Das EU-Parlament fordert zahlreiche Vergünstigungen für kleine modulare Reaktoren – Atomlobby setzt sich durch, zu Lasten des Klimas.
Je mehr die Atomindustrie in Schwierigkeiten gerät, desto mehr arbeitet die Atomlobby in der EU an weiteren finanziellen Geschenken und Förderungen. Am 12. Dezember hat das Europäische Parlament mit großer Mehrheit einen Text zu sogenannten „Kleinen Modularen Reaktoren“ angenommen – auf Englisch: Small Modular Reactors, SMR. Darin fordert das Parlament nichts weniger als eine „umfassende Strategie“, um diese Reaktoren in allen Bereichen der Energieerzeugung und zu allen möglichen Zwecken einzusetzen. Dafür soll die Union umfangreiche Finanzmittel und Fördermittel bereitstellen und sich auch selbst „eifrig“ an der Entwicklung von SMR-Projekten beteiligen. Sogar ein „Zugang zu sämtlichen Finanzmitteln der Union“ soll geprüft werden.
Sollten diese Forderungen umgesetzt werden, würden nicht nur einzelne Mitgliedsstaaten diese Technik nach Belieben fördern können. Finanziert würden die SMR dann auch aus Unionsmitteln – und damit auch aus Steuergeldern zum Beispiel aus Deutschland.
Die nächsten Schritte dazu sind bereits geplant: Anfang 2024 will die EU-Kommission eine Industrieallianz für die Entwicklung kleiner modularer Reaktoren ins Leben rufen. Neben technischen Fragen soll es auch Arbeitsgruppen zur Förderung der öffentlichen Akzeptanz und zur Finanzierung geben. Die jetzt erfolgreiche Abstimmung im Parlament galt als Test, ob dieses Vorhaben im Parlament Rückhalt hat.
SMR-Träume und Medienhype
In diesen Vorhaben bleibt weitgehend unerwähnt, dass die angeblichen Vorteilen der kleinen Atomreaktoren bislang nur Wunschvorstellungen sind – obwohl schon lange von diesen geredet wird. Weltweit sind nur einzelne Reaktoren in Betrieb, die als SMR gezählt werden können. Erst vor einem Monat ist eines der am weitesten fortgeschrittenen Projekte, der SMR von Nuscale in Utah, gescheitert. Ein Grund: Die Stromerzeugung mit kleinen modularen Reaktoren ist viel teurer als die Stromerzeugung mit Erneuerbaren. Hinzu kommen zahlreiche Sicherheitsprobleme. Und anders als im Text des EU-Parlaments behauptet, bleibt auch der Atommüll ein Problem.
Im jüngsten World Nuclear Industry Status Report heißt es zu kleinen modularen Reaktoren: „Die bisherigen Erfahrungen […] zeigen, dass auch diese Konzepte dem historischen Muster von Kostensteigerungen und Zeitüberschreitungen unterliegen. Diese Kostensteigerungen machen es sogar noch unwahrscheinlicher, dass SMRs in der Zukunft kommerziell eingesetzt werden.“
Ablenkung und Lobbyismus zu Lasten des Klimas
Trotz dieser Faktoren ist nicht auszuschließen, dass irgendwann einmal SMR auch in der EU gebaut werden – mit allen Problemen, die damit verbunden sind. Vor allem erhalten diese Pläne aber eine Atomindustrie am Leben, die unter wirtschaftlichen wie technischen Aspekten nicht konkurrenzfähig ist. Unmengen von Geld und politischer Energie fehlen damit für den dringend nötigen, wirklich wirksamen Klimaschutz.
Die Wunschvorstellungen vielleicht einmal verfügbarer technischer Lösungen, wie der „Kleinen Modularen Reaktoren“, machen mit jeder solcher Entscheidungen weiter Schlagzeilen. Damit gerät aus dem Blick, dass die Klimakrise jetzt bekämpft werden muss – und dass dafür auch die Technik schon längst existiert. Es braucht nicht „alle“ Technologien, die vielleicht irgendwann einmal verfügbar sein werden – sondern diejenigen, die jetzt und am schnellsten und billigsten eingesetzt werden können: Der Ausbau der Erneuerbaren sowie die effiziente Nutzung der Energie.
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