Atommüll-Projekte Schacht Konrad und Würgassen stoppen. Für die ungelöste Frage der Lagerung des schwach- und mitteradioaktiven Atommülls braucht es einen neuen gesellschaftlichen Verständigungsprozess. Interview mit Ursula Schönberger
Der Ausbau der Eisenerzgrube „Schacht Konrad“ zum Atommüll-Lager ist seit Jahren in vollem Gang. Wer oder was soll dieses Projekt noch stoppen?
Ursula Schönberger: Wir alle können das noch stoppen.
Ist der Rechtsweg nicht längst ausgeschöpft?
Nein. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Klageabweisung 2008 erklärt, es gebe kein Recht auf Nachweltschutz. Inzwischen gibt es aber ein Verbandsklagerecht für Umweltverbände, weswegen wir jetzt doch die Möglichkeit haben, die Langzeitsicherheit des geplanten Atommüll-Lagers überprüfen zu lassen.
BUND und Nabu Niedersachsen haben beim niedersächsischen Umweltministerium beantragt, den Planfeststellungsbeschluss erstens zurückzunehmen und zweitens zu widerrufen. Mit welcher Begründung jeweils?
Konrad hat schon bei seiner Genehmigung im Jahr 2002 nicht dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik entsprochen, daher ist sie zurückzunehmen. Erst recht entspricht das Lager nicht dem heutigen Stand von Wissenschaft und Technik. Juristisch ist die Genehmigung in diesem Fall zu widerrufen und die Inbetriebnahme darf nicht erfolgen.
Wo liegen die Defizite?
Das geht schon damit los, dass es kein wissenschaftsbasiertes Standortauswahlverfahren gab. Dabei war das bei Sondermülldeponien damals längst Standard, nur eben bei Schacht Konrad nicht. Die geologischen Daten, auf die man sich gestützt hat, waren Erdöl- und Erdgasbohrungen aus den 1920er Jahren. Zur Frage, ob der Standort zur Atommüll-Lagerung geeignet ist, können die nur wenig beitragen. Und welche Gefahr von den Bohrungen selbst ausgeht – sie durchdringen ja das Deckgebirge – wurde gar nicht untersucht. Bis heute weiß die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) nicht, welche hydrogeologischen Mechanismen hier wirken. Und es gibt keinen „einschlusswirksamen Gebirgsbereich“: Das Lager ist geologisch nach Norden hin offen. Auch die Behörden gehen davon aus, dass die Radionuklide sich in Wasser lösen und dann wegtransportiert werden. Die Frage ist nur noch: Wie hoch ist die Belastung, wenn sie an die Oberfläche kommen?
Welche Grenzwerte gelten da?
Bei hochradioaktiven Abfällen unterscheidet man heute zwischen erwartbaren und unerwarteten Ereignissen. Erstere dürfen Anwohner*innen mit maximal 10 Mikrosievert jährlich belasten, letztere mit maximal 100 Mikrosievert pro Jahr. Für Schacht Konrad gelten – unabhängig von der Wahrscheinlichkeit – 300 Mikrosievert jährlich als zulässig. Und es gibt Berechnungen, denen zufolge diese Dosis auch nahezu erreicht wird. Konrad wäre deshalb heute ganz klar nicht mehr genehmigungsfähig. Für die Betroffenen ist es doch vollkommen egal, ob sie durch schwach-, hoch- oder mittelradioaktive Abfälle Strahlung abbekommen!
Einmal erteilte Genehmigungen haben häufig Bestandsschutz, auch wenn sich die Anforderungen verschärfen.
Das wird ein Streitpunkt sein, ja. Aber erstens zeigen wir ja, dass Schacht Konrad schon bei der Genehmigung nicht den Standards entsprochen hat. Der AK End (Arbeitskreis Endlagersuche) hatte schon damals die Anforderung eines „einschlusswirksamen Gebirgsbereichs“ gestellt, und die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) hatte bereits Entwürfe für schärfere Sicherheitsanforderungen formuliert. Zweitens ist die Inbetriebnahmegenehmigung für Konrad noch gar nicht erteilt. Und im Übrigen gilt auch bei AKW der Bestandsschutz nicht für die zulässigen Emissionen.
Die BGE arbeitet an einer „Überprüfung der sicherheitstechnischen Anforderungen für das Endlager Konrad“ (ÜsiKo). Ist das nicht genau das, was die Kritiker*innen fordern?
Nein. Die BGE geht da gar nicht an die Basics ran: weder an die Frage der Datenlage noch an die nicht validierten Rechenmodelle. Im Zweifel beruft sie sich zudem immer noch darauf, dass die Sicherheitsanforderungen von 1983 anzuwenden seien. Das ist aber nicht das, was das Bundesverfassungsgericht als Stand von Wissenschaft und Technik definiert!
Welche Folgen hätte ein Stopp von Schacht Konrad?
Die Bundesregierung müsste endlich ein wissenschaftliches, systematisches Standortauswahlverfahren für die Lagerung der schwach- und mittelradioaktiven Abfälle auflegen. Das wäre zugleich eine gute Möglichkeit, Fehler im Standortauswahlgesetz zu korrigieren. Zweitens müssten die bestehenden Zwischenlager endlich so sicher wie möglich gemacht werden. Denn der Müll wird dort in jedem Fall noch Jahrzehnte liegen – selbst wenn Konrad 2027 in Betrieb gehen würde. Alleine das Einlagern unter Tage dauert ja mehr als 40 Jahre. Drittens würde auch das geplante zentrale Zwischenlager in Würgassen hinfällig, das untrennbar mit Konrad verbunden ist.
Könnte der Abriss der AKW ins Stocken geraten?
Nein. An allen AKW-Standorten werden eh Zwischenlager für den Abrissmüll entstehen.
Behindert der mit den Anträgen eingeschlagene juristische Weg nicht eine politische Entscheidung?
Solche juristischen Schritte haben überhaupt nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn es breite politische Unterstützung für das Anliegen gibt. Ein großes Bündnis regionaler Akteure, von der IG Metall über die Kommunen bis zum Landvolk, und bundesweiter Initiativen unterstützt unser Ansinnen schon. Es war eine politische Entscheidung, Schacht Konrad zu genehmigen. Genauso kann es eine sein, davon Abstand zu nehmen. Wir bauen Behörden und Politik nur eine Brücke, diesen längst überfälligen Schritt zu gehen.
Interview: Armin Simon
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