Im Sicherheitsbereich

05.01.2024 | Armin Simon
Brennelemente-Fertigung in Lingen, noch ohne Rosatom
Brennelemente-Fertigung in Lingen, noch ohne Rosatom
Foto: Framatome / Thomas Keuter

Berührt der Einstieg von Rosatom in die Brennelemente-Fertigung in Lingen bundesdeutsche Sicherheitsinteressen? Das legen Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums nahe. Und auch Reaktorsicherheitsexpert*innen warnen: Ein derartiger Partner in einem solchen Betrieb sei keine gute Idee.

Am liebsten will man gar nichts sagen. Ob, inwiefern und aus welchen Gründen ein Einstieg des russischen Staatskonzerns Rosatom in die Brennelemente-Fertigung in Lingen möglicherweise ein Sicherheitsrisiko darstellt, darauf habe „nicht einmal das Parlament“ einen Informationsanspruch, teilt das Bundeswirtschaftsministerium mit. Weswegen es den Antrag von .ausgestrahlt auf Einsicht in die entsprechenden Unterlagen in Bausch und Bogen ablehnt.

Dabei beschäftigen diese Fragen – und die aus den Antworten zu ziehenden Konsequenzen – 2021 und 2022 monatelang diverse Ressorts. Anlass ist ein Antrag der Rosatom-Tochter TVEL, die mit dem französischen Staatskonzern Framatome ein Gemeinschaftsunternehmen gründen will, um die Brennelemente-Fabrik im niedersächsischen Lingen zu erweitern. Das Kartellamt gibt dafür im Frühjahr 2021 grünes Licht. Die Bundesregierung aber zögert, recherchiert, diskutiert. Es ist eines der wenigen Investitionsprüfungsverfahren, bei dem tatsächlich ein Verbot im Raum steht. Weswegen es jenen „internen Willensbildungsprozess zur Vorbereitung einer Kabinetts- bzw. Ressortentscheidung“ braucht, zu dem das Wirtschaftsministerium jeden Informationsanspruch verneint.

Gelegenheit zur Sabotage?

Brennelemente sind sicherheitstechnisch heikel für den Reaktorbetrieb. Technisch bestehen sie aus einem Bündel Brennstäbe, die in einem bestimmten Raster und Abstand zueinander fixiert sind. Die Brennstäbe selbst bestehen aus mit Uran-Pellets gefüllten Hüllrohren aus einer speziellen Legierung. Sie müssen die hochradioaktiven Spaltprodukte, die bei der Kernspaltung entstehen, sicher einschließen. Der korrekte Neutronenfluss, die Hitzeverteilung, die Kühlung, die Leistungsregelung und die Notabschaltung des Reaktors – all das hängt von den Brennelementen ab. Die Stabilität und Integrität der Brennstäbe und Stützgitter zu gewährleisten unter den extremen thermischen, mechanischen und radiologischen Bedingungen, die im Reaktorkern herrschen, ist eine eher komplexe Angelegenheit.

Eröffnet das auch Möglichkeiten der Sabotage? Könnten absichtlich fehlerhaft hergestellte Brennelemente, die irgendwann beim Einsatz im AKW versagen, dieses möglicherweise sogar in gefährliche Situationen bringen? Reaktorsicherheitsexpert*innen verweisen auf die umfangreichen Kontrollen sowohl in der Brennelemente-Fertigung als auch in den belieferten AKW. Eine nicht regelkonforme Reaktivität des Brennstoffs etwa oder Abweichungen bei den Hüllrohren würden dabei vermutlich auffallen, heißt es.

Andererseits treten immer wieder Schäden an Brennelementen auf: Gebrochene Halterungen und Federn, zerbröselnde Pellets, Korrosion und undichte Hüllrohre – die Störungslisten der Kraftwerke sind voll davon. In der Regel, sagt die Reaktorsicherheitsexpertin Oda Becker, machten die Betreiber Fehler bei der Herstellung der Brennelemente dafür verantwortlich – die also offensichtlich passieren und trotz aller Kontrollen unbemerkt bleiben. „Sabotage ist immer möglich“, so Becker. Und auch Kontrollen ließen sich umgehen, wenn es ausreichend viele Mittäter*innen gebe.

Schaden anrichten vor Ort in Lingen könnte man vor allem mit der Uran-Konversionsanlage, die zur Brennelemente-Fabrik gehört. Die wandelt gasförmig angeliefertes Uranhexafluorid (UF6) in pulverförmiges Urandioxid um, das dann zu Uran-Pellets gepresst wird. UF6 ist nicht nur radioaktiv, sondern verbindet sich mit Luftfeuchtigkeit auch zu hochgiftiger und stark ätzender Flusssäure. Ein Ereignis, das größere Mengen davon freisetzt, könnte die Region kontaminieren.

Michael Sailer, ehemaliger Reaktorsicherheitsexperte beim Öko-Institut und bis 2006 Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, sieht noch eine ganz andere Gefahr. Der Betreiber einer Brennelemente-Fabrik, sagt er, verfüge über zahlreiche Kenntnisse über die belieferten Reaktoren – und die ließen sich im Zweifel nutzen, um deren Betrieb zu stören. „Das ist ein Sicherheitsproblem“, unterstreicht Sailer. Sein Fazit: Einen Betreiber wie Rosatom, der einem Regime wie dem von Putin unterstehe, „lässt man da nicht ran“.

Sicherheitsinteressen beeinträchtigt

Hier schließt sich der Kreis zu dem Investitionsprüfungsverfahren, das die Bundesregierung 2021/22 durchgeführt hat. In einem solchen Verfahren nämlich geht es darum, eine „voraussichtliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ abzuwenden. Besonderes Augenmerk ist dabei laut Außenwirtschaftsverordnung (AWV) unter anderem darauf zu richten, ob das Unternehmen kerntechnische Materialien, Anlagen und Ausrüstung „entwickelt, herstellt, modifiziert oder nutzt“, die als so genannte „Dual-Use“-Güter gelten. Dazu zählen laut EU-Verordnung 2021/821 explizit „Anlagen, besonders konstruiert für die Herstellung von Kernreaktor-Brennelementen, und besonders konstruierte oder hergerichtete Ausrüstung hierfür“. Dies schließt die Brennelemente-Fabrik Lingen zweifelsohne ein. Gleiches gilt für das dort verarbeitete Uran („besonderes spaltbares Material“) sowie die firmeneigene Uran-Konversionsanlage („Anlage zur Konversion von Uran und besonders konstruierte oder hergerichtete Ausrüstung hierfür“).

Unter die Lupe zu nehmen ist nach Außenwirtschaftsrecht aber auch das investierende Unternehmen selbst. Ausdrücklich Berücksichtigung finden kann laut AWV etwa, ob dieses „unmittelbar oder mittelbar von der Regierung (…) eines Drittstaates kontrolliert wird“ – im Falle von Rosatom unstrittig der Fall. Die Frage, ob das Unternehmen „bereits an Aktivitäten beteiligt war, die nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union hatten“, dürfte bei Rosatom mindestens im Raum stehen. Schlussendlich ist kaum von der Hand zu weisen, dass „ein erhebliches Risiko besteht“, dass Rosatom und seine Mitarbeitenden „an Aktivitäten beteiligt waren oder sind, die in Deutschland den Tatbestand (…) einer Straftat (…) nach (…) dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen erfüllen würden.“ Schließlich umfasst der Konzern auch den gesamten militärischen Nuklearsektor Russlands. Dazu gehört auch die Entwicklung und Herstellung von Atomwaffen – in Deutschland gemäß § 19 Kriegswaffenkontrollgesetz mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belegt.

Framatome und Rosatom blasen den ursprünglichen Plan, ihr Joint Venture in Deutschland zu gründen, kurz vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine ab. Ein Nein aus Berlin wollen sie offensichtlich nicht riskieren. Stattdessen gründen sie das Joint Venture wenig später in Frankreich, wo sie keinen Regierungswiderspruch zu fürchten haben. Anschließend stellen sie in Deutschland einen Genehmigungsantrag für den Ausbau der Brennelemente-Fabrik.

Dem Kreml unterstelltes Personal in Lingen

Den Angaben der Antragsteller zufolge sollen künftig auch russische Mitarbeiter*innen der Rosatom-Tochter TVEL in der Anlage in Lingen unterstützend tätig werden. Personen, die in ihrer Funktion direkt dem Kreml unterstellt seien, erhielten so Zugang zu hochsensibler Infrastruktur in Deutschland, kritisieren Atomkraftgegner*innen. Gerne würde man erfahren, was die Bundesregierung zu diesen Fragen erwogen hat. Die Unterlagen zu der Prüfung jedoch hält das Bundeswirtschaftsministerium wie eingangs erwähnt unter Verschluss. Es begründet dies ausgerechnet damit, dass „die Offenlegung der genannten Erwägungen weiterhin deutsche Sicherheitsinteressen beeinträchtigen kann“, konkret beispielsweise „im Hinblick auf Ziele von Sabotageakten“.

Hellhörig machen sollte dies das niedersächsische Umweltministerium. Als Landesatomaufsicht ist es zuständig für das Genehmigungsverfahren, das für den geplanten Ausbau der Brennelemente-Fabrik erforderlich ist. Neben möglichen Gefahren durch die Anlage selbst und ihre Emissionen spielt darin auch die Frage nach der „Zuverlässigkeit“ des Betreibers und nach den „überwiegenden öffentlichen Interessen“ eine entscheidende Rolle.

Schwerpunkt-Thema Rosatom

Diese Artikel gehören zur Serie über den Atomkonzern Rosatom aus dem .ausgestrahlt-Magazin 59:

  • Der Atom-Riese (Einleitung zum russischen Atomkonzern Rosatom)
  • Enge Bande (Hintergrund zu Framatome)
  • Im Sicherheitsbereich (Hintergrund zu Lingen)

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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