Atomares Risiko von Osten

09.02.2022 | Jan Becker
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Foto: Szeder László / wikimedia / CC 3.0

Die Slowakei will trotz erheblicher Sicherheitsbedenken einen veralteten Meiler in Betrieb nehmen. Dem entgegen stehen in Slowenien die Chancen gut, dass das einzige AKW im Land vom Netz gehen muss.

Vor zwei Wochen hat die slowakische Atomaufsicht ÚJD auf ihrer Website den Entwurf der finalen Betriebserlaubnis für den Atomreaktor Mochovce 3 veröffentlicht. Bislang wurde die Inbetriebnahme formal durch den Einspruch von der österreichischen Organisation GLOBAL 2000 aufgehalten. Gemeinsam mit einem „besorgten Atomingenieur“ aus dem AKW konnten zahlreiche Sicherheitsprobleme detailliert aufgelistet und veröffentlicht werden. Die slowakische Atombehörde lehnte den Einspruch jedoch ab. Auch wenn die Erteilung der Betriebserlaubnis deshalb „nicht überraschend“ erfolge, „ist sie sehr bedenklich, da die vorgebrachten ‚Argumente‘ zur Abweisung der analysierten fundamentalen Sicherheitsprobleme, wie erwartet äußerst oberflächlich sind und die bestehenden Sicherheitsprobleme nicht lösen“, warnt Reinhard Uhrig, Atom-Sprecher von GLOBAL 2000.

Bei Inbetriebnahme-Tests im Sommer 2021 sei es zum Beispiel zur massiven Beschädigung von Kernkomponenten des Reaktors wie dem Reaktordruckbehälter und des Primärkreislaufs gekommen, deren genaue Ursache bis heute ungeklärt ist. Bei einer Polizeirazzia wurden im März 2020 im Kernbereich des Atomreaktors minderwertige Rohrleitungen mit gefälschter Dokumentation gefunden, 12 Rohrleitungen mussten daraufhin ausgewechselt werden. Mehr als 4.500 weitere Rohrleitungskomponenten erklärte die Atomaufsicht nach einer „Computer-Evaluierung“ unter bestimmten „Annahmen“ für unbedenklich. Das Risiko eines (un-)beabsichtigten Flugzeugabsturzes über der Anlage wird in Kauf genommen, da die Wahrscheinlichkeit der möglichen Katastrophe „akzeptabel“ eingestuft wird - und daher keine weiteren Schutzmaßnahmen gesetzt werden müssen. Zum Schutz gäbe es „Stahlnetze“, die im Ernstfall ein Flugzeug auffangen sollen. Allenfalls mit einem Kleinstflugzeug würde das gelingen, belegen Analysen der Kritiker*innen.

„Die Betriebserlaubnis auf dieser Basis zu erteilen, ist fahrlässig“, unterstreicht GLOBAL 2000.

In den Medien ist davon zu lesen, dass es sich um den „ersten AKW-Neubau in Europa seit langem“ handelt. Besser tituliert ist der Meiler so: Es handelt sich um das weltweit einzige AKW-Neubauprojekt, bei dem die Reaktoren über keinen Sicherheitsbehälter („Containment“) verfügen. Es handelt sich dabei um einen „gängigen Standard in der Nukleartechnik“: Kommt es zu einem schweren Störfall mit Austritt von Radioaktivität im Innern, soll damit die Umgebung vor radioaktiver Kontaminierung geschützt werden.

Die Geschichte des „Neubauprojekts“ ist verhältnismäßig lang: Es handelt sich um vier WWER-440/213-Einheiten. Die Reaktoren der alten sowjetischen Bauart wurden mit westlichen Steuerungs- und Überwachungssystemen ausgerüstet. Doch auch so wären sie in Deutschland niemals genehmigungsfähig. Vergleichbare Meiler standen in Greifswald und wurden nach der Wiedervereinigung eben nicht nachgerüstet - sondern umgehend stillgelegt.

In Mochovce begann der Bau der Blöcke 1 und 2 schon 1983, die Arbeiten an den Blöcke 3 und 4 1987. Finanzielle Probleme stoppten dann 1993 die gesamte Baustelle. Der Bau von Block 1 und 2 wurde im Mai 1996 reaktiviert, die Inbetriebnahme erfolgte 1998 bzw. 1999. Die Blöcke 3 und 4 waren jahrelang „konserviert“. Mitte der 2000er Jahre erwarb dann der italienische Energiekonzern Enel die Mehrheit an Slovenske Elektrarne vom slowakischen Staat und verpflichtete sich zur Fertigstellung des AKW. Der Bau wurde Ende 2008 wieder aufgenommen. Der Zeitplan sah vor, dass Block 3 schon vor zehn Jahren ans Netz gehen sollte. Stattdessen folgten enorme Kostensteigerungen und Verzögerungen. Ein Höhepunkt aus kritischer Sicht war die Aufhebung der Baugenehmigung durch das slowakische Höchstgericht in 2013, weil die vorgeschriebene Bürgerbeteiligung nicht erfolgt war. Noch am selben Tag erließ die staatliche Atomaufsichtsbehörde aber eine Verfügung, die einen Baustopp ausschloss. Ohne das AKW würde „dem öffentlichen Interesse schwerer Schaden zugefügt“.

Global 2000 fordert nun die vollständige Offenlegung der Sicherheitsberichte des Betreibers sowie eine „transparente internationale Überprüfung der Baustelle auch unter Beteiligung von Expertinnen und Experten der Nachbarstaaten“.

Schlechte Karten für AKW Krško

Aus kritischer Sicht betrachtet ist die Situation um das slowenische Atomkraftwerk Krško besser: Der Betreiber will die Betriebszeit des maroden Atomkraftwerkes um 20 Jahre bis 2043 verlängern. Der altersschwache Druckwasserreaktor der US-amerikanischen Firma Westinghouse wurde schon in den 1970er Jahren errichtet und nahm 1981 seinen Betrieb auf. Neben dem sehr hohen Alter ist er besonders umstritten, weil er in einem erdbebengefährdeten Gebiet steht.

Atomkraftgegner*innen konnten vor Gericht erwirken, dass für die Laufzeitverlängerung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Unabhängige Expert*innen überprüfen dafür den Zustand des Reaktors, bewerten die Erdbeben-Gefahr am Standort neu und schätzen die Möglichkeiten einer alternativen Stromversorgung ab. Dabei habe der Meiler schlechte Karten, werten Expert*innen von Global 2000. Die Chancen stehen gut, dass die Betreibergesellschaft den Reaktor kostengünstig abschaltet – statt ihn teuer nachzurüsten.

weitere Informationen:

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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