Es wird abgeschaltet

15.12.2021 | Jan Becker
Foto: publixviewing.de


Nix mit "Renaissance": In Deutschland, Belgien, Frankreich und England werden Atomkraftwerke abgeschaltet.

In wenigen Tagen sind drei weitere Meiler in Deutschland endlich Geschichte. Mit Brokdorf und Grohnde nehmen jahrzehntelange Auseinandersetzungen ein Ende, von heftigen Kämpfen an den Bauzäunen der AKW-Baustellen begleitet. In deren Kontext wurden aber auch wichtige Urteile für die Versammlungsfreiheit erstritten. In Gundremmingen wird endlich der letzte deutsche Meiler mit einem Siedewasserreaktor abgeschaltet. Die havarierten Fukushima-Blöcke machten diese Typen weltberühmt. Übrig bleiben dann noch drei Meiler, die spätestens Ende kommenden Jahres vom Netz gehen müssen.

„Die Stilllegung ist auf den Protest zurückzuführen“
Karsten Hinrichsen, 78, Meteorologe, lebt in Sichtweite des AKW Brokdorf, gegen das er seit Jahrzehnten kämpft. Am 31. Dezember geht der 35 Jahre alte Reaktor für immer vom Netz. Ein Porträt.

Im Kontrast zu der Debatte um „Laufzeitverlängerungen alter Meiler“ oder gar „neue Atomkraftwerke“ für Klimaschutz, wie sie derzeit nicht nur in deutschen Medien tobt, schalten auch viele andere Länder um uns herum ab:

Allein im diesem Jahr sind in Großbritannien schon drei Atomkraftwerke endgültig stillgelegt worden. Eigentlich sollte das seit 2018 nicht mehr im Betrieb befindliche AKW Kraftwerk Dungeness-B bis 2028 weiter genutzt werden, doch zu hohe Schäden in der Anlage haben das letztendlich verhindert, berichtet der IWR-Newsticker. Am 26. November endete auch der Betrieb des Atomkraftwerk Hunterston B-1. Der französische Betreiber EDF hatte das an der schottischen Westküste gelegene Atomkraftwerk nach der Entdeckung von „zu vielen Rissen im Graphitkern“ vorzeitig stillgelegt. Der zweite und letzte betriebene Block am Standort soll Ende Januar 2022 folgen. Das Abschalten in Großbritannien geht also weiter.

Belgien hat den Atomausstieg bis Mitte 2025 beschlossen. Doch auch hier gibt es Forderungen, diesen Termin für angeblichen Klimaschutz und Versorgungssicherheit zu verschieben. Konkret steht im Raum, die beiden jüngsten Meiler Doel 4 (geplante Abschaltung 1. Juli 2025) und Tihange 3 (geplante Abschaltung 1. September 2025) weiter zu betreiben. Der Energieproduzent und Betreiber der Atomkraftwerke, Engie, hat sich zur vermeintlichen Zukunft der Kraftwerke sehr deutlich geäußert: Es sei mit Blick auf nötige Neubeantragung der Betriebsgenehmigungen „unmöglich“ eine Verlängerung zu realisieren. Auch in Deutschland hatten sich die AKW-Betreiberkonzerne gleichlautend zu vergleichbaren Forderungen geäußert. Es wird also definitiv abgeschaltet.

Und in Frankreich, wo Präsident Macron derzeit im Kampf um seine Wiederwahl neue Atomkraftwerke in Aussicht gestellt hat? Zwölf der 56 AKW haben im November 2021 keinen Strom erzeugt, verraten die Energy Charts des Frauenhofer Instituts. Zusätzlich waren einige weitere Reaktoren nur zeitweise in Betrieb. Ursache sind u.a. umfangreiche Wartungsarbeiten, die teilweise wegen Corona immer wieder aufgeschoben wurden. Das desaströse Neubau-Projekt in Flamanville ändert an dieser Zuverlässigkeits-Bilanz gar nichts.

Update 16.12.2021: Zwei weitere Meiler sind unplanmäßig abgeschaltet worden. Der französische Energiekonzern EDF musste den Betrieb eines Atomkraftwerkes in Civaux vorerst einstellen, weil korrosionsbedingte Risse in Rohren eines Reaktors festgestellt wurden. Während einer Routineüberprüfung im August wurde bereits ein Reaktor vom Netz genommen, dieser Betriebsstopp wird nun verlängert. Da in einem weiteren Atomkraftwerk des Stromversorgers in Chooz ähnliche Reaktoren genutzt werden, nahm EDF vorsichtshalber auch dieses vom Netz. (tagesschau.de)

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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