Wilde Atommüll-Tauschgeschäfte zwischen Frankreich und Deutschland

17.06.2021 | Jan Becker
Foto: PubliXviewinG

Weil sich Transportprobleme nicht lösen lassen, haben Deutschland und Frankreich Atommüll getauscht. Das reduziert die Anzahl an nötigen Atommüll-Fuhren durch Deutschland auf eine einzige – erhöht aber das Risikopotential erheblich. Möglich wurde dieser Deal durch eine kurzfristige, intransparente Gesetzesänderung.

Es ist schon viele Jahre her, da sorgte die Meldung, dass so genannte „CSD-Kokillen“ in das Zwischenlager Ahaus gebracht werden sollen, für Unmut. Es handelt sich dabei um mittelaktiven Atommüll, der bei der Wiederaufarbeitung von deutschem Atommüll in La Hague angefallen ist. 152 Behälter mit diesen „hochdruckverpressten Metallresten“ sollten ins nordrhein-westfälische Zwischenlager gebracht werden. Ergänzend dazu waren fünf Castor-Behälter mit verglasten mittelradioaktiven Abfällen für das Zwischenlager Philippsburg vorgesehen. Die Ahaus-Pläne waren schon 2006 bekannt geworden, damals wurde sogar schon eine Einlagerungsgenehmigung beantragt. Die sogenannten „CSD-Kokillen“ sollten ab 2009 aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague in das Zwischenlager in Ahaus rollen, berichtete „die tageszeitung“ am 15.9.2006. Von „270 Großbehältern“ war die Rede.

Doch dann gab es viele Jahre immer wieder Meldungen über Schwierigkeiten bei der Konstruktion eines passenden Behälters für den Müll. Im November 2007 war die Rede von „speziellen Transport- und Lagerbehältern vom Typ TGC 36“. Vor einem Jahr dann von 152 Behältern vom Typ „TGC-27“. Zwar hätte Frankreich wohl mit einem kleineren Behältertyp „TN-85“ aushelfen können, doch der war der zuständigen Gesellschaft für Nuklearservice offenbar zu teuer, ein eigener Behälter sollte entwickelt werden. Die Ministerien sprechen nun von „technischen Schwierigkeiten bei der dafür vorgesehenen Behälterbauart TGC27“. Dieser sei „nicht realisierbar“. Würde der Plan der Rückführung des deutschen Mülls weiter verfolgt werden, müsse mit einer zeitlichen Verzögerung des Transports „bis in die Vierzigerjahre“ gerechnet werden (auch der erwartete Protest wurde mal als Ursache für Verzögerungen genannt).

Atommüllprojekt gescheitert

Es kommt deshalb alles anders. Nach fünf Jahren Verhandlung haben sich Deutschland und Frankreich darauf verständigt, dass Deutschland „in der Summe die gleiche Radioaktivität“ aus Frankreich zurücknimmt, „wie ursprünglich vereinbart“. Bis 2024 – der vertraglich vereinbarte Zeitpunkt für die späteste Rückführung - sollen nun „drei bis fünf Behälter mit hoch radioaktiven Atomabfällen“ aus dem französischen La Hague ins baden-württembergische Zwischenlager Philippsburg gebracht werden, heißt es in einem gemeinsamen Informationspapier von Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium. „Statt voraussichtlich bis zu 17 Transporten mit mittelradioaktiven Abfällen findet nur ein Transport mit hochradioaktiven Abfällen statt“, wirbt das BMU. „In der Abwägung der Argumente haben wir uns für solidarisches und verantwortungsvolles Handeln und für mehr Sicherheit durch weniger Castor-Transporte entschieden“, bekräftigt die baden-württembergische Landesumweltministerin Thekla Walker (Grüne), in deren Land der Atommüll rollen soll.

Die Geschichte um diese Atomtransporte ist ein Ausschnitt aus dem ganzen perspektivlosen Atommüll-Desaster. Es wird immer teurer, ein Ende ist nicht in Sicht.

Damit würden sowohl die 152 „CSD-Kokillen“-Behälter für Ahaus als auch die fünf Castoren mit mittelaktivem Abfall für Philippsburg wegfallen – der Rücktransport aller Atomabfälle, die Deutschland aus Frankreich zurücknehmen muss, wäre abgeschlossen. Frankreich erhält allerdings einen bisher unbekannt hohen „finanziellen Ausgleich“ wegen des größeren Abfallvolumens – und behält die 157 Behälter mit mittelaktivem Abfall.

Atommüll-Kasse wird geplündert

Dieser „Ausgleich“ wird aus Mitteln des staatlichen Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) beglichen. In den haben die Energiekonzerne 24 Milliarden Euro eingezahlt und sich so ihrer Atommüll-Altlast entledigt. Auch wenn belegt ist, dass dieses Geld für eine langfristige Atommüll-Lagerung nicht ausreichen wird – und damit der Staat auf den Kosten sitzen bleibt, sind diese Mittel zweckgebunden für die „Endlagerung“ des Atommülls einzusetzen. Und nicht etwa für Atommüll-Tauschgeschäfte.

Eine kürzliche Änderung des Atomgesetzes (17. und 18. AtG-Novelle) ermöglicht der KENFO künftig allerdings genau das: Diese darf nun auch dann finanziell aktiv werden, wenn es sich nicht um „direkte Entsorgungs-Aufgaben“ handelt. Es reicht jetzt, dass die Maßnahmen dazu führen, „den Entsorgungsaufwand zu reduzieren“, analysiert Dirk Seifert. „In jedem Fall führt das dazu, dass auch die Atomkonzerne noch einmal Kosten sparen und damit ebenfalls entlastet werden“, schreibt er in seinem Blog. Die Bundesregierung habe die Änderung „im Eiltempo“ und intransparent durchgezogen, offen ist zum Beispiel, für welche weiteren Maßnahmen die neue gesetzliche Grundlage künftig eingesetzt werden könnte.

Viele Frage offen

So vorteilhaft es mit Blick auf Sicherheitsfragen sei, dass die Anzahl der Atomtransporte reduziert wird, es sind viele Fragen unbeantwortet. Zwar bedeutet diese Entscheidung eine Entlastung für das Zwischenlager Ahaus. Es werden weniger Atomtransporte rollen müssen. Teil der Vereinbarung ist aber, dass 30 leere Brennelemente-Transportbehälter nach Ahaus gebracht werden. Diese sind allerdings schon genutzt worden und stellen damit Atommüll dar, der gesondert gelagert werden muss.

Andererseits wird durch dieses „Tauschgeschäft“ aber das Gefahrenpotential des Transports nach Philippsburg deutlich erhöht, da es sich nun um hochradioaktive Abfälle handelt. Die Risiken bei jedem einzelnen dieser gefährlichen Transporte durch einen Anschlag oder Unfall sind groß. Auch die Lagerhalle in Philippsburg ist, wie alle anderen Atommüll-Hallen, unzureichend gegen gezielte Terrorangriffe oder Flugzeugabstürze gesichert. In Philippsburg bleiben kann der Müll nicht, es handelt sich dort um eine auf 40 Jahre zeitlich limitierte Zwischenlagerung. Was dann? Frankreich behält nun den deutschen Müll. Doch was passiert dort damit? Die langfristige Lagerung des Atommülls ist auch dort völlig ungeklärt.

„Vor der Anlieferung braucht es eine tatsächliche Perspektive, wohin der Müll am Ende gebracht werden kann“, fordert das Bündnis „Castor stoppen“, dass bereits mit Protesten gegen die Anlieferung von Atommüll aus Sellafield nach Biblis im letzten November für Aufsehen sorgte. „Einen Transport des hochradioaktiven Atommülls nach Philippsburg lehnen wir ab!“

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Radioaktive Irrfahrten

03.12.2020 - Wegen des Unfallrisikos und der möglichen Freisetzung von Strahlung sind Atomtransporte gefährlich. Das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung untersagt „unnötige“ Transporte. Doch zwischen Würgassen und Grafenrheinfeld sollen sie offenbar stattfinden.

Das Behälter-Problem

02.12.2020 - Während in den Zwischenlagern Betonmauern zusätzliche Sicherheit bieten, sind es allein die Atommüll-Behälter, die während des Transports den Schutz gegen Einwirkungen von außen gewährleisten müssen. In ihnen befindet sich der giftigste Müll, den die Menschheit produziert hat. Jetzt gab es Serienfehler bei den Verschlussdeckeln.

Castor-Protest – wichtig und richtig

10.11.2020 - Anfang November rollte trotz Corona-Lockdown ein Castor-Transport aus dem britischen Sellafield ins hessische Biblis – der erste Rücktransport aus den Plutonium-Fabriken im Ausland seit neun Jahren. Begleitet wurde er von einem Großaufgebot der Polizei, von Protesten und von einer Kontroverse in den (sozialen) Medien.

Planlose und gefährliche Zwischenlagerung

04.09.2020 - Selbst wenn der aktuelle Suchprozess für ein Atommüll-Lager am Ende einen Standort benennt, an den der gesamte hochradioaktive Müll gebracht werden soll: Der Abfall wird sich noch sehr lange in unzureichend geschützten Zwischenlagerhallen befinden. Die Politik verschleppt das Problem.

CSD-Atommülldesaster

13.08.2020 - Es ist schon viele Jahre her, da sorgte die Meldung, dass so genannte „CSD-Kokillen“ in das Zwischenlager Ahaus gebracht werden sollen, für Unmut. Die Geschichte um diese Atomtransporte ist ein Ausschnitt aus dem ganzen perspektivlosen Atommüll-Desaster, das immer teurer wird.

Quellen (Auszug): umweltfairaendern.de, heise.de, castor-stoppen.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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