Insider-Infos aus China können französisches Atomflaggschiff EPR versenken

09.12.2021 | Eva Stegen
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Foto: Eva Stegen

Als Antwort auf Tschernobyl begann 1989 die Entwicklung eines Reaktors der dritten Generation. Der Europäische-Druckwasser-Reaktor EPR hat in Europa noch keine Kilowattstunde erzeugt. Trotz multipler Desaster zog niemand die Reißleine. Nun enthüllt ein Whistleblower einen System-Fehler, der das Ende des EPR sein müsste.

Manche Leute haben entweder Nerven wie Drahtseile, keinerlei Selbstachtung oder die tiefe Gewissheit, dass jeder Unfug, den sie von sich geben, über die internationalen Presseagenturen in alle Medien gepeitscht wird, gerade so als müsse man eine völlig absurde Ankündigung nicht wenigstens einmal überprüfen. Aber so ist es, der französische Kaiser ist nackt. Gerade hat er noch in die Presse hinausgerufen, er wolle sechs weitere Reaktorbaustellen des Fiasko-Flaggschiffs ‚EPR‘ (Europäischer Druckwasser-Reaktor) haben, da reißt ihm ein Whistleblower den letzten Fetzen Stoff vom Leib. Es war ein französischer Atomingenieur, der tiefe Einblicke in die EPR-Reaktoren im chinesischen Taishan hat. Es sind die einzigen beiden – von 200 angekündigten – die je ans Netz gingen.

Da waren‘s nur noch …

Einer von beiden ist jedoch, nach gerade mal 2,5 Jahren Laufzeit, wieder vom Netz. Mit unbekanntem Ausgang. Es verdichten sich die Hinweise, dass ein Konstruktionsfehler, der die gesamte EPR-Reihe betrifft, zum Abschalten von Taishan 1 geführt hat. Der Whistleblower gab dem Strahlenforschungsinstitut ‚CRIIRAD‘ wichtige technische Detail-Informationen aus Taishan. CRIIRAD wiederum richtete eine Reihe Fragen an die französische Atomaufsicht, ‚Autorité de Sûreté Nucléaire‘, ASN.

Das Schweigen der Mitwisser

Eine Kopie ging an die Nachrichten-Agentur ‚AFP‘, doch wie durch ein Wunder verbreitete sich die Schreckensmeldung nicht ansatzweise so rasant, wie die aberwitzige Ansage Macrons, weitere Milliarden in weiteren ‚EPR‘-Flopp-Baustellen zu versenken. Mit jedem weiteren Tag, an dem weder die Betreiber, noch die Atomaufsicht ‚ASN‘ dementieren, bekommt diese Hypothese vom Konstruktionsfehler, der alle ‚EPR‘ betrifft, mehr Gewicht.

Im Juni 2021 sorgte ein ‚CNN‘-Bericht aus dem chinesischen Taishan für Aufregung. Von einer »unmittelbaren radiologischen Bedrohung« war die Rede, in einem Brief des französischen Konsortial-Partners ‚Framatome‘ an das US-Energieministerium, der ‚CNN‘ vorliegt. Den chinesischen Sicherheitsbehörden wurde vorgeworfen, sie hätten die Strahlungs-Grenzwerte für den Außenbereich um das AKW hochgesetzt, um die Abschaltung des defekten Reaktorblocks zu umgehen.

Woher kommen die radioaktiven Gase?

Bereits im Oktober 2020 wurden an den Hüllrohren einiger Brennelemente Defekte festgestellt, die zum Austritt radioaktiver Gase im Reaktordruckbehälter führten. Trotz der radiologischen Risiken für Arbeiter*innen und Anwohner*innen lief das AKW weiter. Zunächst wurde abgewiegelt, so Bruno Chareyron von ‚CRIIRAD‘. Diese Hüllrohrschäden seien ganz normal, so etwas komme vor. Tatsächlich aber hätten sich der Grad der Beschädigung der Hüllrohre und die Gas-Leckagen im Reaktor seit seiner Brennstoff-Beladung im Herbst 2020 ständig verschlimmert.

Die Betreiber hätten die Behörden aufgefordert, den Grenzwert, bei dessen Überschreitung der Reaktor abgeschaltet werden muss, zu erhöhen. Die Behörden hätten den Wert verdoppelt, doch da die Kontamination weiter anstieg, kam es Ende Mai 2021 zu einer Überschreitung der neuen Warnschwelle. Das ging so weiter bis zur Abschaltung am 30. Juli 2021. Im August begann die Brennstäbe-Entladung. Niemand weiß, wann bzw. ob der Reaktor jemals wieder starten kann.

Dank der Insider-Kenntnisse des Whistleblowers kommt ‚CRIIRAD‘ den Ursachen für die defekten Hüllrohre, die das investigative Satiremagazine ‚le Canard enchaîné‘ als "Knoten in den Rohrleitungen" beschrieb, nun auf die Spur. Die Kameras, welche die Chinesen in das Herz des EPR, in den Reaktordruckbehälter, gebracht hatten, sollten die These, dass die Zirkonium-Hüllrohre, welche die Uran-Brennstäbe schützen, ungewöhnlich stark korrodiert sind, überprüfen.

In diesem Kontext gelangt eine kaum beachtete Mitteilung des Instituts für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit ‚IRSN‘ vom 31. März zu neuer Bedeutung: Das Institut äußerte sich besorgt über „abnormal hohe Vibrationen“, die bereits im Primärkreislauf mehrerer EPR-Reaktoren beobachtet wurden. Die gesamte Architektur der Rohrleitungen des Primärkreislaufs führe durch eine ungünstige Verteilung des Kühlwassers zu den starken Vibrationen im Reaktordruckbehälter. Diese Vibrationen könnten zu einem Rohrbruch im Primärkreislauf führen und erhebliche radioaktive Freisetzungen bewirken. Die Sorge des ‚IRSN‘ scheint so ernst zu sein, dass es die Frage aufwirft, ob nicht die gesamte Rohrleitungs-Architektur zu überarbeiten sei, "auch wenn das die Konzeption der Bautechnik in Frage stellen sollte", also auch die Betonstruktur des EPR. ‚Framatome‘ hat ‚IRSN‘ geantwortet, dass eine Änderung der Anordnung der Rohrleitungen zukünftiger EPR zu einer Schwächung der Rohre führen könnte, was Unfälle aufgrund von Dehnung und mechanischer Belastung zur Folge haben könnte.

Zur Rohrbruch-Gefahr im Primärkreislauf kommt also die Gefahr, dass die Gitter, welche die Brennelemente im Reaktordruckbehälter in Position halten sollen, durch die Vibrationen geschädigt werden. Wenn diese Struktur geschwächt ist, erklärte Chareyron, sei vorstellbar, dass im Falle eines Erdbebens die Cluster von Brenn- und Steuer-Stäben gegen die Innenwände des Behälters pendeln. Eine so induzierte Deformierung könne bewirken, dass die Steuerstäbe, die eigentlich die nukleare Kettenreaktion bremsen sollen, nicht einfahren können.

Bad Vibrations aus Olkiluoto und der Skandal-Schmiede Le Creusot

Schon im Jahr 2018 meldeten der finnische Stromversorger ‚TVO‘ und die finnische Sicherheitsbehörde ‚STUK‘, dass bei Tests auf der EPR-Dauerbaustelle Olkiluoto Vibrationen im Primärkreislauf am Reaktordruckbehälter, aufgetreten seien.

Doch bereits 2007/08 hätten Hydraulik-Modellversuche beim skandalumwitterten Nuklear-Großkomponenten-Hersteller in Le Creusot das Vibrations-Problem ans Licht gebracht. Deshalb fragt ‚CRIIRAD‘ die Atomaufsicht auch nach dem gescheiterten Versuch, mithilfe eines Umlenkblechs, das unter dem Reaktorkern angebracht wurde, den Wasserfluss zu reduzieren, um die Hydraulik und somit die Vibrationen zu beeinflussen. Das Vibrations-Problem ist also offensichtlich systemimmanent und betrifft neben den Taishan-Blöcken sowohl Olkiluoto als auch Flamanville und Hinkley Point C. Kurz und gut, alle Generation-3-Reaktoren, die einstmals als „inhärent sicher“ angepriesen wurden.

Corecatcher nicht catchy

So kommen also neben Carbon-spröden Fehlschmieden, vermurksten Schweißnähten und minderwertigem Beton die Schwingungen des kunstvoll verknoteten Rohrleitungs-Designs dazu. Der einstmals gepriesene Core-Catcher, über den ein geschmolzener Reaktorkern aufgefangen werden sollte, macht den Ingenieuren offenbar auch Kopfzerbrechen. Wenn ein größeres Bruchstück des Behälters die Rutsche zum Catcher versperren würde, flösse das Corium nicht in den Catcher, so die vertrauliche Schilderung. Doch der nackte Kaiser Macron wird nicht müde, lauthals seine atomaren Illusionen zu verkünden. Wenn die Idee der dritten Reaktorgeneration EPR, die übrigens aus dem Jahr 1989 stammt, nicht funzt, kann man den gleichen Quatsch ja noch mal erzählen. Dieselben „Klimaretter“-Texte einfach noch mal verwenden, nur Generation 3 und EPR durch Generation 4 und SMR ersetzen. Offenbar ist der Präsident sich sicher, dass die Nachrichten-Agenturen und die angeschlossenen Copy-Paste-Redaktionen schon das entsprechende Kopfkino bei den EU-Bürger*innen erzeugen. Denn von ihnen will er Taxonomie-Geld, für noch mehr Atom-Illusionen.

Infografik Start EPR 1989.png

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Eva Stegen

Eva Stegen engagiert sich für die Energiewende, privat als Bloggerin und beruflich als Energiereferentin der EWS Schönau. Sie ist Co-Autorin der Informationsschrift „Das Desaster der europäischen Atomwirtschaft“ Mitglied der Nuclear Consulting Group.

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