Anti-Atom-Außenpolitik

28.07.2021 | Patricia Lorenz
AKW Cattenom
AKW Cattenom
Foto: Les Meloures / Wikimedia

Die Bundesregierung muss sich auf europäischer und internationaler Ebene aktiver für den Atomausstieg einsetzen und dazu Bündnisse mit anderen atomkritischen Ländern schließen. Interview von Armin Simon mit Patricia Lorenz

In Deutschland sollen Ende 2022 die letzten Reaktoren vom Netz gehen. In der EU hingegen kocht das Thema gerade wieder hoch …
Patricia Lorenz: Wir sind mittendrin in der größten Schlacht, die die Atomkraft-Fans seit langem hatten!

Warum?
Die Atomindustrie ist enorm unter Druck – dazu hat auch der deutsche Ausstiegsbeschluss seinen Beitrag geleistet. Nun plant die EU, in der so genannten Taxonomie bestimmte Technologien als grün zu zertifizieren. Atomkraft ist letzten Sommer zunächst rausgeflogen, nachdem die von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe (TEG) klargestellt hatte, dass Atomkraft nicht nachhaltig ist – wegen des Atommülls, aber nicht nur deswegen. Das war ein Schock für die Atomindustrie, ein gewaltiger Imageschaden und es vergrößert ihre Schwierigkeiten, an Geld zu kommen.

Die Sache ist aber noch nicht endgültig vom Tisch.
Nein, Frankreich und andere atomfreundliche Länder kämpfen nun darum, Atomkraft zumindest als „Übergangstechnologie“ anzuerkennen. Was natürlich absurd ist, wenn man sich AKW-Bauzeiten etc. anschaut. Die Bundesregierung hat in ihrer eigenen Klimataxonomie Atomkraft definitiv ausgeschlossen. Wie sie sich auf EU-Ebene am Ende positioniert, werden wir noch sehen. Noch hält sie Kurs. Aber sie hat das Interesse, auch fossiles Erdgas als „Übergangstechnologie“ durchzubringen. Da droht ein gefährlicher Deal.
 
Österreich und auch Luxemburg verfolgen seit Jahrzehnten eine Art Anti-Atom-Außenpolitik. Was ist mit Deutschland?
Da ist bisher oft das Problem, dass sich die Ministerien uneinig sind. Je nachdem, aus welchem Ressort da jemand sitzt, beißt man dann auf Granit oder nicht. Man weiß nie genau, was Deutschland wo wann unterstützt oder doch ignoriert, es fehlt eine verbindliche Linie. Dieses ewig Unkoordinierte nützt der Gegenseite sehr.

Wie könnte es besser laufen?
Bei der Taxonomie etwa sollte Deutschland klar sagen, dass sie Atomkraft da nicht drinhaben wollen. Das hätte sehr großen Einfluss: Großbritannien ist ja weg, da bleiben nur noch Deutschland und Frankreich als große Player in der EU.

Was wären denn neben der EU-Taxonomie Hebel, an denen Deutschland ansetzen könnte, wenn es sich zu einer ernsthaften Anti-Atom-Außenpolitik durchringen würde?
Effizient wäre natürlich, an den Sicherheitsstandards für AKW zu schrauben. Je höher diese sind, desto schwieriger werden auch Laufzeitverlängerungen; noch dazu steigen dadurch die Kosten. Deutschland muss helfen, die Messlatte hoch zu hängen, und es muss auch in den grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfungen, die vor Laufzeitverlängerungen vorgeschrieben sind, darauf drängen, dass Alternativen angeschaut und geprüft werden.

Was ist mit den AKW-Stresstests, die es nach Fukushima gab?
Deutschland sollte auf Umsetzung der To-dos drängen, die sich daraus ergeben haben. Frankreich etwa hat da bisher gar nichts getan außer Ankündigungen, und das ist jetzt zehn Jahre her! Da regelmäßig nachzufragen, wäre schon hilfreich. Deutschland könnte außerdem ein bisschen drängen, dass die EU ihre geplante Atommüll-Richtlinie ernsthaft weiter verfolgt.

Sollte Deutschland aus Euratom austreten?
In Österreich haben wir die Frage eines Euratom-Austritts auch diskutiert. In meinen Augen konnte Österreich allerdings in Euratom unterm Strich sogar seine größten Anti-Atom-Erfolge verbuchen. Denn die Pro-Atom-Länder und die EU-Kommission wissen, dass sie vieles nie durchbringen werden, solange Österreich das ablehnt und meistens auch noch von Luxemburg und mittlerweile gar nicht mehr so wenigen anderen Ländern unterstützt wird. Das ist sozusagen Abschreckung. Oft kommt gar nicht an die Öffentlichkeit, was alles verhindert wurde.

Ist eine Euratom-Reform eine realistische Option?
Wenn Deutschland sich dazu aufraffen würde, das ernsthaft zu verfolgen, dann schon. Eine Regierungskonferenz macht in meinen Augen aber erst dann Sinn, wenn eine Mehrheit zumindest in Aussicht ist. Es dürfte nicht am Veto Frankreichs scheitern oder gar mit einer Verbesserung für die Atom-Fans enden! Dabei sein ist nicht alles.

Welche indirekten Anti-Atom-Effekte im Ausland könnte Deutschland anstoßen und fördern?
Den europaweiten Ausbau der Erneuerbaren Energien fördern zum Beispiel! Auch dafür gibt es ja EU-Vorschriften, trotzdem weigern sich manche Länder. Slowenien etwa will die Laufzeit des AKW Krško verlängern. Aber wer sich dort Solarzellen aufs Dach schrauben will, braucht circa 60 Genehmigungen: Der Staat hat alles getan, damit da wirklich keiner mehr was tut. Auch hier könnte man auf EU-Ebene versuchen, die Ziele zu erhöhen, und auf eine gute Umsetzung drängen.
Interview: Armin Simon

Weitere Informationen:

10 Jahre Fukushima: Deutschland braucht eine Anti-Atom-Europapolitik
8. März 2021: Zehn Jahre nach Beginn der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima fordern Atomkraftgegner*innen eine deutsche Anti-Atom-Europapolitik

Gelber Wasserstoff als potentielle Krücke der europäischen Atomkraft
23. März 2021: In der EU wird darum gestritten, welche Rolle Atomkraft und fossiles Gas in der europäischen Wasserstoffstrategie spielen. Doch was hat es eigentlich mit diesem Wasserstoff-Hype auf sich, wo liegen die Gefahren aus atomkritischer Perspektive und was muss passieren, damit das ganze nicht im Greenwashing endet?

Die richtig schmutzigen Atom-Deals: EU-Taxonomie mit Hintertür für Atomkraft
24. März 2021: Die Atomlobby drängt weiter darauf, dass Atomkraft als nachhaltig eingestuft wird. Denn wenn die EU-Taxonomie die Hochrisikotechnik endgültig ausschließen würde, würde das für die Atomlobby nicht nur PR-Schäden bedeuten, sondern vor allem finanzielle Einbußen.

Der JRC-Report - Grundlage für Entscheidungen zu Atomkraft?
13.07.2021: Am 15. Juli 2021 hat die EU-Kommission den Bericht des Joint Research Centers (JRC) vor dem ITRE-Ausschuss des EU-Parlaments präsentiert. Günter Wippel (uranium-network) hat den JRC-Bericht analysiert. Er fasst hier die wichtigsten Punkte zusammen.

Ausfühliche Hintergrundinformation und Podcast

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Patricia Lorenz

Campaignerin bei der österreichischen Umweltorganisation Global 2000.

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