Vieles deutet darauf hin, dass schon bald 152 Castor-Behälter mit hochradioaktivem Müll von Jülich nach Ahaus rollen könnten. Dabei sind die Zwischenlager an beiden Standorten ungeeignet. Von einer konzeptlosen Atommüll-Politik
Ende Juni fährt ein 30 Meter langer, gepanzerter Schwertransporter von Jülich ins Zwischenlager Ahaus. Langsam passiert das Gefährt Engstellen wie Kreisverkehre, um zu testen, ob die Strecke für den Riesen-Lkw problemlos befahrbar ist. Eine weitere Testfahrt, dann mit einem leeren Castor-Behälter obenauf, ist im Oktober geplant. Geht alles glatt, könnte das Atommüll-Bundesamt (BASE) noch in diesem Jahr den Transport von rund 300.000 Brennelementkugeln des stillgelegten Hochtemperaturreaktors AVR nach Ahaus genehmigen. Aktuell lagern diese in 152 Castorbehältern in einer Halle auf dem Gelände der ehemaligen Kernforschungsanlage Jülich. Schon im Frühjahr 2024 könnten die ersten Atom-Transporte über die Straßen im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen rollen.
Die Testfahrten sind nicht das erste Anzeichen dafür, dass eine Entscheidung über die Brennelementkugeln nach jahrelangem Schlingerkurs unmittelbar bevorsteht. Umwelt-, Forschungs- und Finanzministerium bewerteten in einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages den Transport nach Ahaus bereits im September 2022 als „grundsätzlich vorzugswürdig“ gegenüber anderen Optionen. Die Beschaffung der Fahrzeuge und die Ausbildung und Bereitstellung von Personal laufen längst. Und sowohl das Forschungszentrum Jülich als auch die Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen (JEN), als Nachfolgerin der Reaktorbetriebsgesellschaft für die hochradioaktiven Kugeln zuständig, wären die gefährlichen Altlasten wohl lieber heute als morgen los.
Lager ohne Genehmigung
Darüber, dass das bestehende Atommüll-Lager in Jülich den geltenden Sicherheitsanforderungen nicht genügt, sind sich Atomkraftgegner*innen, Politik und Gerichte ausnahmsweise einmal einig: Bereits seit zehn Jahren hat es keine Genehmigung mehr – wegen mangelnder Erdbebensicherheit. 2014 ordnete die NRW-Atomaufsicht an, das Lager unverzüglich zu räumen.
Seitdem ist ein zähes Hin und Her um die Brennelementkugeln im Gange. Die JEN, mit Ministeriumsvertreter*innen aus Berlin und Düsseldorf im Aufsichtsrat, verfolgte jahrelang parallel drei Optionen:
- den Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich,
- den Transport der Brennelementkugeln in das Zwischenlager Ahaus, und
- den Export des Atommülls in die USA.
Die lange mit Priorität vorangetriebenen Export-Pläne sind nach massiven Protesten seit Herbst 2022 vom Tisch. Doch die Optionen „Neubau in Jülich“ und „Transport nach Ahaus“ sind weiter im Rennen – zumindest auf dem Papier.
Neubau verschleppt?
Noch im Sommer 2022 sendete die schwarz-grüne Landesregierung Signale, dass nun endlich, wie im Koalitionsvertrag beschlossen, der von Atomkraftgegner*innen seit Langem geforderte Neubau angegangen werde. Der JEN hat sie dafür ermöglicht, noch im laufenden Haushaltsjahr eine Fläche direkt hinter dem Reaktorgebäude des ehemaligen AVR zu erwerben – doch das ist bis heute nicht passiert. Die Landeskonferenz der Anti-Atom-Initiativen in NRW wirft der JEN vor, den Zwischenlager-Neubau gezielt zu verschleppen. So hat diese laut BASE bis heute nicht einmal alle nötigen Nachweise für die befristete Weiternutzung des bestehenden Lagers eingereicht. Ein Antrag für den Neubau eines Zwischenlagers ist noch gar nicht gestellt. Und die Landesregierung? Die hält sich auffallend zurück. Eine Rolle spielen könnte, dass der Bund den Transport nach Ahaus für die billigste Lösung hält und angekündigt hat, NRW müsse die Mehrkosten für die Neubau-Option alleine tragen.
Kosten vor Sicherheit?
Die Kosten für einen Neubau in Jülich schätzt die JEN auf mindestens 450 Millionen Euro, bei einer Bauzeit von etwa zehn Jahren. Für den Transport nach Ahaus rechnet der Bund mit gut 200 Millionen Euro innerhalb von zwei Jahren. Doch da sowohl JEN als auch Bund eigene Interessen verfolgen, sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen.
Falsch ist auch der Eindruck, die verbleibenden Optionen seien sicherheitstechnisch gleichrangig. Gerade Transporte hochradioaktiver Abfälle bedeuten ein zusätzliches, leicht vermeidbares, überflüssiges Risiko. Bei der Ahaus-Option geht es auch nicht darum, die Kugeln von einem unsicheren Lager in ein sicheres zu bringen: Trotz der „Härtung“ durch eine jüngst errichtete zusätzliche Betonmauer gilt das Zwischenlager in Ahaus noch immer als das am schlechtesten geschützte in ganz Deutschland (siehe auch Infografik).
Außerdem basiert die finanzielle Kalkulation auf unrealistischen Annahmen. Denn ob der strahlende Müll bis zur Endlagerung in Ahaus bleiben kann, ist aus mehreren Gründen fraglich. So ist unklar, ob die Brennelementkugeln aus Jülich ohne vorherige Abreicherung und Konditionierung in ein Endlager können. Die Verfahren dafür müssten JEN und Forschungszentrum Jülich noch entwickeln. Den Bau einer Heißen Zelle, die für eine Behandlung der Abfälle nötig wäre, schließt ein Vertrag mit der Stadt Ahaus ausdrücklich aus. Die Kugeln müssten also womöglich erneut abtransportiert werden – wohin, ist völlig offen. Dieser Transport würde wiederum Risiken und Kosten verursachen, die bislang unter den Tisch fallen. Hinzu kommt, dass die Genehmigung für das Ahauser Zwischenlager 2036 ausläuft. Dass die Gefahr von Angriffen heute als höher eingestuft werden dürfte als bei der Erstgenehmigung 1996, müsste sich auch in den Sicherheitsanforderungen für eine Verlängerung widerspiegeln.
Nicht zuletzt hat die Stadt Ahaus 2017 gegen die Aufbewahrungsgenehmigung für den strahlenden Müll aus Jülich geklagt. Auch gegen eine Transportgenehmigung will sie gerichtlich vorgehen. Es stehen also durchaus nicht alle Ampeln Richtung Ahaus auf Grün.
Konzeptlos, gefährlich, überflüssig
Der Umgang mit dem Jülicher Atommüll ist symptomatisch für die deutsche Atommüll-Politik. Lange hat sie die Augen verschlossen vor der Tatsache, dass der gesetzliche Zeitplan, nach dem der Endlager-Standort 2031 feststehen sollte, unrealistisch war. Inzwischen ist immerhin offiziell, dass es länger dauern wird. Doch was in der Zwischenzeit mit dem hochradioaktiven Atommüll passieren soll, bleibt ungewiss. Wieder einmal wursteln sich die Verantwortlichen durch, ohne einen angemessenen Umgang mit diesem Problem zu finden. Ändert sich das nicht bald, wird man die Zwischenlager-Genehmigungen wohl stillschweigend verlängern oder einen genehmigungslosen Zustand tolerieren. Und das womöglich, ohne grundsätzliche Sicherheitsfragen zu klären.
Die Zeit drängt. Doch auch wenn Zeit- und Kostenfragen nicht irrelevant sind, muss die Sicherheit der Bevölkerung in der Atommüllfrage oberste Priorität haben. Deshalb fordert .ausgestrahlt gemeinsam mit vielen Anti-Atom-Initiativen, den geplanten Transport der Brennelementkugeln von Jülich nach Ahaus zu stoppen und stattdessen unverzüglich in Jülich ein neues, robustes Zwischenlager zu bauen, das heutigen Sicherheitsansprüchen genügt.
Darüber hinaus braucht es ein Gesamtkonzept zur Zwischenlagerung für die vielen Jahrzehnte, die noch vergehen werden, bis ein Endlager gefunden, gebaut und befüllt ist. Die Gesellschaft muss dieses Konzept mittragen, was unter anderem bedeutet, dass die Betroffenen auf Augenhöhe mitentscheiden dürfen – ganz anders als bisher.
Aktion
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