere Konditionen durchzusetzen. Der Anti-Uran-Aktivist wünscht sich zwar eine weitere Kooperation mit dem Westen, allerdings sollten dann die Menschen in Niger davon profitieren. Danach sieht es derzeit nicht aus. Orano hat die Produktion vor Ort auf unbestimmte Zeit gestoppt. Sollte sich der Konzern ganz aus Niger verabschieden, dürfte er sich erst recht nicht mehr für seine Altlasten dort verantwortlich fühlen.
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