Gorleben - das allerletzte Kapitel beginnt

22.06.2022 | Jan Becker
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Foto: publiXviewing / A. Conradt

Mit einem unvergesslichen Festival haben Anfang Juni mehr als zehntausend Menschen das Ende des Endlagerprojekts Gorleben und den Atomausstieg gefeiert. Jetzt ist auch der Arbeitsauftrag an den Betreiber erteilt worden, den Salzstock zu verfüllen. Das letzte Kapitel „Gorleben“ beginnt.

Das politische Ende – dass im Bergwerk Gorleben kein Atommüll gelagert werden soll – wurde bereits im September 2020 besiegelt. Am 14. Juni hat nun das Bundesministerium für Umwelt- und Verbraucherschutz den offiziellen Startschuss zur Schließung des Bergwerks gegeben, indem der Betreiber BGE den „konkreten Auftrag zur Schließung und Verfüllung der Schachtanlage“ bekommen hat. In Aussicht gestellt ist, dass die Schließung wenigstens zehn Jahre dauern wird.

Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg, die sich seit 45 Jahren gegen die Atommüllprojekte stemmt, spricht von einem „gewichtigen Meilenstein der Gorleben-Geschichte“. Im Wendland habe man lange auf den offiziellen Beschluss warten müssen. Solange der Bergwerksbetrieb andauerte, war die Befürchtung im Raum, dass der alte Standort bei einem schwierigen Verlauf der Endlagersuche doch wieder aus dem Hut hätte gezaubert werden können, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke.

Wir haben Geschichte geschrieben!

"Madsen" in Gorleben, 3.6.2022
„Madsen“ in Gorleben, 3.6.2022

Mit einer rauschenden „Kulturellen Widerstandspartie“ feierten zwei Wochen zuvor rund um die Atomanlagen mehr als zehntausend Menschen das Ende des Endlagerprojekts. Eine große Demo führte noch einmal um das verhinderte Bergwerk. Highlight des Tages war der Auftritt der wendländischen Band Madsen, dem im Vorfeld geheimgehaltenen „Special Guest“. Tausende tanzten bis spät in die Nacht zu der Musik von Kettcar, Mal Elévé, Rainer von Vielen, Laturb und vieler anderer Bands und DJs. Im Fokus des Erfolgsfests stand der Slogan „Wir haben Geschichte geschrieben“ – in Anlehnung an den bekannten Madsen-Song „Du schreibst Geschichte“. In Lüchow-Dannenberg, wo anlässlich der Castor-Proteste die größten Polizeieinsätze der Republik stattgefunden haben, geht eine Protest-Ära zu Ende.

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„Der Gorleben-Widerstand hat mit seiner Kraft und seinen Ideen Maßstäbe gesetzt! Die Zeugnisse dieses Kampfes, nicht zuletzt auch das ‚handwerkliche Know-How‘ (ihr wisst schon was ich meine), all das darf nicht verloren gehen“, warb Birgit Huneke, Leiterin des Gorleben Archivs auf der Madsen-Bühne in Gorleben. Der Protest habe Niedersachsen verändert, er sei „ein Paradebeispiel für Demokratie von unten“, beschrieb die ehemalige Landtagspräsidentin Dr. Gabriele Andretta im September 2021 beim Besuch des Archivs in Lüchow ihren Eindruck. Diese Erfahrungen müssten unbedingt in die Zukunft getragen werden.

Im Wendland soll deshalb ein „Lernort für Demokratie“ etabliert werden. Einen Grundstein dafür legte das  „Gorleben Archiv“ schon 2001, seitdem werden von Dachböden, aus Kellern oder Scheunen fast vergessene persönliche Protokolle, Tagebücher, Plakate, Fotos, Filme, Transparente gesammelt, aufbereitet und archiviert. Schließlich legen diese Dokumente Zeugnis darüber ab, wie und warum die Atompolitik gescheitert ist – und auch in Zukunft scheitern wird, wenn sich die Fehler der Vergangenheit wiederholen.

Anti-Atom-Radtour & Abschaltfest

Am 9. Juli startet die große „Anti-Atom-Radtour“ quer durch Deutschland. Per Fahrrad geht es zuerst in Norddeutschland und danach in Süddeutschland zu noch laufenden AKW, bereits abgeschalteten Reaktoren, verhinderten Kraftwerken, Atommüll-Zwischenlagern, Deponien für „freigemessene“ strahlende Abfälle, potenziellen Standorten für ein geologisches Tiefenlager, Atomfabriken, Firmensitzen der Atomindustrie und grenznahen Atomanlagen in den Nachbarländern. Das Ziel der „Nordtour“ wird am 30. Juli Gorleben sein, wo ein „Abschaltfest“ stattfindet.

Bei aller Freude über den Atomausstieg und das Endlager-Aus darf nicht vergessen werden, dass in ganz Deutschland – so auch in Gorleben – große Mengen Atommüll in zahlreichen Zwischenlagerhallen stehen. Die Lagerungsgenehmigungen laufen bald aus, eine „langfristig sicher Lösung“ ist nirgends in Sicht. Der bundesweite Suchprozess läuft bekanntlich. Doch selbst das Atommüll-Bundesamt mahnt an, dass der Zeitplan nicht eingehalten wird, es an Beteiligung und Transparenz mangelt.

Doch bei allen ungelösten Problemen: Das Feiern darf nicht zu kurz kommen. Schließlich ist die Anti-Atom-Bewegung einst gegen sehr mächtige Gegner*innen angetreten. Wer sich das bewusst macht, kann gar nicht anders, als sich mächtig über das Erreichte zu freuen. Und durch das Feiern auch neue Energie zu tanken für aktuelle und kommende Auseinandersetzungen.

weiterlesen:

Gorleben lebt
05.11.2020 - Das jahrzehntelange, beharrliche Engagement Zehntausender Atomkraftgegner*innen bringt das geplante Atommüll-Lager im maroden Salzstock Gorleben zu Fall. Die Entscheidung korrigiert einen alten, eklatanten Fehler. Die des neuen Suchverfahrens aber bleiben.

Gorleben: „Das zentrale Anliegen erreicht“
22.02.2021 - „Salz fördern ist besser als Atommüll lagern“: Unter diesem Motto gründeten Atomkraftgegner*innen 1996 die Salinas Salzgut GmbH, ihr Ziel: das Atommülllager verhindern. Mit dem Ausschluss Gorlebens aus dem Suchverfahren wurde „das zentrale Anliegen erreicht“, doch Salz fördern wollen sie trotzdem nicht mehr.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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