Um eine erneute Überhitzung der havarierten Fukushima-Reaktoren zu verhindern, wird täglich Kühlwasser in die Blöcke gepumpt. Gleichzeitig wird die verseuchte Brühe abgesaugt und in Lagertanks gespeichert. Angesammelt haben sich bisher 1,3 Millionen Tonnen. Und die sollen nun über viele Jahre lang „verdünnt“ ins Meer verklappt werden. Eine Katastrophe in vielerlei Hinsicht.
Schon vor Jahren hatte die japanische Regierung und der AKW-Betreiber TEPCO beklagt, dass der Platz auf dem Gelände mit den zerstörten Reaktoren zu knapp werde, um weitere Speichertanks zu errichten. Bislang sind es knapp 1.000 Stück. Es bräuchte eine „Lösung“ für das angesammelte Wasser, Mitte 2022 wären alle Speicherkapazitäten ausgeschöpft. Täglich werden weitere 140 Kubikmeter Wasser aus den Kühlkreisläufen und Kellern der zerstörten Meiler abgepumpt, das durchsetzt ist von zahlreichen radioaktiven Isotopen.
Um diese herauszufiltern wurde das „Advanced Liquid Processing System“ (ALPS) aufgebaut. Was als „die Lösung“ für diese gigantische Menge an flüssigem Atommüll verkauft wurde, hat in Wahrheit anfänglich nicht mal funktioniert. TEPCO hat in der Vergangenheit immer wieder zugeben müssen, über die Fähigkeiten ihrer Filtersysteme die Unwahrheit veröffentlicht zu haben. In angeblich gereinigten Wasserbehältern wurden deutlich erhöhte Werte von krebserregenden Stoffen wie Strontium-90 gefunden. Dieses System ist laut TEPCO in der Lage, alle Isotope aus dem Wasser herauszufiltern – bis auf Tritium. Tritium ist chemisch fast identisch mit Wasserstoff im Wasser und lässt sich deshalb nicht ausfiltern.
Tritium kann von Fischen, Meeresfrüchten und Algen aufgenommen werden und findet so über die Nahrungskette ihren Weg in Restaurants und Supermärkte. Die japanische Regierung wirbt nun damit, dass das Wasser nach einer zusätzlichen Reinigung alle Kriterien für Trinkwasserqualität entsprechen würde – mit Ausnahme des Tritiumwertes. Orientiert wird sich bei dieser Aussage natürlich an den in Japan geltenden Grenzwerten für Radioaktivität, in Deutschland gelten schärfere Auflagen. Weil die enthaltene Menge Tritium im Vergleich zu den Abgaben von Atomanlagen im „Normalbetrieb“ gering ist, sieht die japanische Regierung – im Gegensatz zu Kritiker*innen – auch gar kein Problem, das Wasser in den Ozean zu leiten. Dieser sei schließlich groß... Die Argumentation ist perfide: Der Platz auf dem AKW-Gelände werde gebraucht, um die geborgenen Brennstäbe (oder besser: die geschmolzenen Überreste) zu lagern. Die Stilllegung „müsse vorangehen“, so Premier Yoshihide Suga.
Deshalb soll ab 2023 und dann über viele Jahre das radioaktive Kühlwasser „verdünnt“ ins Meer eingeleitet werden, heißt es jetzt in einem Regierungsbeschluss.
„Ozean ist kein Mülleimer Japans“
Seitdem die Pläne für die Verklappung im Meer vor Jahren bekannt wurden, regt sich erheblicher Widerstand dagegen. Allen voran örtliche Fischer, die Angst haben, dass sie ihre Produkte nicht mehr absetzen können. „Niemand wird mehr unsere Meeresprodukte kaufen wollen. Das wird ein Desaster für den wichtigsten Wirtschaftszweig in unserer Region und ist absolut inakzeptabel“, so ein Sprecher der Fischer von Fukushima, nachdem die japanische Regierung ihre Entscheidung verkündet hatte. Greenpeace spricht sogar von einer „Verletzung der Menschenrechte“. China kritisiert die Entscheidung scharf: "Der Ozean ist kein Mülleimer Japans und der Pazifik ist keine Kloake Japans. Sie sollten nicht damit rechnen, dass die Welt die Rechnung für die Abwasserbehandlung bezahlen würde", so der chinesische Außenamtssprecher Zhao Lijiana auf twitter. Man wundere sich zudem über die Behauptung, die Entscheidung sei „transparent“ getroffen worden. Die japanische Regierung solle „als Erste einen Schluck von dem gefilterten Kühlwasser aus dem AKW Fukushima trinken, zumal sie behaupteten, dies sei in Ordnung“, bringt es der chinesische Außenamtssprecher auf den Punkt. Südkorea kündigte juristische Schritte an und bestellte den japanischen Botschafter ein, weil diese „einseitige Entscheidung von Japan“ nicht akzeptiert werde. Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA hat in der Vergangenheit die Pläne zwar unterstützt, reagiert aber auf die Empörung: Ein internationales Expertenteam soll entsendet werden, um „Bedenken gegen den Plan zu zerstreuen“.
Es gibt Alternativen
Kritiker*innen unterstellen der japanischen Regierung, sie wolle nun Stärke beweisen, denn nötig ist die Einleitung in den Ozean nicht: Die Regierung habe Flächen um die Atomanlage aufgekauft, auf denen weitere Tanks errichtet werden könnten. Von einem Expertengremium sei auch das Verdampfen des Kühlwasser vorgeschlagen worden. Eine Einleitung in den Ozean, aber kostengünstiger. Es sei auch die Lösung die Japan „am wenigsten trifft“, schreibt die taz.
Kritik kommt auch aus Deutschland: „Das ist ein Horrorszenario für Anwohner*innen und die Fischerei in der Region“, so IPPNW-Vorstandsmitglied und Kinderarzt Dr. Alex Rosen. „Das Wasser in den Ozean zu leiten, stellt ein unverantwortliches ökologisches und gesundheitliches Risiko dar. Selbst wenn die Filtersysteme irgendwann so arbeiten sollten, wie TEPCO behauptet, enthält das verseuchte Wasser immer noch das gesundheitsgefährdende Tritium“. Rosen schlägt vor, weitere, möglichst erdbebensichere Aufbewahrungsanlagen an Land zu errichten, in denen über einen Zeitraum von etwa 100 Jahren viele radioaktive Isotope durch ihren natürlichen Zerfall einiges an Gefährlichkeit verlieren würden. Bis dahin könnten alternative technische Verfahren entwickelt werden, um das Wasser grundlegend zu dekontaminieren.
Atommüll-Verklappung stoppen!
Es gibt also genügend gute Gründe als auch Alternativen, das radioaktive Kühlwasser nicht in den Ozean zu verklappen. Der enorme politische Druck gegen die Pläne sollte ein Umdenken bewirken können.
Neben vielen anderen Problemen und Rückschlägen bei der Bewältigung der Folgen des Super-GAU von Fukushima offenbart die Debatte um das Kühlwasser aber auch, dass Atomenergie nie beherrschbar, ungefährlich oder folgenlos ist.
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Quellen (Auszug): taz.de, heise.com, tagesschau.de, schwaebische.de, ippnw.de