Rund 80 Initiativen und Verbände aus mehreren europäischen Ländern fordern mit einer trinationalen Resolution, das Brennelementewerk in Lingen zu schließen und den deutschen Atomausstieg anzuerkennen.
Präsident Macron und Präsident Putin sollen „den Atomausstieg in Deutschland respektieren“, fordern die Initiator*innen der Resolution, das Bündnis AgiEL – AtomkraftgegnerInnen im Emsland, Réseau Sortir du nucléaire, Frankreich und Ecodefense aus Russland. Die Brennelementefabrik in Lingen müsse komplett geschlossen werden „und nicht durch ein neues Joint Venture künstlich weiter in Betrieb bleiben“. Die deutsche Bundesregierung müsse die Atomkooperation unterbinden „und stattdessen die Stilllegung der Atomanlage in Lingen einleiten“.
Die Resolution wurde an das Bundeswirtschafts-, das Bundesumweltministerium sowie an den Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Stefan Weil, und an das niedersächsische Umweltministerium gesendet.
Unbefristeter Atom-Betrieb trotz Ausstiegs
In Lingen befindet sich die einzige Brennelementefabrik in Deutschland. Eigentümerin der Anlage ist der französische Atomkonzern Framatome. Von hier aus werden unter anderem Hochrisikoreaktoren in Belgien, Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Schweden oder Finnland beliefert. Seit dem GAU von Fukushima sinkt international die Nachfrage, weil Meiler lange stillstanden oder immer mehr alte Anlagen abgeschaltet werden. Das Brennstoffwerk steht schon lange in der Kritik, weil es vom Atomausstieg ausgeklammert wurde und so auch nach Ende 2022 unbefristet weiterproduzieren dürfte – auch wenn Deutschland selbst keinen AKW-Brennstoff mehr benötigt.
Im Februar diesen Jahres hatte Framatome angekündigt, zusammen mit dem russischen Atomkonzern Rosatom ein Joint Venture zur Brennelementeproduktion in Lingen gründen zu wollen. Im März 2021 stimmte das deutsche Bundeskartellamt zu. Eine politische Bewertung durch die Bundesregierung fand zu diesem Zeitpunkt aber nicht statt. Im Gegenteil wurde die Angelegenheit zur Verschlusssache erklärt. Bekannt wurde trotzdem, dass Framatome 25 Prozent seiner Anteile an Rosatom veräußern wolle. Weil es sich um ein sicherheitsrelevantes Unternehmen handelt, braucht es noch eine Genehmigung durch das CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium. Eine Entscheidung vor der Bundestagswahl im September ist allerdings unwahrscheinlich.
Russland kauft sich ein
„Die französische Atomindustrie kämpft gerade mit großen finanziellen Schwierigkeiten. In dieser Situation ist sie zu allem bereit“, attestiert Charlotte Mijeon vom Réseau Sortir du nucléaire. Während Deutschland oder Frankreich die russische Politik in vielerlei Hinsicht kritisieren und Sanktionen aussprechen, befinden sie sich ausgerechnet im Atomsektor auf Kuschelkurs. Um diese „unbequemen EU-Sanktionen im atomaren Bereich zu unterlaufen“ könnte Russland eine Verlagerung von Produktionskapazitäten nach Deutschland anstreben, mutmaßen Kritiker*innen.
„Die sehr schlechte Menschenrechtslage in Russland" verbietet ein solches Zugeständnis an die staatliche russische Atomindustrie, fordert Alexander Vent vom Lingener Bündnis AgiEL. Rosatom beteiligt sich auch an militärischen Atomprojekten. Vor einem „wachsenden Zusammenspiel von ziviler und militärischer Atomindustrie“ warnt deshalb die Europavorsitzende der Ärzteorganisation IPPNW, Dr. Angelika Claussen.
Dass die Bundesregierung dieses „heuchlerische Atomspiel“ mitspielt und den russischen Atomkonzern Rosatom damit wirtschaftlich unterstützt sei „unverständlich und nicht akzeptabel“, heißt es in der Resolution. 35 Jahre nach Tschernobyl werden „die brandgefährlichen Zukunftsvisionen der Atomindustrie am Leben gehalten“.
„Wir sehen mit großer Sorge die offensiven Pläne im internationalen Geschäft. Die weitere Öffnung der Brennelementeproduktion in der EU für die russische Atomindustrie ist erneut ein Schritt in die falsche Richtung“, so Charlotte Mijeon. „Die Energiezukunft in Europa darf nicht nuklear sein.“ „Wir fordern den Ausstieg Europas aus der Atomenergie,“ fordert auch Vladimir Slivyak von Ecodefense.
Atomenergie ist extrem gefährlich und keine Hilfe für den internationalen Klimaschutz. Die Zukunft Europas liegt energiepolitisch in den Erneuerbaren Energien. Darauf müssen alle Anstrengungen gerichtet sein.
Link zur trinationalen Erklärung (ippnw.de / pdf)
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12.03.2021 - Mit einer umfassenden Kritik über die Geschäfte des Atomkonzerns Urenco mit seiner Urananreicherungsanlage Gronau und der Zentrifugenforschung Jülich untermauern Atomkraftgegner*innen aus dem Münsterland ihre Forderung nach Abschaltung der Atomanlagen. Dafür fehlt allein der politische Wille.
„Das muss jetzt Konsequenzen haben!“
29.01.2021 - Obwohl gegen die Transporte geklagt wird, wurde im Januar weiterhin aus der Brennelementefabrik Lingen radioaktiver Brennstoff an marode Atomkraftwerke im Ausland geliefert. Das ist klarer Rechtsbruch und muss Konsequenzen haben.
Quellen: sofa-ms.de, ippnw.de, taz.de, atomstadt-lingen.de