Enge Bande

19.10.2023 | Julian Bothe
Modell des finnischen AKW Hanhikivi-1, ein Rosatom-Projekt, bei dem Framatome 2021 seine Mitarbeit vertraglich zusagte. Finnland stoppte den Bau nach dem Angriff auf die Ukraine
Modell des finnischen AKW Hanhikivi-1, ein Rosatom-Projekt, bei dem Framatome 2021 seine Mitarbeit vertraglich zusagte. Finnland stoppte den Bau nach dem Angriff auf die Ukraine
Foto: Fennovoima

Wie der staatliche französische Atomkonzern Framatome mit seinem russischen Gegenpart kooperiert, Sanktionen gegen Rosatom verhindert und Atomtechnik in aller Welt verbreitet

Am 2. Dezember 2021, weniger als drei Monate vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, reist Alexey Likhachev, Generaldirekter des staatlichen russischen Atomkonzerns Rosatom, nach Paris. Am Rande des Welttreffens der Atomindustrie unterzeichnen er und der Chef des französischen Reaktorbauers Framatome eine „Langzeit-Kooperationsvereinbarung“. Rosatom und Framatome wollen in Zukunft noch stärker zusammenarbeiten – unter anderem bei der Brennelementefertigung und bei Reaktor-Kontrollsystemen.

Die Vereinbarung baut auf langjährigen Beziehungen zwischen den beiden eigentlich konkurrierenden Staatskonzernen auf. Sie zeigt exemplarisch, wie sie zusammenarbeiten, um der Atomkraft Vorschub zu leisten – ein Ziel, das sowohl in Frankreich als auch in Russland eng verwoben ist mit staatlichen Interessen. Eine Folge davon ist, dass trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine der russische Atomsektor, anders als etwa Gas-, Öl- und Kohleindustrie, bis heute von Sanktionen ausgenommen ist.

Frankreichs atomare Interessen

Nirgends werden die atomaren Interessen Frankreichs so deutlich sichtbar wie beim staatlichen Atomkonzern Framatome. 2020 wählt Präsident Emmanuel Macron ausgerechnet einen Besuch im zu Framatome gehörenden Schmiedewerk in Le Creusot, um den Neubau eines atomar getriebenen Flugzeugträgers anzukündigen. Die Schmiede war in den Jahren zuvor Zentrum eines Skandals um fehlerhaft produzierte Reaktorbauteile – darunter der spröde Reaktordruckbehälter des AKW-Neubaus in Flamanville – und anschließend gefälschter Zertifikate. In der Folge musste die französische Atomindustrie mit Milliarden aus der Staatskasse gerettet werden.

Ausgerechnet an diesem Ort also erklärt Macron nun, dass Frankreichs „strategische Zukunft, unser Status als Großmacht (…) in der Atomindustrie“ liege. Dabei gehe es sowohl um den militärischen als auch um den zivilen Aspekt: „Ohne zivile Atomkraft keine militärische Atomkraft, ohne militärische Atomkraft keine zivile.“ Framatome ist in beiden Fällen mitbeteiligt – es konstruiert sowohl Atomkraftwerke als auch kleine Antriebsreaktoren für Kriegsschiffe und U-Boote und will auch „mobile Mikro-Reaktoren“ für weitere militärische Anwendungen entwickeln.

Es ist diese Fokussierung auf die Atomkraft, die Frankreich um jeden Preis und auch in Kooperation mit Russland verteidigt. Auf europäischer Ebene hat Frankreich dafür eine „Pro-Atom-Allianz“ geschmiedet, der unter anderem Polen (siehe Porträt „Man verspricht uns goldene Straßen“) und Ungarn angehören. Als Gegenleistung hält sich Macron mit Kritik zurück, wenn es um die rechtsstaatlichen Verstöße dieser Staaten geht.

Framatome

Der französische Reaktorbauer Framatome entwickelt und liefert „Ausrüstungen, Dienstleistungen und Brennstoffe für Atomkraftwerke“, inklusive dem Design kompletter Reaktorsysteme. Zu seinem Portfolio gehören auch Produkte und Dienstleistungen für militärische nukleare Anwendungen. Framatome gehört zu mehr als 75 % dem staatlichen französischen Energiekonzern EDF, zu kleineren Teilen Mitsubishi Heavy Industries und der Ingenieursgruppe Assystem. Vorläufer des heutigen Konzerns ist das staatliche Reaktorbau-Unternehmen gleichen Namens, das 2001 mit der ebenfalls staatlichen Cogema (Uranabbau und ‑verarbeitung, Wiederaufarbeitung) und der Nuklearabteilung von Siemens zusammengeführt wird. Ab 2006 firmiert die Gruppe unter dem Namen Areva. Siemens zieht sich 2011 daraus zurück. Hauptprodukt sollte der neu entwickelte „Europäische Druckwasserreaktor“ (EPR) sein, der jedoch kaum nachgefragt wird. Probleme und Verzögerungen auf den Baustellen in Flamanville, Hinkley Point und Olkiluoto sowie verschiedeneSkandale, unter anderem um fehlerhafte Bauteile aus dem konzerneigenen Schmiedewerk in Le Creusot, bringen den Konzern in finanzielle Schwierigkeiten. 2017/18 rettet die französische Regierung Areva mit vielen Milliarden vor der Pleite und teilte die Sparten wieder auf. Reaktorbau, Instandhaltungsdienstleistungen und Brennelementefertigung firmieren seitdem erneut unter dem Namen Framatome, Uranabbau und ‑anreicherung sowie Wiederaufarbeitung unter Orano. In Deutschland ist Framatome an den Standorten Erlangen (Reaktortechnik, Reaktorentwicklung und Sicherheitssysteme), Lingen (Brennelemente-Fabrik) und Karlstein (Bauteile für Brennelemente und Reaktorsicherheitstechnik) aktiv.

Framatome und Rosatom, Frankreich und Russland

2018, vier Jahre nach der Annektion der Krim durch Russland, vereinbaren die Chefs von Rosatom und der staatlichen französischen Agentur für Atomenergie (CEA) in Anwesenheit von Macron und Russlands Präsident Wladimir Putin eine Kooperation, um Atomkraft weltweit zu entwickeln. Und was das Kooperationsabkommen von Ende 2021 betrifft, bestätigt Framatome Mitte 2022 explizit, dass dieses noch immer in Kraft ist. Eines der daraus erwachsenen Projekte ist der geplante Einstieg Rosatoms in die Brennelementefertigung in Lingen.

Auch die Zusammenarbeit bei Reaktorkontrollsystemen schreitet fort. Bereits in der Vergangenheit ist Framatome mit solchen Systemen immer wieder an Neubau- oder Modernisierungsprojekten von Rosatom beteiligt. Die Systeme können auch militärisch verwendet werden, etwa für U-Boot-Reaktoren. 2020 erhält Framatome den Auftrag für das Reaktorschutzsystem des Neubau-AKW Kursk II in Russland. Mit Blick auf den Fortschritt dieses Projekts wirft Greenpeace im Juli 2023 die Frage auf, ob diese Systeme etwa mitten im Krieg geliefert wurden oder sogar französisches Personal in Russland im Einsatz war.

Frankreich bezieht darüber hinaus einen Großteil des in seinen Reaktoren verwendeten angereicherten Urans aus Russland – oft über die Zwischenstation Lingen. Laut einem Report von Greenpeace hat sich der Import von Uran aus Russland 2022 gegenüber dem Vorjahr nahezu verdreifacht. Insgesamt hat Frankreich im Jahr 2022 Nuklearprodukte im Wert von mehr als 440 Millionen Euro aus Russland importiert – mehr als die Hälfte der gesamten europäischen Nuklearimporte aus Russland. Zugleich exportiert Frankreich abgereichertes Uran, ein Abfallprodukt der Anreicherung, nach Russland.

Auch im Bereich der Wasserstoffproduktion will der staatlich-französische Energiekonzern EDF, Eigentümer von Framatome und Betreiber der französischen AKW, mit Rosatom kooperieren. Laut Handelsblatt will EDF dieses Abkommen lediglich „vorübergehend ruhen“ lassen.

Sanktionen und ihre Verhinderung

In Folge des Angriffs auf die Ukraine ist die russische Erdgas-, Öl- und Kohle-Industrie von der EU – und auch vielen anderen Staaten – mit Sanktionen belegt worden. Der russische Atomsektor jedoch ist davon, jedenfalls was die EU angeht, bis heute komplett ausgenommen. Alle Vorstöße innerhalb der EU, auch den Nuklearsektor endlich in die Sanktionen einzubeziehen, scheitern bisher am Widerstand Frankreichs und Ungarns. Letzteres hat Rosatom mit dem Bau der beiden Reaktoren des geplanten AKW Paks II beauftragt.

Die französische Energieministerin Agnès Pannier-Runacher betont auf Nachfrage zwar, dass sie generell für Sanktionen sei. In der Praxis hält Frankreich allerdings nicht nur an den Kooperationen mit Rosatom fest, sondern sorgt sogar dafür, dass sie noch weiter ausgebaut werden. So stärkt Frankreich Ungarn in Atomfragen demonstrativ den Rücken. Vergangenen März besucht Ungarns Präsident Victor Orbán Macron in Paris, sein Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó reist zum AKW Flamanville. Ihr Ziel, schreibt er auf Facebook, sei, „eine weitere Stärkung der Rolle von Framatome auszuhandeln, so dass Berlin die Ankunft der Kontrolltechnologie für Paks nicht mehr blockieren kann.“ Kurze Zeit später verkündet die französische Regierung, dass Framatome – wenn es zum Zuge käme – die Kontrollsysteme für das AKW Paks II nach Ungarn liefern dürfe, ungeachtet der Rolle Rosatoms bei dem Projekt. Beauftragt mit der Lieferung der Kontrollsysteme und Reaktorleittechnik ist bisher ein Konsortium aus Framatome und Siemens Energy. Deutschland hat dem geplanten Export bislang allerdings nicht zugestimmt, weil sie als „Dual-Use-Güter“ auch militärisch Verwendung finden können.

Schwerpunkt-Thema Rosatom

Diese Artikel gehören zur Serie über den Atomkonzern Rosatom aus dem .ausgestrahlt-Magazin 59:

Weiterlesen & Aktiv Werden:

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    Jetzt Unterschreiben! Landes- und Bundesregierung müssen den Einstieg des russischen Staatskonzerns in die Brennelemente-Fertigung in Lingen verhindern.
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    09.03.2023 - Bereits seit einem Jahr ist das Atomkraftwerk Saporischschja in der Ostukraine unter russischer Kontrolle. Die Gefahr eines Unfalls ist noch immer hoch. Andere Atomanlagen in der Ukraine sind ebenfalls in Gefahr.

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    21.02.2023 - Der Krieg gegen die Ukraine sollte für Europa Anlass sein, die Geschäfte mit Putins Atomkonzern Rosatom endlich einzustellen. Gründe dafür gibt es viele. Ein Gastkommentar.

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    08.09.2022 - Russische Brennstäbe "Made in Germany" für AKW im Ausland? Was absurd klingt, soll in Lingen offenbar umgesetzt werden. Atomkraftgegner:innen erwarten dort die Anlieferung von Uranhexafluorid aus Russland - und fordern ein umgehendes Atom-Embargo.

  • Atomares Pulverfass
    24.08.2022 - Die Welt blickt mit Sorge auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja, das seit Wochen immer wieder unter Beschuss steht. Von einer „Grabesstunde“ sprach Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA), in einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Die dramatische Situation zeigt, dass Atomkraft in instabilen Zeiten noch gefährlicher ist als sowieso schon.
  • Ukraine-Krieg bringt Urangeschäfte in Bewegung
    11.3.2022: Als Antwort auf den Angriff auf die Ukraine hat die Betreiberfirma der Urananreicherungsanlage Gronau die Uran-Geschäfte mit Russland gestoppt. Atomkraftgegner*innen warnen unterdessen davor, dass in den von Kämpfen betroffenen ukrainischen Meilern Brennstoff aus Deutschland verwendet wird - und fordern einen umgehenden Exportstopp.
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Julian Bothe

Julian Bothe arbeitet bei .ausgestrahlt zum Thema Klimakrise und Atomkraft. Er ist ausgebildeter Geograph und beschäftigt sich seit langem mit Energiefragen. Seit seiner Jugend ist er aktiv in sozialen Bewegungen – für Bewegungsfreiheit, Energiedemokratie und Klimagerechtigkeit.

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