Atomkraft bleibt Störfall - ein paar Beispiele

20.09.2022 | Jan Becker
Atomkraft: Sicher ist nur das Risiko!

In der Debatte um einen Weiterbetrieb der letzten deutschen Atomkraftwerke wird das tägliche Risiko durch die Anlagen ausgeblendet. Die Kraftwerke sind alt, die Gefahr eines schweren Unfalls wächst mit jedem Betriebstag. Das unvorstellbar große Risikopotential muss dringend wieder zentrales Thema werden.

Am medienwirksamsten ist die gestrige Meldung des Energiekonzerns Preussen Elektra, weil sie einmal mehr die verlogene Debatte um den Weiterbetrieb der AKW entlarvt: Im bayerischen Atomkraftwerk Isar-2 leckt ein Ventil. Zwar bestehe „keine Beeinträchtigung im System“, für solche Reparaturen muss der Reaktor aber abgeschaltet werden. Nötig sei eine Woche. Und damit beginnen sowohl Betreiber als auch die bayerische Atomaufsicht das Taktieren: Die Reparatur sei „nicht notwendig“, sollte das AKW wie vorgeschrieben am 31. Dezember 2022 für immer vom Netz gehen. Würde das Kraftwerk allerdings über dieses Datum hinaus als „Reserve“ betrieben werden, dann würde im Oktober eine Reparatur erfolgen müssen. Isar-2 ist also alles andere als „fit“ für einen problemlosen Weiterbetrieb. Die Deutsche Umwelthilfe spricht von einem „permanenten Sicherheitsrisiko“, der BUND unterstellt sogar einen möglicherweise „vertuschten Schaden“. Dass es hier um Milliarden Euro geht, dass erklärt Dirk Seifert in seinem Blogbeitrag "Ein nukleares Ventil … und was man draus macht" (19.9.2022)

Ein weiterer Störfall hat sich im schon abgeschalteten Atomkraftwerk Philippsburg-2 ereignet. Auch nach der endgültigen Außerbetriebnahme muss dessen Kühlsystem weiterlaufen, um die verbrauchten Brennelemente im Lagerbecken vor Überhitzung zu schützen. Eine dieser drei vorhandenen Beckenkühlpumpen musste „vorsorglich außer Betrieb genommen“ werden, weil sich eine „größere Mengen Luft im System“ befand. Nur einige Tage vorher machte ein Castor-Behälter Schlagzeilen, aus dem eine „geringe Menge“ Flüssigkeit ausgelaufen war. Radioaktiv war sie glücklicherweise nicht.

Rost, Pannen, Versagen

Im Zwischenlager Lubmin bei Greifswald sind kaputte Atommüllfässer gefunden worden. Es sei zwar (noch) keine Radioaktivität ausgetreten, es handelt sich aber um ein Problem, welches bereits in zahlreichen anderen Zwischenlagern deutschlandweit vorgekommen ist. Jahrzehnte alte, in Hallen gestapelte Fässer mit den strahlenden Hinterlassenschaften der Atomindustrie rotten vor sich hin. Und sofern Inspektionen unternommen werden, die teilweise technisch kompliziert sind, werden auch immer wieder kaputte Gebinde gefunden.

Die vielleicht größte Gefahr in den megakomplexen Atomanlagen ist aber wohl die Störfallquelle Mensch: im französischen Cattenom hat kürzlich ein Mitarbeiter „versehentlich“ ein Ventil geschlossen. Dadurch waren „mehrere Elemente des Kühlkreislaufs abgekoppelt“ - heißt, es konnte über den betreffenden Strang kein Kühlwasser aus der Mosel in den Meiler gepumpt werden. Nun gehört der Reaktor zwar zu den zahlreichen, die in Frankreich derzeit vom Netz sind. Trotzdem musste der Betreiber den Vorfall als „signifikantes Ereignis der Stufe 1“ an die Atomaufsicht melden.

Die wohl beunruhigenste Nachricht kommt erneut aus der Ukraine: Nach dem Bangen um das AKW Saporischschja hat es gestern einen Raketeneinschlag direkt neben einem weiteren Atomkraftwerk gegeben, dem AKW Südukraine. Laut Betreiber sei es zwar zu Beschädigungen gekommen, die Reaktoren seien selbst aber nicht davon betroffen. Doch auch die Lage im AKW Saporischschja ist weiter heikel. Das Personal steht unter Stress, die Stromversorgung ist prekär. Was passiert, wenn Russland die Reaktoren übernimmt, dazu hat der Greenpeacer Heinz Smital einen Gastkommentar in der taz veröffentlicht.

Eine gute Nachricht zum Schluss: es dauert nur noch wenige Tage, bis am kommenden Freitag der belgische Reaktorblock Doel-3, gezeichnet von tausenden Rissen im Reaktorbehälter, für immer vom Netz geht. Dennoch herrscht ein großer politischer Streit um die Zukunft dieses und weiterer Reaktoren, Teile der belgischen Regierung und die größte Oppositionspartei wollen Doel-3 „retten“.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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