Unter Federführung von Frankreich haben zehn EU-Länder ihre Forderung unterstrichen, dass Atomenergie künftig als „nachhaltig“ massive Subventionen erhalten soll. Die Fakten sprechen gegen diese Forderung. Und das Interesse ist offenkundig nicht Klimaschutz.
Atomenergie sei eine „wichtige erschwingliche, stabile und unabhängige Energiequelle“, die die Verbraucher in der EU davor schützen könnte, „den Preisschwankungen ausgesetzt zu sein“, heißt es in einem von Frankreich initiierten Schreiben an die Europäische Kommission. Atomenergie solle als „kohlenstoffarme Energiequelle“ anerkannt und damit in die EU-Taxonomie-Verordnung für grüne Finanzierungen aufgenommen werden, fordern neben Frankreich Minister der Länder Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Finnland, Ungarn, Polen, Slowakei, Slowenien und Rumänien.
Erneuerbare Energiequellen würden zwar „eine Schlüsselrolle für unsere Energiewende spielen“, könnten aber „nicht genug kohlenstoffarmen Strom produzieren, um unseren Bedarf in ausreichendem und konstantem Maße zu decken“. Atomenergie sei ein „sicherer und innovativer“ Sektor, mit dessen Hilfe „in naher Zukunft“ eine Million „hochqualifizierte Arbeitsplätze“ geschaffen werden könnten...
Der französische Präsident Emmanuel Macron will offenbar mit dem Thema Atomenergie in den Wahlkampf ziehen. In einem halben Jahr stehen Neuwahlen an. Macron lobt die zahlreichen Atommeiler seines Landes als „Glücksfall“, wegen der geringen CO2-Emissionen und weil dort 200.000 Menschen beschäftigt seien...
Ein Rundumschlag zugunsten einer aussterbenden Branche
Der (weltweite) Trend ist ein völlig anderer: „Erneuerbare Energien boomen, die Atomenergie verliert“, resümierte kürzlich erst die taz den neuen „World Nuclear Industry Status Report“ (WNISR). Die Investitionen in erneuerbare Energien betragen laut WNISR mehr als 300 Milliarden Euro – und damit das 17-fache dessen, was die Atomwirtschaft vermelden konnte. Zugleich wird die globale Atomflotte immer älter: Das Durchschnittsalter der laufenden Reaktoren liegt heute bei etwa 31 Jahren, jede fünfte Einheit erreicht schon 41 Jahre oder mehr. Damit steigt das Risiko von altersbedingten Defekten, die zu großen Unfällen werden können, stetig an.
Doch im Einzelnen:
Macron verspricht, bis 2030 acht Milliarden Euro in die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu investieren. Eine einzige Milliarde davon soll in den „Ausbau der Atomenergie“ fließen. In Frankreich wird derzeit ein AKW neu gebaut. Die Kosten für den EPR in Flamanville haben sich nach etlichen Verzögerungen auf derzeit 19 Milliarden Euro summiert – und der Zeitpunkt für die Inbetriebnahme ist weiter unklar. Damals sollten die großen „Europäischen Druckwasserreaktoren“ made in Frankreich die Exportschlager werden. Den staatlichen Atomkonzern EDF hat diese und eine weitere Baustelle im finnischen Olkiluoto in den Ruin getrieben, umfangreiche finanzielle Rettungsmaßnahmen vom Staat waren nötig, der Konzern wurde zerschlagen.
Doch an Kraftwerke der 1.400 Megawatt-Klasse denkt Macron offenbar gar nicht mehr, er propagiert wie so manch anderer Politiker derzeit „Mini-Meiler“, also vergleichsweise kleine Atomkraftwerke. Es gibt weltweit einige wenige sogenannte „Small Modular Reactors“ (SMR) in der Entwicklung, eine Serienreife ist allerdings in weiter Ferne. Doch nur der Bau von ganz vielen dieser „kleinen“ Anlagen würde die selbe Menge an Energie liefern. Ein potentiell sicherheitstechnischer Vorteil durch ein kleineres Radioaktivitätsinventar wird durch die wesentlich größere Anzahl an Anlagen wieder wett gemacht. Im Falle einer (weltweiten) Verbreitung von Small Modular Reactors steigt zudem die Gefahr der Proliferation, also der Nutzung für militärische Zwecke wie der Herstellung von Atomwaffen.
Durch die geringe elektrische Leistung sind bei SMR die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Atomexperte Heinz Smital von Greenpeace hat errechnet, dass im Mittel 3.000 solcher SMR produziert werden müssten, damit sich ein Einstieg in die Technik überhaupt lohnt. Für einen solchen Atomkurs braucht also nicht nur Frankreich dringend zusätzliches (und sehr viel) Geld von Investoren. Auf genau diese finanzielle Unterstützung setzen die pro-Atom-Länder durch die Aufnahme der Atomkraft in die Taxonomie-Verordnung.
„Die Frage ist: Wird mit den harmlos klingenden Mini-AKW die Atomenergie als 'nachhaltige' Energieform in die EU-Taxonomie gemogelt, um die überschuldete Atomindustrie am Überleben zu erhalten?“ (Heinz Smital, Greenpeace)
Frankreich hat sich verpflichtet, bis 2035 den Anteil des Atomstroms auf 50 Prozent herunterzufahren. Dafür werden ein Dutzend alte Reaktoren abgeschaltet. Schon heute ist der Anteil der Atomkraft am Strommix auf den niedrigsten Stand seit 1985 gesunken. Die Nuklear-Kapazität mit „Mini-Meilern“ zu ersetzen, ist völlig unrealistisch.
Atomenergie stellt auch keine „unabhängige Energieversorgung“ dar. 1990 wurden in Frankreich selbst noch 2.800 Tonnen Uran abgebaut. Heute beträgt die Fördermenge genau Null. In 2016 benötigten alle französischen AKW über 9.000 Tonnen importierten Brennstoff pro Jahr. Seit mehr als 40 Jahren betreibt der französische Staatskonzern Orano (ehem. Areva) Uranabbau im kargen Norden des Landes Niger. Nach alter „Kolonialistenmanier“ eignet sich der Konzern dort das Land an, vertreibt die Menschen, vergiftet sie mit Uranstaub von gigantischen Abraumhalden, zerstört die Umwelt durch radioaktive Abwässer oder verbraucht unfassbar große Mengen wertvollen Wassers.
Bündnis-Statement zur EU-Taxonomie: Uranabbau „hochgradig schädlich“
Das Bündnis European Alliance for the Self-Determination of Indigenous PeopleS hat am 1. Oktober in einem Statement auf die Folgen des Uranbergbaus auf dem Territorium indigener Völker aufmerksam gemacht. - mehr auf uranium-network.org
Worum es wirklich geht
Im Dezember 2020 verkündete Macron, dass „es die zivile und militärische Atomenergie ist, die Frankreich den Status einer Großmacht verleiht“. Atomenergie werde „der Eckpfeiler unserer strategischen Autonomie bleiben“, so Emmanuel Macron. Das Argument Klimaschutz wird hier also missbraucht, statt des Umstiegs auf Erneuerbare Energien soll das nukleare Know-how im eigenen Land bleiben – und damit auch der nächste atomar angetriebene Flugzeugträger gerechtfertigt werden.
Atomenergie ist keine „bedeutende, kostengünstige, stabile und unabhängige Energiequelle“. Atomenergie ist nicht „nachhaltig“ und darf künftig nicht gefördert werden. Vergessen wird auch das Müllproblem. Keines der pro-Atom-Länder hat auch nur den Ansatz einer Lösung für eine langfristige „sichere“ Lagerung des Atommülls über eine Million Jahre.
weiterlesen:
Die Wasserstoff-Strategie Frankreichs – Jungbrunnen der Atomindustrie?
07.10.2021 - In der ersten Hälfte des Jahres 2022 wird die EU-Ratspräsidentschaft von Frankreich geleitet. Es ist damit zu rechnen, dass die Präsidentschaft dazu genutzt werden soll, den Green Deal, die EU-Taxonomie und das „Fit for 55“-Paket atomindustriefreundlich auszugestalten. Gleichzeitig laufen deutsch-französische Wasserstoff-Projekte von besonderer europäischer Wichtigkeit an, die sogenannten Important Projects of Common European Interest (IPCEI). Ebenso stehen in Frankreich strategische Weichenstellungen hinsichtlich neuer AKW und der Finanzierung von Laufzeitverlängerung an. Grund genug, sich die französische Wasserstoff-Strategie einmal genauer anzuschauen.
Das wird ein zweites Żarnowiec
13.09.2021 - Es ist riskant, unwirtschaftlich und hilft nicht, das Klima zu schützen. Polen will trotzdem Atomkraftwerke bauen. Diese Idee ist nicht zum ersten Mal gescheitert.
Auf Kosten des Klimas
26.08.2021 - In den Medien mehren sich die Stimmen, die angesichts der Klimakrise eine Renaissance der Atomkraft fordern. Mit Klimaschutz hat die neu aufgekeimte Atom-Debatte jedoch wenig zu tun.