In Kürze beginnen die im letzten Jahr verschobenen Olympischen und Paralympischen Sommerspiele in Japan. Nicht weit vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima finden Wettkämpfe statt. Die Ärzt*innenorganisation IPPNW warnt vor der Verharmlosung der radioaktiven Gefahr.
Knapp 70 Kilometer entfernt von den Ruinen der Kraftwerksblöcke von Fukushima, in denen sich im März 2011 der mehrfache Super-GAU ereignete, findet am 21. Juli eine erste Softball-Partie zwischen Australien und Japan statt. Austragungsort ist das Azuma-Baseball-Stadium in der Präfektur Fukushima. Der traditionelle Fackellauf zur Eröffnung der Spiele führt durch verstrahltes Gebiet.
Die havarierten Reaktoren sind noch längst nicht außer Gefahr. Von ihnen geht eine anhaltende Strahlenbelastung aus; jeden Tag nimmt die radioaktive Kontamination von Meer, Luft und Boden zu. Große Mengen an radioaktivem Material befinden sich weiterhin in den havarierten Reaktorgebäuden, während auf dem Kraftwerksgelände radioaktive Materialien unter freiem Himmel gelagert werden. Dieser Zustand stellt im Fall eines erneuten Erdbebens eine große Gefahr für Mensch und Umwelt dar. Die Atomkatastrophe dauert an. Es gibt keine Entwarnung. Die ökologischen und sozialen Folgen sind in Japan weithin sichtbar: Entwurzelte Familien, ausgestorbene Evakuierungszonen, hunderttausende Säcke mit verstrahlter Erde, verseuchte Wälder, Flüsse und Seen.
„Noch immer werden sowohl am Azuma-Stadium in Fukushima als auch im Trainingszentrum des J-Village regelmäßig erhöhte Strahlungswerte gemessen, wie eine Studie aus dem vergangenen Jahr nachweist. Diese sogenannten Hotspots gibt es trotz des hohen Dekontaminationsaufwands,“ warnt IPPNW Co-Vorsitzende Dr. Angelika Claußen. Zudem gäbe es im J-Village Trainingszentrum einen toxikologisch sehr gefährlichen Hotspot mit Plutonium 239. „Wir sorgen uns um die gesundheitlichen Folgen der radioaktiven Kontamination. Dies gilt insbesondere für Menschen mit erhöhter Strahlensensibilität, für Schwangere und Kinder.“
Für Sportler*innen, die sich in den Sportstätten der Großregion Tokio aufhalten, ist die radiologische Exposition gering. Für die Bevölkerung, die dauerhaft in der Region Fukushima lebt, sind gesundheitliche Auswirkungen jedoch absehbar. So haben sich die Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern aus Fukushima seit der Katastrophe bereits um das 20-fache erhöht.
Zwangsbesiedelung von kontaminierten Gebieten
Internationale Regelungen sehen vor, dass die Bevölkerung nach einem Atomunfall lediglich 1 Millisievert (mSv) zusätzlicher Strahlung pro Jahr ausgesetzt werden darf. In den rückbesiedelten Gebieten in Fukushima wird der Bevölkerung jedoch eine Strahlendosis zugemutet, die bis zu 20 Mal höher liegt (bis 20 mSv). Möglich macht das die bisher nicht aufgehobene Notstandsverordnung. Doch selbst Ortschaften, die bereits „dekontaminiert“ wurden, können durch Wind und Wetter jederzeit erneut verstrahlt werden. Die Radioaktivität ist in den Wälder und Bergen, die nur mit sehr großem Aufwand dekontaminiert werden könnten, gespeichert und kann wieder freigesetzt werden.
Japan will mit der Durchführung der Olympischen Spiele der Welt „Normalität“ vorgaukeln. Nach Schätzung der Regierung wird das Großereignis mehr als 12 Milliarden Euro kosten. Gleichzeitig droht die japanische Regierung damit, die Unterstützungsleistungen für alle diejenigen, die nach dem GAU evakuiert wurden und sich jetzt weigern, in die belasteten Gebiete zurückzukehren, zu streichen.
„Die Olympischen Spiele werden von der japanischen Regierung missbraucht, um der ganzen Welt zu demonstrieren, dass die Nuklearkatastrophe bereits Geschichte sei. Anstatt die Normalität medienwirksam vorzutäuschen und Unmengen an Geld für diese Spiele auszugeben, sollte die japanische Regierung mehr tun, um den Opfern zu helfen und die Geflüchteten mit Wohnungsgeldern zu unterstützen“, fordert Yu Kajikawa von der Gruppe „Sayonara Nukes Berlin“.
„Es handelt sich um eine rein propagandistische Show, die vor allem von der atomaren Menschheitskatastrophe in Fukushima ablenken soll“, heißt es von der ethecon Stiftung Ethik & Ökonomie. ethecon verleiht jährlich gemeinsam mit den Kritischen Aktionär*innen den negativen Black Planet Award, mit dem Konzernvorstände und Eigentümer*innen geschmäht werden, denen die Stiftung eine besondere Verantwortung für den Ruin von Mensch und Umwelt vorwirft. 2011 erhielt der Fukushima-Betreiber TEPCO diese Auszeichnung.
In einer gemeinsamen Petition von IPPNW, Sayonara Nukes Berlin und .ausgestrahlt verlangten bereits im April knapp 11.000 Unterzeichner*innen vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und der japanischen Regierung, auf die Austragung der Wettkämpfe in Fukushima-City sowie den Fackellauf in den verstrahlten Gebieten zu verzichten.
Dieses Ziel wurde leider nicht erreicht. Nun muss die mediale Aufmerksamkeit der Olympischen Spiele dafür genutzt werden, um Initiativen zum Atomausstieg in Japan zu unterstützen und die weltweite Energiewende zu propagieren. Auch muss thematisiert werden, dass es weltweit kein Langzeit-Lager gibt, in dem die giftigen Hinterlassenschaften der Atomindustrie angemessen sicher verwahrt werden können.
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Quellen (Auszug): PE IPPNW, ethecon, 20.7.2021