Fragen & Antworten | Die Atom-Lobby bemüht sich weiter, den Atomausstieg in Misskredit zu bringen und Zweifel an der Energiewende zu säen. Welche Atom-Fragen Dein Umfeld und Dich bewegen, wollte .ausgestrahlt im Sommer wissen. Eine Auswahl davon beantworten wir hier.
Ist Deutschland seit Abschaltung der AKW auf Stromimporte angewiesen?
Nein. Es gibt weiterhin genügend Kraftwerke, die jederzeit ausreichend viel Strom erzeugen könnten. Dass die Stromimporte im Sommerhalbjahr zugenommen haben (und Deutschland in den ersten neun Monaten diesen Jahres deutlich mehr Strom importiert als exportiert hat), liegt vor allem daran, dass sich der Betrieb von Kohlekraftwerken aufgrund der steigenden CO2- und Brennstoffpreise immer weniger rechnet. Die fossile Stromerzeugung in Deutschland sank deshalb in den ersten drei Quartalen auf den zweitniedrigsten Wert seit Jahrzehnten. Die Kohleverstromung ging gegenüber dem Vorjahreszeitraum sogar um ein Drittel (!) zurück (−37 Milliarden Kilowattstunden). Der Kohlestrom wurde zu großen Teilen durch günstigeren Strom aus dem Ausland ersetzt. Dabei handelte es sich zu großen Teilen um erneuerbaren Strom, etwa aus dem Hauptimportland Dänemark. Das Atomstromland Frankreich hingegen hat auch in diesem Jahr mehr Strom aus Deutschland gekauft als nach Deutschland verkauft. Anfang Oktober lag der Exportüberschuss nach Frankreich bereits bei 1,4 Milliarden Kilowattstunden. Und nach der Erfahrung der vergangenen Jahre dürfte er sich bis Ende Dezember weiter erhöhen.
Was ist, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint?
Je nach Wetterlage, Stromnachfrage und Leitungskapazitäten füllt Strom aus anderen Regionen und/oder aus wetterunabhängigen Kraftwerken die Lücke. Das ist heute schon so und wird auch so bleiben. Drei Entwicklungen kommen dabei zum Tragen:
- Je mehr erneuerbare Energien europaweit installiert sind, desto häufiger wird es regionale Stromüberschüsse geben, die auch anderswo vorhandene Bedarfe decken können. Der Stromnetz-Ausbau wird auch weiträumigeren Ausgleich erleichtern und in noch größerem Umfang ermöglichen.
- Der Verbrauch wird sich mehr als bisher dem (erneuerbaren) Stromangebot anpassen. Alu-Schmelzen und Kühlhäuser sparen schon heute viel Geld, indem sie Strom dann nutzen, wenn viel Wind weht, und ihren Verbrauch drosseln, wenn die Last im Netz beziehungsweise der momentane Strombedarf besonders hoch ist. Mit Wärmepumpen und Elektromobilität wird es immer mehr Geräte geben, die ihren Strombedarf (automatisiert) vorzugsweise in den Stunden decken werden, in denen besonders viel günstiger erneuerbarer Strom im Angebot ist und/oder die Nachfrage besonders gering, etwa nachts.
- Auch bei einer Energieversorgung mit 100 Prozent erneuerbaren Energien wird es wetterunabhängige, sehr flexibel einsetzbare Kraftwerke geben, die stunden- und tageweise einspringen, um die wetterabhängige Stromerzeugung zu ergänzen. Aktuell sind diese meist noch fossil betrieben. Künftig werden sie etwa mit Wasserstoff oder daraus erzeugten Brennstoffen laufen. Diese könnten mit überschüssigem Ökostrom zu anderen Zeiten erzeugt werden und sind in großen Mengen speicherbar. Zum kurzzeitigen Ausgleich werden auch Wasser-, Pumpspeicher-, Biomasse- und Geothermie-Kraftwerke sowie Batteriespeicher (auch in E-Autos) ihren Beitrag leisten. In sonnigeren Ländern kommen noch mit Speichern ausgerüstete solarthermische Kraftwerke hinzu.
Prinzipiell ergänzen sich Wind und Sonne übrigens sehr gut: Im Sommer scheint mehr Sonne, im Winter weht mehr Wind. Zusammen produzieren sie im Winterhalbjahr sogar mehr Strom als im Sommer.
Einige Länder kündigen an, (wieder) auf Atomkraft setzen zu wollen. Wie kann dieser Rollback verhindert werden?
Allen Ankündigungen der Atom-Fans zum Trotz: AKW sind einer stetig wachsenden Konkurrenz durch immer günstigere erneuerbare Energien ausgesetzt. Ohne massive Subventionen, staatliche Garantien, verbilligte Kredite etc. werden sich kaum Investor*innen für neue AKW finden. Um eine politische Bevorzugung der Atomkraft zu verhindern, müssen wir ihre Gefahren und Nachteile wieder ins Bewusstsein rufen: In jedem AKW kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen, erst recht in Extremwetter-Zeiten. AKW hinterlassen hochgefährlichen Atommüll. Und jede Investition in Atomkraft behindert den Klimaschutz: Weil dasselbe Geld, in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investiert, die CO2-Emissionen viel mehr und viel schneller reduziert. Und weil Atomkraftwerke technisch wie ökonomisch ungeeignet sind, um erneuerbare Energien zu ergänzen.
Stimmt es, dass die Umweltverbände in Skandinavien Atomkraft inzwischen gutheißen?
Nein. In Schweden, in Norwegen und auch in Finnland lehnen die namhaften Umweltorganisationen Atomkraft weiterhin ab – und das aus gutem Grund. Ein simpler Kurzschluss im Stromnetz brachte das schwedischen AKW Forsmark im Sommer 2006 an den Rand eines Super-GAUs, ganze 20 Minuten trennten Europa damals vom Beginn einer Kernschmelze. Und Dänemark? Das Land, das der Welt die lachende Anti-Atom-Sonne schenkte, ist Pionier bei der Windkraftnutzung. Atomkraft würde da nur stören …
Was bringt uns der Atomausstieg, wenn AKW in anderen Ländern weiterlaufen?
Das Abschalten der AKW in Deutschland hat das Risiko eines schweren Atomunfalls hierzulande drastisch verringert. Das gilt unabhängig davon, ob die AKW in den Nachbarländern weiterlaufen oder nicht. Das von diesen (auch für Deutschland) ausgehende Risiko allerdings wird erst dann vom Tisch sein, wenn auch sie abgeschaltet sind.
Nach dem Aus für die Atomkraft wird in deutschen AKW kein weiterer hochradioaktiver Abfall mehr produziert – eine wichtige Voraussetzung dafür, einen gesellschaftlich akzeptierten Lagerort für den vorhandenen Atommüll finden zu können. Und die Energiewende nimmt endlich Fahrt auf – ein riesiger Gewinn für den Klimaschutz. Diese Dynamik wird auch auf andere Länder ausstrahlen.
Verschenken wir Chancen, wenn wir nicht an neuen Reaktoren forschen?
Im Gegenteil. Der Verweis auf sagenumwobene Wunder-AKW, auf angeblich super-günstige Mini-Reaktoren oder auf die seit Jahrzehnten versprochenen Fusionskraftwerke dient vor allem einem Ziel: zu suggerieren, es bräuchte gar keine Energiewende, und uns davon abzuhalten, diese jetzt mit voller Kraft voranzutreiben. Für keinen dieser Power-Point-Reaktoren gibt es bisher auch nur eine belastbare Sicherheitsanalyse. Die Konzepte werfen im Gegenteil jede Menge neue Sicherheitsfragen auf – ohne die Probleme der Atomkraft zu lösen. Alle diese Projekte sind zudem weit von einer Realisierung oder gar einer kommerziellen Anwendung entfernt. Dies räumen selbst Expert*innen ein, die der Atomkraft gegenüber aufgeschlossen sind. Schon deswegen nützen sie dem Klima rein gar nichts. Die Forschung an solchen Reaktor-Konzepten und das Gerede darüber eröffnet keine Chancen, sondern vergeudet wertvolle Zeit. Nutzen wir sie lieber, um unsere Energieversorgung endlich auf erneuerbare Füße zu stellen.
Stimmt es, dass der internationale Klimarat IPCC Atomkraft befürwortet?
Nein – im Gegenteil. Der IPCC listet Atomkraft zwar unter den Technologien auf, mit denen eine Dekarbonisierung der Energieversorgung grundsätzlich möglich wäre. Gleichzeitig betont er aber die diversen Probleme, die Atomkraft mit sich bringt – beispielsweise die langen Bauzeiten, der anfallende Atommüll, der große anfängliche Investitionsbedarf und die hohen Kosten. Selbst für Laufzeitverlängerungen bereits existierender AKW bewegen sich diese laut IPCC auf dem gleichen Niveau wie der Neubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen. AKW-Neubauten können mit diesen niemals konkurrieren. Insgesamt zählt Atomkraft damit, gleich nach Kohlenstoffspeicherung und ‑Abscheidung (CCS), zu den Technologien mit dem niedrigsten CO2-Vermeidungs-Potenzial und zugleich den höchsten Kosten (siehe Grafik). Wer schnell, effektiv und günstig das Klima schützen will, lässt die Finger von Atomkraft.
Dass viele IPCC-Szenarien dennoch von einem starken Anstieg der Atomspromproduktion ausgehen, liegt an falschen Annahmen zu den ökonomischen und technischen Realitäten. Tatsächlich ist – anders als permanent vorhergesagt – der Beitrag der Atomkraft zur Energieversorgung seit Jahrzehnten rückläufig, die Atomstromproduktion kommt seit 17 Jahren nicht mehr an ihr Maximum heran. Dieses „Atomenergie-Szenarien-Paradox“ ist nicht neu: Seit Beginn der Atomkraft-Nutzung war ihr vorhergesagter Ausbau stets viel größer als der tatsächliche. Problematisch ist dabei, dass die falschen Prognosen zu falschen Schlussfolgerungen verleiten und tatsächlich zielführende Klimaschutzmaßnahmen behindern.
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