17. Atomgesetz-Novelle - Klagerechte eingeschränkt, Gewaltenteilung geschwächt

16.08.2021 | Angela Wolff
Zwischenlager Brunsbüttel
- Standort-Zwischenlager Brunsbüttel
Foto: contratom

Der Staat hat nicht per se recht: Die 17. Atomgesetz-Novelle muss zurückgenommen werden, weil sie Klagerechte einschränkt und die Gewaltenteilung schwächt

"Die Behörde hat immer Recht" lautet die Essenz der 17. Atomgesetz-Novelle, die der Bundestag im Juni trotz verfassungsrechlicher Bedenken und gegen die Stimmen von Grünen, Linkspartei und FDP beschlossen hat. Fortan dürfen Gerichte qua Gesetz nicht mehr überprüfen und darüber urteilen, ob Atomanlagen oder Atommüll-Transporte ausreichend gegen mögliche Terrorgefahren geschützt sind. Der Gesetzgeber verwehrt den Gerichten zudem weiterhin den Zugang zu geheimen Sicherheitsunterlagen. Damit ist die Judikative ihrer Kontrollfunktion in puncto Terrorschutz beraubt und das Prinzip der Gewaltenteilung ausgesetzt.

Anwohner*innen und Umweltverbände können bei begründeten Zweifeln an den Schutzvorkehrungen für AKW, Atommüll-Lager oder Atommüll-Transporte zwar auch weiterhin von ihrem Klagerecht Gebrauch machen. Dieses ist aber de facto unwirksam. Denn das neue Atomgesetz stellt alle Entscheidungen der Genehmigungsbehörden zum Schutz gegen „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“ (SEWD) künftig unter „Funktionsvorbehalt“: Gerichte dürfen die Sicherheitskonzepte nicht mehr hinterfragen oder selbst bewerten, sondern müssen diese als richtig und fehlerfrei unterstellen.

Gesetzlicher Schutz für Behördenfehler

Der gesetzliche Funktionsvorbehalt hebelt nicht nur den Rechtsschutz von Anwohner*innen und Umweltverbänden aus, er gefährdet auch ganz konkret die Sicherheit. Denn der Verzicht auf die Kontrollfunktion der Gerichte setzt die Unfehlbarkeit der Genehmigungsbehörden voraus – zahlreiche Beispiele belegen das Gegenteil. Das novellierte Atomgesetz verhindert, dass Kläger*innen und Gerichte Sicherheitslücken aufdecken, die die Betriebsgenehmigungen etwa von unsicheren Atommüll-Lagern und AKW oder die Durchführung schlecht geschützter Castor-Transporte gefährden könnten. Die Schutzinteressen der Bürger*innen müssen zugunsten von Rechtssicherheit für behördliche Genehmigungsentscheidungen zurückstehen. Der Betrieb einer Atomanlage oder ein Atomtransport ist dann unter Umständen trotz massiver Sicherheitsdefizite juristisch nicht mehr angreifbar.
Die Gesetzesänderung muss als Reaktion auf die juristische Niederlage der Genehmigungsbehörden in der „Causa Brunsbüttel“ gesehen werden: Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hatte 2013 – bestätigt 2015 durch das Bundesverwaltungsgericht – die Betriebserlaubnis für das Zwischenlager Brunsbüttel kassiert. Es begründete dies mit erheblichen Ermittlungs- und Bewertungsfehlern der Genehmigungsbehörde. Betreiber und Behörden konnten bis heute nicht nachweisen, dass das Lager ausreichend gegen den Absturz eines Verkehrsflugzeuges und den Beschuss mit panzerbrechenden Waffen geschützt ist. Mit dem neuen Atomgesetz hätte kein Gericht diese Genehmigung kassieren können. Vattenfall hätte also die Betriebserlaubnis für das Atommüll-Lager trotz der Sicherheitsdefizite nicht verloren.

Ein behördlich genehmigter, den gesetzlichen Anforderungen aber nicht genügender Betrieb einer Atomanlage ist mit Ansprüchen an Rechtsstaatlichkeit unvereinbar. Doch statt sich um Konzepte für eine langfristig sichere Zwischenlagerung zu kümmern, hat sich das für die nukleare Sicherheit zuständige Bundesumweltministerium unter SPD-Führung für eine sicherheitstechnisch und verfassungsrechtlich bedenkliche Gesetzesänderung entschieden, die weitere unliebsame Gerichtsentscheidungen wie im Fall Brunsbüttel verhindern soll.

Alles in einer Hand

Die Teilentmachtung der Gerichte im Atomgesetz wird für alle künftigen atomrechtlichen Genehmigungen eine bedeutende Rolle spielen. In den kommenden beiden Jahrzehnten, wenn die Genehmigungen aller deutschen Zwischenlager auslaufen, wird dies besonders zum Tragen kommen.

Selbst nach den ambitionierten Schätzungen des Atommüll-Bundesamtes (BaSE) wird eine Einlagerung der hochradioaktiven Abfälle in ein mögliches dauerhaftes Atommüll-Lager nicht vor 2050 beginnen. Das heißt, alle Zwischenlager bundesweit werden ihre genehmigte Betriebsdauer von 40 Jahren definitiv überschreiten. Da alle Atommüll-Lager – mit Ausnahme der Halle in Brunsbüttel – mittlerweile in Staatshand sind, sind sowohl Antragsteller, die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ), als auch Genehmigungsbehörde, das BaSE, dem Bundesumweltministerium unterstellt. Wenn die Zuständigkeiten derart verquickt sind und gleichzeitig die unabhängige Kontrollinstanz entfällt, sind alle Zweifel daran, dass die Entscheidungen der Behörden im Ergebnis immer sicherheitsorientiert sind, vollkommen berechtigt. Kurz: Der von der großen Koalition eingeführte gesetzliche Funktionsvorbehalt öffnet Behördenwillkür Tür und Tor.

Die Anwohner*innen, die ohnehin mit Sicherheitsrisiken leben müssen, haben das Nachsehen, denn sie können weder Einblick in die geheimen Sicherheitsunterlagen nehmen (lassen), noch diese gerichtlich überprüfen lassen, noch konkrete Sicherungsmaßnahmen erstreiten. Zu befürchten ist zudem, dass das Funktionsvorbehalt-Prinzip mit all seinen Einschränkungen beim Rechtsschutz und der Gewaltenteilung perspektivisch auf andere Bereiche ausgeweitet wird.

Funktionsvorbehalt streichen

Die 17. Atomgesetz-Novelle muss daher umgehend zurückgenommen werden. Das vom Bundesrat in der Debatte um die Atomgesetz-Novelle geforderte „In-Camera-Verfahren“, bei dem geheimhaltungsbedürftige, sicherheitsrelevante Unterlagen nur dem Gericht selbst oder einer speziellen Kammer vorgelegt werden, bietet, wenn der Funktionsvorbehalt erhalten bleibt, keine wesentliche Verbesserung. Zwar könnten die Gerichte dann Einsicht in die Sicherheitsakten nehmen, sie hätten jedoch weiterhin keine rechtliche Handhabe, um Genehmigungen aufgrund von Sicherheitsmängeln aufzuheben. Eine bloße Ergänzung um ein In-Camera-Verfahren würde das Rechtsschutzdefizit also nicht beheben. Die nächste Atomgesetz-Novelle muss vielmehr den gesetzlichen Funktionsvorbehalt selbst aufheben.

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Angela Wolff

Angela Wolff ist zwischen Braunkohlekraftwerk und Atomreaktor im Rheinischen Revier aufgewachsen. Heute lebt sie an der dänischen Grenze in Schleswig-Holstein und setzt sich dort ehrenamtlich gegen verfehlte Atompolitik ein. Angela hat Medien- und Kulturwissenschaften studiert. Bevor sie 2017 als Redakteurin Teil des .ausgestrahlt-Teams wurde, hat sie für TV- und Filmproduktionen, Info-Kampagnen und Magazine geschrieben. Von 2019 bis 2021 war sie Campaignerin bei .ausgestrahlt und hat insbesondere zu den Themen Klima und Atom, Standortsuche und AKW-Abriss gearbeitet.

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