Ursula van Dick über Zuversicht, Niederlage und Sieg im Streit um den Schnellen Brüter
Frau van Dick, der Bau des Schnellen Brüters auf der Wiese nebenan hat Ihre Kindheit und Jugend begleitet. Ihr Vater, der Bauer Josef Maas, war der bekannteste und wichtigste Gegner des Projekts. Waren Sie, war er immer zuversichtlich, dass es gelingen würde, es zu stoppen?
Mein Vater hat es als seine Pflicht angesehen, dagegen zu kämpfen. Da war er sehr entschieden. Und der viele Zuspruch und die Unterstützung, die er bekommen hat, haben ihn bestärkt. Aber wie zuversichtlich er war, zu gewinnen, das weiß ich nicht. Ich kann mich jedenfalls nicht entsinnen, dass er je gesagt hätte: Das schaffen wir.
Danach sah es zunächst auch nicht aus, im Gegenteil: 1985, nach 13 Jahren Kampf und Prozessen, hat ihr Vater den Hof verkauft – ausgerechnet an die KWU, die den Brüter nebenan baute.
Er glaubte, dass das AKW ans Netz geht. Mein Vater hat sich nie vorstellen können, neben dem AKW seinen Hof weiter zu betreiben, daher wollte er weg. Das hat er uns auch gesagt. Ich weiß noch, dass damals häufig Interessenten kamen, die unseren Hof kaufen wollten, jedoch dann abgesprungen sind, weil ihnen das AKW zu nah war. Ich denke, er hat dann keinen anderen Ausweg gesehen, als an die Kraftwerk Union (KWU) zu verkaufen, um sich eine neue Existenz an einem anderen Ort aufbauen zu können. Er hat dies uns gegenüber nie gesagt, dennoch denke ich, dass er den Deal mit der KWU auch unter der Bedingung gemacht hat, still zu halten und nicht weiter gegen das AKW zu kämpfen. Er hat danach nie wieder Interviews gegeben. Als Jugendliche habe ich das nicht verstanden. Aber ich glaube, der jahrelange Kampf hat ihn sehr zermürbt, auch gesundheitlich und finanziell.
1991 kam das endgültige Aus für den Brüter. Wie war das?
Ich weiß noch, dass ich mit meinem Vater vorm Fernseher saß wie jeden Abend, Tagesschau. Und dass wir uns sehr gefreut haben, auch mein Vater. Da war schon ein Stück Genugtuung dabei. Selbst damals hat er sich aber nicht öffentlich geäußert, hat nie die Lorbeeren geerntet. Ich glaube, dass das mit der Absprache mit der KWU zu tun hatte.
Sie selbst sind einige Jahre später zurückgezogen in ihr Heimatdorf, der Brüter ist heute ein Freizeitpark. Was nehmen Sie mit aus der jahrelangen Auseinandersetzung?
Als erstes, dass ich selber grün geworden bin. Zweitens das Vorbild, das mein Vater war: Er hat sehr für eine Sache gekämpft und sich nicht schnell unterkriegen lassen, das bewundere ich bis heute. Und drittens, dass wir 20 bis 30 Jahre verpennt haben, auf erneuerbare Energien zu setzen. Mein Vater hat uns als Kinder schon erklärt, wie ein Windrad funktioniert, am „Freundschaftshaus“, unserem Melkstall, der als Protestzentrale diente, hatten wir selbst ein kleines gebaut. Mein Vater hat immer gesagt: Wenn wir das Geld da reinstecken würden, wären wir schon ganz woanders. Und er hat Recht gehabt.
Interview: Armin Simon
Ursula van Dick, Jahrgang 1969, ist die Tochter von Josef Maas, genannt Bauer Maas, der seinen Hof in Hönnepel direkt neben der Baustelle des Schnellen Brüters zum Zentrum des Protests machte
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