„Die Zwischenlager sind nicht vor 2080 leer“

19.07.2022 | Armin Simon
Foto: Helmholtz Zentrum München

Reaktorsicherheitsexperte Michael Sailer, ehemals Vorsitzender der Entsorgungskommission, über die notwendige Debatte zur Zukunft der Zwischenlager und den Umgang mit den dort stehenden Castoren

Herr Sailer, die Genehmigung für das Zwischenlager in Gorleben läuft 2034 aus, die der anderen Zwischenlager wenige Jahre später. Wird bis dahin ein tiefengeologisches Lager zur Verfügung stehen?
Auf keinen Fall. Selbst wenn 2031 ein Standort vorgeschlagen sein und der Bundestag diesen bestimmt haben sollte – das ist bisher die politische Ansage –, brauchen wir danach noch zehn Jahre für das Genehmigungsverfahren und zehn Jahre für den Bau. Den ersten Behälter kann man frühestens Anfang der 2050er-Jahre einlagern.

Den ersten von 1.900 Castoren?
Nein. Deren Inhalt wird – so der bisherige Plan – in 6.000 Endlagerbehälter umgepackt werden müssen. Man wird 30 Jahre brauchen, bis man die alle unter Tage geschafft hat. Die Zwischenlager wären also erst Anfang der 2080er Jahre leer – nach dem optimistischsten Zeitplan.

Welche Fragen wirft das für die Zwischenlager auf?
Sind sie bis dahin ausreichend sicher? Bleibt das radioaktive Material in den Behältern drin? Und ist die Überwachung sichergestellt?

Was ist zu überwachen?
Dass es keinen Zutritt gibt. Das ist nur trivial, solange funktionsfähige Zäune und Wachmannschaften da sind. Zudem müssen die Lager in einem befriedeten Staatswesen stehen – es darf nicht einfach einer mit einem Schussgerät auf dem Lkw hinfahren. Und es setzt voraus, dass wir auch 2080 noch eine stabile Gesellschaft haben. Das hoffe ich zwar, aber die Welt war nicht immer so, dass das dauerhaft gegeben war. Technisch geht es vor allem um die Dichtungen der Behälterdeckel: Man weiß nicht, wie lange die halten. Ihre Überwachung funktioniert mit Druckschaltern – auch die gehen kaputt. Und falls ein Behälter undicht wird, muss eine Reparatur durchgeführt werden können. Auch dafür brauche ich eine qualifizierte Mannschaft.

Und gegebenenfalls eine heiße Zelle.
Wenn ich nicht nur einen weiteren Deckel aufschweißen will, ja. So eine Undichtigkeit zeichnet sich aber frühzeitig ab. Bei einer regelmäßigen Überwachung bleibt noch Zeit genug, um die heiße Zelle zu errichten – vorausgesetzt, dass schon fertige Pläne vorliegen.

Was ist mit dem Inhalt der Behälter? Jeder einzelne Castor enthält ja viele Tonnen hochradioaktiven Müll.
Wenn der Castor selbst direkt ins Endlager geschafft würde, wäre es egal, was in seinem Inneren bis dahin passiert. Aber wenn ich den Abfall zuvor umpacken muss in andere, für die Endlagerung geeignete Behälter, dann stellt sich die Frage: Ist der Inhalt nach so langer Zeit überhaupt noch umladefähig? Das funktioniert ja nur dann gut, wenn ich die Brennelemente und Glaskokillen mit einem Greifer fernbedient handhaben kann, ohne dass sie zerbrechen und zerbröseln. Das ist die große Unbekannte.

Gibt es Untersuchungen dazu?
Die bundeseigene Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) denkt darüber nach, wie man herausfinden kann, ob die Brennelemente und die Kokillen so lange stabil bleiben oder sich in einen Trümmerhafen verwandeln. Das Problem ist aber, dass man selbst aus einem intakten Zustand nach 20 Jahren nicht schließen kann, dass sie auch nach vier mal 20 Jahren noch intakt sind. Solche Zerfallsprozesse setzen erst im Laufe der Zeit ein. Und es gibt keine guten Verfahren, so etwas beschleunigt zu simulieren.

Warum ist diese Frage so entscheidend?
Die ganze Endlagerplanung beruht bisher auf der Annahme, dass der Müll für die Einlagerung in extra konzipierte Endlagerbehälter umgepackt wird. Nur, ob das 2080 dann noch geht, oder ob ich dann ein ganz neues Verfahren und eine Anlage brauche, mit der ich hochradioaktive Trümmer und Staub umladen kann, das kann man nicht sicher wissen.

Was wäre die Alternative?
Das man, wie es manche ja schon vorschlagen, gleich mit den Castoren selbst als Endlagerbehälter plant. Was allerdings das Problem aufwerfen würde, wie man diese sehr großen und sehr schweren Behälter überhaupt ins Endlager bringt. Auch das ist alles andere als trivial. Die Frage ist, was schlauer ist.

Was kommt auf die existierenden Zwischenlager zu?
Sie werden, und das muss man den Betroffenen sagen, faktisch so lange betrieben werden und betrieben werden müssen, bis sie leergeräumt sind – egal, ob eine Genehmigung da ist oder nicht. Ich sage das deshalb, weil wir ja bereits Zwischenlager mit zweifelhaftem genehmigungsrechtlichen Status in Deutschland haben; …

… das Zwischenlager Brunsbüttel, das seit Jahren nur mit Notverordnung betrieben wird, …
Wobei es mir deutlich lieber wäre, alle Lager hätten eine Genehmigung. Ich plädiere deshalb stark dafür, sich schon jetzt auf die notwendigen Genehmigungsverfahren vorzubereiten und vor allem Regeln, Sicherheitsanforderungen und erforderliche Nachweise festzulegen. Dafür brauchen wir eine gesellschaftliche Debatte, was wir wollen. Die Betroffenen, insbesondere die Leute an den Zwischenlagerstandorten, müssen in geeigneter Weise mitdiskutieren. Regierung und BGZ müssen dafür einen Dialog und eine klare Information organisieren.

Die BGZ? Wer deren aktuelle „Dialog“-Veranstaltungen zur Standortsuche für ein tiefengeologisches Lager besucht, hat den Eindruck, dass sie vor allem das eigene Vorgehen rechtfertigen und Bedenken beschwichtigen will.
Da gibt es natürlich, vorsichtig gesagt, Verbesserungspotenzial. Und jeder ist berechtigt, einen vernünftigen Dialog einzufordern. Umso wichtiger finde ich, einen solchen auch für die Zwischenlager schon jetzt zu beginnen. Dass noch nicht alle Fakten vorliegen, ist kein Hindernis. Zumal der Dialog ja als erstes die zu behandelnden Fragen klären sollte.

Laut Nationalen Entsorgungsprogramm (NaPro) soll nach Festlegung des Endlagerstandorts dort umgehend ein zentrales Zwischenlager entstehen …
Das NaPro ist von 2015 – und die Regierung wäre gut beraten, ein Update zu machen! Ich verstehe jedenfalls nicht, was das Umräumen von knapp 2.000 Castoren in ein großes zentrales Zwischenlager soll. Technisch bringt das keinen Sicherheitsvorteil. Und ob die Leute, die schon das Endlager hinnehmen müssen, das ganze Zeug auch noch für Jahrzehnte oberirdisch bei sich tolerieren, würde ich bezweifeln.

Interview: Armin Simon

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Foto: Öko Institut

Reaktorsicherheitsexperte Dipl.-Ing. Michael Sailer, ehemaliger Leiter des Fachbereichs Nukleartechnik und Anlagensicherheit des Öko-Instituts, war bis Ende 2019 Vorsitzender der Entsorgungskommission der Bundesregierung. Als dieser trat er nach Kritik an einem parallelen Beratervertrag für die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) zurück

 

 

Dieses Interview erschien erstmalig im .ausgestrahlt-Magazin 55 (Juni/Juli/August 2022)

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Armin Simon

Armin Simon, Jahrgang 1975, studierter Historiker, Redakteur und Vater zweier Kinder, hat seit "X-tausendmal quer" so gut wie keinen Castor-Transport verpasst. Als freiberuflicher Journalist und Buchautor verfasst er für .ausgestrahlt Broschüren, Interviews und Hintergrundanalysen.

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