Spätestens am 15. April, so das „Machtwort“ von Bundeskanzler Olaf Scholz, müssen die letzten drei AKW vom Netz. FDP, CDU und CSU aber zetteln schon die nächste Laufzeitverlängerungsdiskussion an. Zwölf Jahre nach Fukushima braucht es noch einmal sichtbaren Protest.
Der „Streckbetrieb“ der AKW diesen Winter war und ist überflüssig. Das hat unlängst der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, mitgeteilt und damit die .ausgestrahlt-Analyse des „Stresstests 2.0“ vom Herbst bestätigt. Das Beharren von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und der Grünen-Spitze auf den Weiterbetrieb von zwei Meilern, das Insistieren der FDP-Oberen auf einer Laufzeitverlängerung für alle drei AKW und das „Machtwort“ des Bundeskanzlers hatten politische, vielleicht psychologische, aber keine sachlichen Gründe. Es bestand nie eine Gefahr für die Stromversorgung – und laut Bundesnetzagentur ist diese auch in den kommenden Wintern ohne AKW gesichert.
Ob die Politik das interessiert, ist offen. Die Atom-Fans jedenfalls sehen den Streckbetrieb als Chance, eine weitere Laufzeitverlängerungsdiskussion anzuzetteln. „Mindestens bis 2024“ müssten die AKW laufen, fordern FDP, CSU und CDU, neue Brennelemente inklusive. Ein solcher Schritt, davon ist auszugehen, würde den Atomausstieg faktisch kippen, den gesellschaftlichen Konflikt um Atomkraft wieder aufreißen, die Standortsuche für ein Atommülllager torpedieren und die Energiewende massiv behindern.
Die FDP, Teil der regierenden Ampel-Koalition, stellt mit ihrer Forderung nach Laufzeitverlängerung – sofern sie diese ernst meint – das „Machtwort“ von Regierungschef Olaf Scholz (SPD) infrage. Dieser hatte neue Brennelemente und einen Weiterbetrieb der AKW über den 15. April 2023 hinaus ausgeschlossen. Bisher ist Scholz von dieser Linie nicht abgerückt. Auch Habeck versichert aktuell in Interviews, am 15. April sei definitiv Schluss mit der Atomkraft in Deutschland. Allerdings hatten er und andere Spitzen-Grüne im Frühjahr 2022 bekanntlich ebenfalls beteuert, es werde keine Laufzeit-verlängerung geben – und sie wenige Wochen später dann selbst gefordert und ermöglicht.
Neuer Trend Atomkraft?
Vonseiten der Konzerne haben EnBW und RWE erklärt, keinen Weiterbetrieb über den 15. April hinaus anzustreben. Schon aus Personalgründen sei dies ohnehin nicht möglich. Eon, Betreiber des AKW Isar‑2, lässt hingegen gerne durchblicken, dass man den Reaktor auch noch länger betreiben würde.
Aus globaler Perspektive muten die Versuche, den zunächst 2001 und dann nochmal 2011 beschlossenen Atomausstieg in Deutschland auf den letzten Metern zu kippen, an wie der Versuch, durch runterlassen der Rollläden den Sonnenaufgang zu verhindern. Zwar erwecken etliche Meldungen dieser Tage wieder einmal den Eindruck einer europaweit bevorstehenden nuklearen Renaissance: Polen verkündet Einstiegs-Pläne, die Niederlande liebäugeln mit dem Bau neuer Reaktoren, Belgiens Regierung buhlt mit Geld um Laufzeitverlängerungen, Schweden will neue AKW-Bauplätze erlauben, Frankreich hält trotz Instandsetzungsdesaster am Atomkurs fest, Rumänien hofft auf Mini-Reaktoren, die es noch nicht gibt, Ungarn setzt trotz des russischen Kriegs gegen die Ukraine auf weitere Meiler von Rosatom, und so weiter.
Der weltweite Trend bei den tatsächlichen Kraftwerksbauten und -investitionen aber spricht eine andere Sprache: 366 Milliarden Dollar flossen 2021 in Solar-, Wind- und Wasserkraft, Biomasse und Geothermie, mehr als je zuvor. 84 Prozent der neu errichteten Kraftwerkskapazitäten entfielen auf erneuerbare Energien, ein Plus von zusammen 314 Gigawatt, in nur einem Jahr. Zum Vergleich: Die Gesamtkapazität der weltweiten AKW-Flotte liegt nach Angaben des World Nuclear Industry Status Report bei 369 Gigawatt, und 2022 kamen gerade einmal 2 Gigawatt hinzu. (Wären die drei deutschen AKW zum 31. Dezember abgeschaltet worden, wäre die weltweite Atom-Kapazität um 2 Gigawatt gesunken.) Selbst wenn man den Erneuerbaren-Zubau nur zu einem Drittel rechnet, weil die Anlagen wetterbedingt auf weniger Volllaststunden im Jahr kommen als konventionelle Kraftwerke, liegen die Ökostromanlagen noch immer mit immensem Abstand vorn.
Das hat nur zum geringeren Teil mit Politik und Einsicht und zum größeren Teil mit Rentabilität zu tun. Die Preise für erneuerbare Energien sinken seit Jahren. Neue Solar- und Windkraftwerke sind oftmals schon billiger als der bloße Weiterbetrieb bereits existierender Kohlekraftwerke. Grüner Wasserstoff, rechnete der „Spiegel“ unlängst vor, könnte in den USA bald weniger als Erdgas kosten.
Auch wenn AKW in der momentanen Situation am europäischen Strommarkt kräftig Geld verdienen, ist und bleibt Atomkraft eine extrem teure Form der Stromerzeugung. Nicht ohne Grund sind AKW-Neubauten massiv auf staatliche Gelder und Kredite angewiesen.
Aus Fukushima lernen
Der Super-GAU im japanischen Fukushima ist gerade einmal 12 Jahre her, die Katastrophe noch lange nicht vorbei (mehr dazu im Text "Fukushima – zwölf Jahre nach der Atomkatastrophe"). Die Erinnerung daran verblasst jedoch bereits. Das ist gefährlich. Denn wer das Atom-Risiko nicht mehr vor Augen hat (oder die Augen davor verschließt), ist empfänglich für den Sirenengesang der Atomlobby.
In den vergangenen Monaten konnte man gut beobachten, wie auch in Deutschland das Atom-Risiko, das der Super-GAU von Fukushima allen vor Augen geführt hat, einfach ausgeklammert oder als beherrschbar dargestellt wird. Doch machen wir uns nichts vor: Auch in deutschen und europäischen AKW kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen. Dafür braucht es nicht einmal ein Erdbeben wie jenes, das am 11. März 2011 die Stromversorgung der Reaktoren in Fukushima zerstörte. Um ein AKW an den Rand der Katastrophe zu bringen, genügt bereit ein simpler Kurzschluss in einem Umspannwerk – so geschehen etwa im Juli 2006 im schwedischen AKW Forsmark. Bis zum Beginn der Kernschmelze fehlten dort damals ganze 20 Minuten.
Selbstverständlich hatten die Behörden, Betreiber und Sachverständigen auch das schwedische AKW als sicher eingestuft. Genauso wäre auch im AKW Fukushima noch am 10. März 2011 jedem Fragenden beschieden worden, dass die Reaktoren dort sicher seien – jene Reaktoren, die nur einen Tag später dann havarierten.
Atomausstieg jetzt!
Wer Atomkatastrophen verhindern will, muss die AKW abschalten. Das ist die Lehre aus Fukushima. Hunderttausende sind deshalb 2011 gegen Atomkraft auf die Straße gegangen. Unter dem Eindruck der Proteste nahm die schwarz-gelbe Bundesregierung die kurz zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung der AKW zurück. Und der Bundestag beschloss mit einer breiten Fünf-Parteien-Mehrheit, dass von den damals 17 Reaktoren acht sofort vom Netz gehen und der Rest bis Ende 2022 folgen sollte.
Es gab und gibt keinen sachlichen Grund, den Atomausstieg noch weiter hinauszuzögern. Aber offensichtlich müssen wir noch einmal auf die Straße und ihn noch einmal deutlich einfordern. Damit spätestens Mitte April auch die letzten drei AKW endlich abgeschaltet werden.
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24.10.2022: Femke Goedeker, 30, beruflich in der Windkraft-Branche tätig, Gründungsmitglied im Bündnis Atomkraftgegner*innen im Emsland (AgiEL), engagiert sich auch beim Elternverein Restrisiko Emsland und beim BUND. Ein Porträt - Ohne Not und ohne Grund
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