Zehn Jahre nachdem der Bundestag einen „Neustart“ der Standortsuche beschließt, haben sich viele interessierte Einzelpersonen und Organisationen bereits desillusioniert abgewandt. Wie ist es dazu gekommen? Und was braucht es jetzt?
Euphorie zum Neustart
Vor zehn Jahren steht ein neues Gesetz kurz vor der Verabschiedung im Bundestag. Schon bevor es in Kraft tritt, schlägt es hohe Wellen. Von einigen wird es hoch gelobt, vor allem aus zwei Gründen. Der erste: Das „Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle“ (Standortauswahlgesetz oder StandAG) soll einen Neustart darstellen. Nachdem der Staat jahrzehntelang versucht hatte, den Standort Gorleben durchzuprügeln, setzte sich endlich die Einsicht durch, dass dieser Salzstock gesellschaftlich nicht durchsetzbar ist. Wissenschaftlich begründbar war er sowieso nie. Der zweite Grund ist die Art und Weise, wie dieser neue Weg begangen werden soll. So stellt das Gesetz seine eigene Überarbeitung durch eine unabhängige, breit aufgestellte Kommission an den Anfang. Sie soll ein wissenschaftliches und transparentes Suchverfahren entwickeln, welches dann dem Bundestag zur Gesetzesnovellierung dienen soll. So etwas hat es in Deutschland noch nie gegeben. Befürworter*innen loben den Schritt als bahnbrechend, eine neue Art der gesellschaftlichen Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren. Doch schon beim Geschacher um die Besetzung der Kommission setzt die Entzauberung ein. Spätestens als der einzige teilnehmende Umweltverband dem Ergebnis der Beratungen nicht zustimmen kann, ahnt jede*r, dass hier einiges schiefläuft.
Das Gesetz ist neu geboren
2017 ist es dann soweit: Der Bundestag beschließt auf Grundlage des Kommissionsberichtes eine Gesetzesnovelle. Auf den ersten Blick enthält der neue Gesetzestext einen bunten Blumenstrauß an Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger*innen. Transparenz, Wissenschaftsbasiertheit und Partizipation sollen die „Säulen“ des selbsthinterfragenden und lernenden Verfahrens sein. Bürger*innen sollen das Verfahren mitgestalten und Möglichkeiten der Beteiligung sind für jeden Verfahrensschritt klar im Gesetz definiert: Nationales Begleitgremium (NBG), Fachkonferenz Teilgebiete, Regionalkonferenzen und Rat der Regionen. Darüber hinaus können sich die Beteiligten über die gesetzlich geregelten Mindestanforderungen hinaus weiterer Beteiligungsformen bedienen. Alles in allem also viel Spielraum, um dieses Mal alles anders, alles besser zu machen und die Menschen von Beginn an als Mitgestalter*innen zu gewinnen. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail der Formulierungen und in ihrer Auslegung.
Befürchtungen bewahrheiten sich
Nach nun sechs Jahren Praxistest zeigt sich, dass die von .ausgestrahlt und anderen von Anfang an geäußerten Befürchtungen berechtigt waren. Die fehlende Verankerung von Rechten auf wirkliche Mitgestaltung und ein Atommüll-Bundesamt (BASE), das für die Einbindung der Öffentlichkeit zuständig ist, echte Beteiligung aber als eher hinderlich empfindet, führen zu reinen Schein-Beteiligungs-Shows. Diese Pressemitteilung von .ausgestrahlt etwa kritisiert beispielhaft den Ablauf der Fachkonferenz Teilgebiete. Ein von den Teilnehmenden der Konferenz gefordertes unabhängiges Format, um die zeitliche Beteiligungs-Lücke von mehreren Jahren bis zur Einrichtung der Regionalkonferenzen zu schließen, hat das BASE verhindert. Nach einem intensiven Schlichtungsprozess wurde eine „Planungs- und Beratungsgruppe Fachforum Endlagersuche“ eingerichtet, in der BASE und BGE voll stimmberechtigt sind. Wie befürchtet bremsen nun die staatlichen Akteure die ehrenamtliche Arbeit der zivilgesellschaftlichen Teilnehmer*innen dieser Gruppe aus. Der Anspruch, nicht nur die Fachkonferenzen vorzubereiten, sondern auch BGE und BASE zu beraten, wurde wegen der andauernden Konflikte wieder verworfen. Der Frust sitzt tief bei den meisten engagierten Ehrenamtlichen in dem Gremium, das inzwischen „Planungsgruppe Fachforum Endlagersuche“ heißt. Ein Großteil der interessierten Einzelpersonen, Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen und Beteiligungsexpert*innen haben sich aus den staatlichen Beteiligungs-Simulationen frustriert zurückgezogen, nachdem sich das BASE als stur und beratungsresistent erwiesen hat.
Kein Interesse am kritischen Diskurs
Dass echter Dialog nicht gefragt ist, zeigt ein aktuelles Beispiel. Das BASE führte jüngst eine Umfrage zur Beteiligung durch und nutzte dazu die Adressdatensätze der bisherigen Teilnehmer*innen öffentlicher Formate. Akteure, die sich kritisch zu den „Beteiligungs-Formaten“ geäußert hatten, erhielten allerdings keinen Fragebogen. Dazu gehörten etwa der BUND und .ausgestrahlt. Weiterhin willkommen ist, wer die Angebote des BASE nicht hinterfragt und bereit ist mitzuspielen. So kann das BASE den Begriff „Beteiligung“ weiterhin als bloße Unterrichtung der Öffentlichkeit interpretieren, bei der es lediglich die Möglichkeit gibt, nicht rechtsverbindliche Eingaben abzugeben. Dass diese meist in Schubladen verstauben, musste selbst das NBG in den ersten Jahren bitter lernen.
Auch diesem bisher sehr engagierten Gremium gehen die kritischen Stimmen verloren. Schon nachdem Bundestag und Bundesrat vor drei Jahren erstmals neue Mitglieder beriefen, wurden seine Äußerungen merklich zahmer. Aktuell steht die zweite Neuberufungsrunde an. Wieder gab es keine schnelle Einigung über die Besetzung und die aktuellen Mitglieder wurden vorerst in die Verlängerung geschickt. Was aus den Diskussionen hinter verschlossenen Türen herausdringt, lässt an einigen Stellen nichts Gutes vermuten.
The show must go on?
Fazit: Der Einfluss der Zivilgesellschaft auf das Verfahren bleibt verschwindend gering. Von BGE und BASE aufgegriffen wird meist nur, was selbstverständlich sein sollte. Zu ansehnlichen Beteiligungs-Shows aufgebauschte Formate suggerieren aber vor allem der unbeteiligten Mehrheit der Bevölkerung, dass Mitgestaltung möglich ist und alles gut läuft. Die Wahrheit ist: Bisher konnte das BASE seinem Auftrag nicht gerecht werden: Es hat keine relevanten Teile der Bevölkerung für das Verfahren gewonnen. Die Mehrheit der Bürger*innen hat die Standortsuche noch nicht mal wahrgenommen.
120 Jahre Langzeit-Zwischenlagerung
Ein weiteres Problem wird das Interesse auf Mitgestaltung des Verfahrens wahrscheinlich weiter ausbremsen. Jüngst verkündete die für die praktische Umsetzung der Suche zuständige BGE, dass sich das Verfahren verzögern wird. Die zeitlichen Ziele - 2031 Standortbenennung, 2051 Einlagerungsstart - sind nicht haltbar. Für Kenner*innen des Verfahrens keine Überraschung, denn die Daten standen eher aus politischen Gründen im Gesetz. Die Entsorgungskommission des Bundestages schätzt aktuell, dass die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls bis zu 120 Jahre dauern wird. Diese Verzögerung um mindestens viele Jahrzehnte, wahrscheinlich bis in 22. Jahrhundert, lässt ein tiefengeologisches Lager in weite Ferne rücken. Warum sich jetzt schon dort einbringen, wird sich manch eine*r denken, es gibt doch aktuell viel dringendere Themen. Das ist nachvollziehbar, verkennt aber zwei wichtige Aspekte. Erstens: Das Auswahlverfahren läuft trotzdem weiter. Um eingeschlagene Pflöcke irgendwann später wieder aus dem Boden zu ziehen, bedarf es großer Kraft. Besser wäre es, jetzt darauf zu achten, dass sie erst gar nicht an den falschen Stellen eingeschlagen werden. Zweitens: Ein Abwenden vom laufenden Verfahren öffnet Populisten Tür und Tor. Sie fordern, alles müsse viel schneller gehen, denn die Gesellschaft verkrafte ein solch langes Verfahren nicht. Die Asse ist noch nicht einmal wieder geräumt. Doch als hätte man aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt, heißt es wieder: Zeit vor Sorgsamkeit und damit vor Sicherheit. Was bringt es, wenn wir den Atommüll eine Generation früher unter die Erde bringen, die nächste ihn aber wieder bergen muss, weil wir Fehler gemacht haben? Ist das die viel geforderte Verantwortung derjenigen, die den strahlenden Müll produziert haben, gegenüber nachfolgenden Generationen?
Die Öffentlichkeit als Korrektiv ist dringend notwendig
Dass es dringend eine kritische Begleitung des Verfahrens braucht, haben die ersten Umsetzungsschritte gezeigt. Der „Zwischenbericht Teilgebiete“ der BGE hat seine Aufgabe verfehlt, die Zahl der potenziellen Lagerorte in Deutschland deutlich einzugrenzen. Nur 46 Prozent der Fläche Deutschlands fiel aus dem Verfahren, viel weniger als erhofft. Die Kommission hatte an dieser Stelle eine Eingrenzung auf 20-30 Teilgebiete vorgesehen, der Bericht weist jedoch 90 aus. Das liegt vor allem daran, dass die BGE wegen des durch das Bundesumweltministerium ausgeübten Zeitdrucks nicht alle vorliegenden geologischen Daten berücksichtigen konnte. Ein weiteres Problem: Die im Bericht für bestimmte potentielle Standorte ausgewiesenen Gesteinsschichten sind in der Realität teils gar nicht vorhanden.
Quo vadis Standortsuche?
Die Standortsuche verläuft zusehends im Nebel. Das BASE wird seiner Aufgabe, die Öffentlichkeit zu beteiligen, nicht annähernd gerecht. Ganz im Gegenteil, Schein-Beteiligungs-Formate schrecken Interessierte von einer weiteren Teilnahme ab. Hinter der Fassade von Hochglanzbroschüren findet man beim BASE kein Interesse an einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Vorschläge zur Verbesserung des Verfahrens sieht es als Angriff auf die eigene Arbeit statt als hilfreiches Korrektiv. Vertrauen und Kooperation? Fehlanzeige. Und die BGE hat ihre Ergebnisse bisher nicht für Laien leicht verständlich aufbereitet. Dies wäre aber bitter nötig, um Transparenz herzustellen. Das Konzept zum weiteren Vorgehen ist an verschiedenen Stellen technisch fragwürdig. Keine der „Säulen“ des StandAG erweist sich bisher als tragend. Ob das Standortauswahlverfahren gelingt, ist nach fast zehn Jahren ungewisser als je zuvor. Es scheint darauf hinauszulaufen, dass am Ende wieder ein Gorleben steht - wie auch immer es dann heißen mag.