Mehrheits- und Machtspiele dominieren die Teilgebiete-Konferenz, geologische Daten bleiben unberücksichtigt. Mit einem fairen Suchverfahren hat das nichts zu tun. Betroffene wenden sich enttäuscht ab.
Dort, wo das Wendland hinter Gorleben an der Elbe endet, beginnt auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses die Prignitz, der westlichste Zipfel Brandenburgs. Mitten in der Prignitz, zwischen Perleberg und Pritzwalk, liegt der Salzstock Helle – eines von 90 Teilgebieten, die die „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ (BGE) im Herbst letzten Jahres veröffentlicht hat. In diesen Gebieten, die insgesamt 54 Prozent des Bundesgebietes bedecken, soll die Suche nach einem Standort für das Bergwerk weitergehen, in das irgendwann der ganze hochradioaktive Atommüll des Landes eingelagert werden soll.
In den meisten betroffenen Landkreisen tut sich erstmal wenig. Das liegt zum einen an der Corona-Pandemie, die alle Aufmerksamkeit aufsaugt und die gleichzeitig zivilgesellschaftliches Leben massiv einschränkt. Zum anderen entsteht wenig Betroffenheit, weil die Aussicht, am Ende tatsächlich zum Atommüll-Standort zu werden, sehr gering ist, wenn noch über die Hälfte der Republik in der „engeren“ Auswahl ist.
„Wohin damit“
In einigen Regionen gibt es trotzdem Menschen, die auf die Standortsuche aufmerksam werden und begreifen, dass es Not tut, sich rechtzeitig mit der komplexen Materie zu beschäftigen, will man im weiteren Verfahren eine Chance haben. Eine dieser Regionen ist die Gegend rund um Helle in der Prignitz. Dort gründet sich noch im Herbst 2020 eine Bürgerinitiative. Das Besondere: Als es darum geht, wie die BI heißen soll, setzt sich der Vorschlag „Atommüllfreie Prignitz“ nicht durch. Die Initiative nennt sich „Wohin damit“.
In einer wunderbaren Reportage für die „taz“ beschreibt die Journalistin Beate Selders diese BI. Deutlich wird dabei, dass hier das Gegenteil von „Not in my backyard“ passiert. Jutta Röder, 67 Jahre, pensionierte Lehrerin, wird dort zitiert: „Ich würde hier gern unbedarft weiterleben. Aber man möchte den Müll auch niemand anderem zumuten. Am Ende muss er ja irgendwohin.“ Oder Benjamin Voelkel, Übersetzer und Lektor: „Wenn mir überzeugend bewiesen würde, dass das hier der am wenigsten unsichere Ort in Deutschland ist, dann müsste ich das akzeptieren, trotz Angst.“
Die „taz“-Reportage beschreibt, dass für die Mitglieder der BI in Helle alles von der Transparenz und der Glaubwürdigkeit des Standortauswahlverfahrens abhängt. Da der immer wieder fallende Begriff „Beteiligung“ so nach Mitbestimmung klingt und weil im Gesetz steht, dass die BGE die Ergebnisse der „Fachkonferenz Teilgebiete“ berücksichtigen muss, bereiten sie sich in der Prignitz auf die Teilnahme daran vor. Beate Selders schreibt: „Doch nach und nach wird den Menschen in Helle klar: ‚Berücksichtigen‘ heißt juristisch nur ‚zur Kenntnis nehmen‘. Eine wirkliche Einflussmöglichkeit ist das ihrer Meinung nach nicht.“
So wie in der Prignitz sind auch in manch anderen Teilgebieten Menschen aktiv geworden und haben sich hoffnungsvoll an der Auftaktveranstaltung im Oktober oder dem ersten Beratungstermin der Teilgebiete-Konferenz im Februar beteiligt – natürlich nur virtuell, denn es gab pandemiebedingt keine Präsenzveranstaltungen.
Selbstorganisation?
Geworben für die Konferenzen hat das Atommüll-Bundesamt unter anderem mit dem Argument, die Arbeit dort sei „selbstorganisiert“. Nur stellte sich schnell heraus, dass die Idee von Selbstorganisation, die in lokalen Initiativen vorherrscht, nichts mit dem zu tun hat, was sich bei diesen Online-Veranstaltungen abspielt.
Diese werden vielmehr dominiert von Vertreter*innen der Kommunalpolitik, die dafür sorgen, dass es eine autoritäre Konferenzleitung gibt, die Anträge von Teilnehmenden umformulieren kann, vor Abstimmungen keine Debatte zulässt und sogar Empfehlungen abgibt, welche Anträge abzulehnen seien. Alles setzt auf das Prinzip Mehrheit schlägt Minderheit – und falls mal eine Mehrheit für das „Falsche“ droht, wird mit Verfahrenstricks eingegriffen. Das geht in einem Online-Format nochmal deutlich restriktiver als in einer Präsenzveranstaltung. In der Kommunalpolitik mag das ab und an üblich sein. Wer in Verwaltungen arbeitet oder in Räten sitzt, kann möglicherweise auf dieser Klaviatur spielen.
Damit sind auf den Konferenzen diejenigen im Vorteil, die eher daran interessiert sind, den Atommüll möglichst von ihrem Gemeindegebiet fernzuhalten. Besonders engagiert zeigen sich dabei die Landkreise aus dem bayerischen Regierungsbezirk Oberfranken, die massiv zur Teilgebiete-Konferenz mobilisiert haben, über eine Whatsapp-Gruppe untereinander Abstimmungs-Empfehlungen aussprechen und bei der Wahl zur Vorbereitungsgruppe für die nächste Konferenz gleich drei Vertreter*innen aus dem Landkreis Wunsiedel in dieses zwölfköpfige Gremium schicken. Schon wird in anderen Gegenden Deutschlands in den Kommunen darüber diskutiert, dass man bei der nächsten Konferenz dem Beispiel Oberfrankens folgen sollte.
Für engagierte, der Verantwortung für kommende Generationen verpflichtete Vertreter*innen aus Initiativen, die an einem fairen Suchverfahren interessiert sind, ist da nicht viel zu gewinnen. Gäbe es eine beteiligungsorientierte Moderation der Konferenzen, die Verständigungsprozesse ermöglichte, statt Mehrheitsabstimmungen zu veranstalten, könnte dies diese kommunale Übermacht theoretisch auffangen. Doch das Atommüll-Bundesamt hat die Moderationsfirma offensichtlich nicht damit beauftragt, für tatsächliche Partizipation zu sorgen. Zudem werden aufbrechende Kontroversen keiner Klärung zugeführt, sondern bleiben einfach so im Raum stehen.
Fehler im Zwischenbericht Teilgebiete am Beispiel Sachsens
Übersicht der von der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) als potenziell für die Atommüll-Lagerung geeignet ausgewiesenen geologischen „Teilgebiete“ in Sachsen, hier rot bzw. orange markiert. Nur im roten Teil ist, wie vorhandene Geodaten zeigen, allerdings tatsächlich das entsprechende Gestein vorhanden. Die orangenen Gebiete hat die BGE falsch ausgewiesen.
Scheingebiete
So ist inzwischen klar, dass es massive Konflikte zwischen der BGE und den Geologischen Diensten der Bundesländer gibt, die die Bundesgesellschaft für den Zwischenbericht mit Daten über den Untergrund beliefert haben. Die Länder kritisieren, dass selbst für ihre geologischen Expert*innen der Bericht nicht nachvollziehbar ist.
Zudem seien viele der zur Verfügung gestellten Daten, also etwa Bohrergebnisse, gar nicht in die Auswahl der Teilgebiete eingeflossen. Das hat zur Folge, dass die BGE zahlreiche Gebiete viel zu groß angesetzt hat. In vielen Gegenden, in denen es laut Zwischenbericht Tongestein oder Granit geben soll, sind diese, wie Bohrdaten zeigen, schlicht nicht vorhanden. Berücksichtigt man das, reduziert sich etwa in Sachsen die von Teilgebieten betroffene Fläche um die Hälfte, von 62 % auf 29 % der Landesfläche. In anderen Bundesländern sieht es ähnlich aus.
An vielen Stellen wird deutlich, dass die BGE sich bei der Erstellung des Zwischenberichtes nicht an das im Standortauswahlgesetz vorgeschriebene Prozedere gehalten hat. Das Interesse, möglichst viele und große Flächen als in Frage kommende „Teilgebiete“ auszuweisen, um Betroffenheit und damit öffentliche Debatte zu verhindern, war größer, als möglichst korrekt zu arbeiten. Zwar wird diese Kritik in der Teilgebiete-Konferenz geäußert, doch die Endlager-Bundesgesellschaft macht klar, dass sie nicht gewillt ist, einen gesetzeskonformen Zwischenbericht nachzuliefern.
„Für uns ist das Verfahren wie ein Zug“, sagt Benjamin Voelkel von der Heller Bürgerinitiative in der „taz“-Reportage: „Du kannst dich entscheiden, einzusteigen oder nicht. Alles andere steht fest: der Fahrplan, die Haltepunkte und auch die Endstation.“
Er ist inzwischen sehr frustriert. „Als ich von dem Beteiligungsverfahren gehört habe, war sofort klar: Natürlich mache ich mit.“ Nach vier Monaten hat er mittlerweile das Vertrauen in das Verfahren verloren, gerade weil er den Aufruf zur Öffentlichkeitsbeteiligung ernst genommen und trotz Homeschooling sehr viel Zeit damit verbracht hat. „Wenn die Öffentlichkeit nur pro forma beteiligt wird, schafft das Misstrauen ins gesamte Verfahren. Wer sagt uns, dass am Ende wirklich eine verantwortungsvolle Lösung gewählt wird?“
Die Bürgerinitiative in der Prignitz wird außerhalb der Konferenzen weiterarbeiten, denn das ungelöste Atommüll-Problem lässt sie nicht kalt.
weiterlesen:
- Zum Nachlesen: Die „taz“-Reportage „Endlagersuche in Nordbrandenburg“ findest Du unter taz.de/Endlagersuche-inNordbrandenburg/!5747656/
- Der unglückliche Start der Teilgebiets-Konferenzen
4.2.2021: Am Wochenende wird als reine Online-Veranstaltung der erste Beratungstermin der „Fachkonferenz Teilgebiete“ durchgezogen – trotz Corona-Pandemie und eines mangelhaften Zwischenberichts zur Standortsuche. Echte Partizipation sieht anders aus. - Das große Nebelwerfen
9.11.2020: Der erste Zwischenbericht zur Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager verklärt mehr, als dass er erhellt. Denn über viele Gebiete, die er ausweist, ist so gut wie nichts bekannt. Und sie sind so zahlreich, dass niemand sich betroffen fühlt – selbst dort nicht, wo es dringend angebracht wäre. - Gorleben lebt
5.11.2020: Das jahrzehntelange, beharrliche Engagement Zehntausender Atomkraftgegner*innen bringt das geplante Atommüll-Lager im maroden Salzstock Gorleben zu Fall. Die Entscheidung korrigiert einen alten, eklatanten Fehler. Die des neuen Suchverfahrens aber bleiben. - weiterführende Informationen im Infoportal Standortsuche
- Ist Deine Region betroffen? Karte "Potentielle Standorte"
- Fragen und Antworten - Die wichtigsten Fragen und Antworten zur langfristigen Lagerung von hochradioaktivem Atommüll.