Die USA meldet kürzlich eine Durchbruch bei der Atomfusion, erstmals sei mehr Energie gewonnen worden als in den Fusionsprozess gesteckt wurde, berichten Medien. Expert*innen sind sich zwar einig, dass es sich um einen wissenschaftlichen Meilenstein handelt. Doch diese Rechnung ist unvollständig. Hinzukommend wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die Technik konventionell nutzbar sein könnte.
An der National Ignition Facility (NIF) am Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien konnten die Forscher*innen mit Hilfe von Lasern eine Brennstoffkapsel mit den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium so stark komprimieren und erhitzen, dass sie eine anhaltende Atomfusion entzündeten (die sog. „Laserfusion“). Bei 2 Megajoule Laserenergie habe der Energieüberschuss 1,1 Megajoule betragen, das seien knapp 0,3 Kilowattstunden. Bislang wurde bei den Experimenten ein Wirkungsgrad von lediglich 50% erreicht. Im Januar 2022 hieß es noch, dass die Experimente lange nicht das lieferten, was die Planer erwartet hatten. Doch dieser aktuelle „Durchbruch“ ist auch noch weit davon entfernt, tatsächlich Nettoenergie zu liefern: Die genannten rund 2 Megajoule an investierter Laserenergie umfassen nur jenen Anteil, der in das System geleitet wird. Die rund 300 Megajoule an Energie (andere Quellen nennen sogar 500 Megajoule), die für den Betrieb der Lasergeräte aufgewendet werden müssen, wurden in der Bilanz nicht berücksichtigt. Auch liegt die Energie als Wärme vor, die erst unter entsprechenden Verlusten in Strom umgewandelt werden muss.
„Obwohl das eine positive Nachricht vom NIF ist, ist dieses Ergebnis noch weit von der tatsächlichen Energiegewinnung entfernt, die für die Stromerzeugung erforderlich ist“, so Tony Roulstone, der an der Universität Cambridge im Bereich Nuklearenergie tätig ist.
Auf technische Herausforderungen macht Sybille Günter vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching aufmerksam: Bei NIF werden ein so genannter Hohlraum verwendet, in dem die Laser erst auf eine Wand schießen und dort eine sehr homogene Röntgenstrahlung erzeuge. Für ein Kraftwerk sei diese Vorgehensweise jedoch nicht brauchbar, so Günter. Für den Bau von Fusionskraftwerken müssten „daher noch zahlreiche technologische Probleme behoben werden“.
Dennoch ließ sich die deutsche Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) im Heute Journal dazu hinreißen, von einem „historischen Tag für die Energieversorgung der Zukunft“ zu sprechen und Fusionskraftwerke in Deutschland in Aussicht zu stellen: ihrer Ansicht nach in schon zehn Jahren.
Das sei „starker Tobak“, sagt zum Beispiel Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der HTW Berlin. Bis die Atomfusion „vielleicht mal kommerziell Strom liefert, wird es mindestens noch 30 Jahre dauern. Völlig ungeeignet zum Stoppen der Klimakrise.“ „Das Experiment ist zwar ein schöner Meilenstein“, so Energieexpertin Claudia Kempfert. Als großen Durchbruch würde sie ihn aber nicht bezeichnen. Forschung sei gut, „am Ende muss die Energiewende aber ohne Fusion gelingen. Sie kommt dafür wirklich zu spät.“
Während die Fusions-Fans von günstiger Energie in beinahe unbegrenzter Menge und damit auch vom Kampf gegen die Armut sprechen, machen Eva Stegen, Energiereferentin beim Ökostromversorger EWS Schönau oder der Journalist Jürgen Döschner auf einen ganz anderen Aspekt aufmerksam: Beteiligt an dem amerikanischen Fusionsprojekt sind diverse Rüstungs-Konzerne, u.a. General Atomics. Warum? Nicht nur futuristische Reaktoren setzen auf das Prinzip Atomkernverschmelzung, sondern auch moderne Nuklearwaffen, die damit besonders heftig explodieren. Sehr deutlich wird da die Beschreibung der Anlage auf Wikipedia: „Zweck ist die Simulation von Kernwaffenexplosionen, um die Funktionssicherheit der US-amerikanischen Kernwaffen ohne ober- oder unterirdische Kernwaffentests zu gewährleisten.“
In Europa: Verzögerungen, Kostenüberschreitungen, Sicherheitsbedenken
Mehr als hundert Fusions-Testreaktoren haben Physiker*innen in den vergangenen 70 Jahren schon gebaut. Das europäische Projekt, an dem sich Staaten aus aller Welt beteiligen, entsteht im französischen Cadarache. Es handelt sich um ein „Jahrhundertprojekt“, ist gekennzeichnet von Verzögerungen und massive Kostenüberschreitungen. Ende Januar 2022 untersagte die französischen Atombehörde wegen Sicherheitsbedenken sogar bis auf weiteres Arbeiten, die nicht mehr rückgängig zu machen seien.
Zusammengefasst: Mit Sicherheit wird es in Deutschland in zehn Jahren keine Fusionsreaktoren geben. Eine Lösung für die Klimakrise, sowie für das Energieproblem ist Kernfusion sowieso nicht.
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Atomfusion: Der letzte Strohhalm einer untergehenden Industrie
18.10.2016 - In Frankreich entsteht eines der größten Industrieprojekte der Welt: Unter Mitwirkung von Deutschland wird dort der Fusionsreaktor „International Thermonuclear Experimental Reactor“ (ITER) gebaut. Die Kosten explodieren, ein Nutzen dieser Technik für die künftige Energiegewinnung ist äußerst fraglich. Und natürlich entsteht neuer, gefährlicher Atommüll.
Reaktorforschung und neue Reaktoren
Sicher, sauber, billig? Mit diesen Versprechen wirbt die Atom-Lobby seit Jahrzehnten für Atomkraft – kein AKW weltweit hat sie je erfüllt. Nun soll, glaubt man den Atom-Fans, eine neue Generation von Reaktortypen angeblich alle Probleme der Atomkraft lösen: Keine Risiken, kein gefährlicher Atommüll, keine horrenden Kosten, lautet erneut das Versprechen. Und obendrein sollen die Reaktoren auch noch das Klima retten.