In der EU wird darum gestritten, welche Rolle Atomkraft und fossiles Gas in der europäischen Wasserstoffstrategie spielen. Doch was hat es eigentlich mit diesem Wasserstoff-Hype auf sich, wo liegen die Gefahren aus atomkritischer Perspektive und was muss passieren, damit das ganze nicht im Greenwashing endet?
Beim wichtigen Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments wurde am 22. März beschlossen, dass fossiles Gas doch teil der europäischen Wasserstoffstrategie sein soll. Zur umstrittenen Atomkraft wurde unter dem Stichwort der Technologieneutralität bewusst geschwiegen und so Hintertüren über das Konstrukt des „CO2-armen“ Wasserstoffs offen gelassen. Dies reiht sich ein in die Bemühung von osteuropäische Ländern wie Polen, Ungarn, Tschechien, Rumänien und Bulgarien sowie Frankreich, dass mit Atomkraft gewonnener Wasserstoff als „CO2-armer“ Wasserstoff gelten soll. Es wird erwartet, dass darüber final im April im EU-Parlament debattiert wird.
Zuvor hatte sich schon in zwei Entwürfen des Rates der Europäischen Union gezeigt, dass die Überlegungen konkreter werden, nicht nur Erdgas, sondern auch Atomenergie in die Wasserstoffstrategie der Europäischen Union miteinzubeziehen. In einem Entwurf des Manifests „für die Entwicklung einer europäischen sauberen Wasserstoff-Wertschöpfungskette“ wurde der Vorrang für grünen Wasserstoff durch die offenere Kategorie „sauberer Wasserstoff“ aufgeweicht.
Ein weiterer Entwurf des Rates der EU zeigt, wo diese offene Kategorie „sauberer Wasserstoff“ hinführen soll. Der Entwurf „Schlussfolgerungen des Rates – In Richtung eines Wasserstoffmarktes für Europa“ enthält den Vorschlag, verschiedene „sichere und nachhaltige CO2-arme Technologien“ unterschiedslos als Klimaschutzoptionen und Erzeugungsquellen für Wasserstoff anzuerkennen.
Was hat es mit der europäischen Wasserstoffstrategie auf sich?
Wasserstoff ist eine Schlüsseltechnologie, um insbesondere in der Stahlindustrie, Grundstoff- und Chemieindustrie sowie bei Schwerlasttransporten und Schifffahrt fossile Brennstoffe auszutauschen. Letztes Jahr hat vier Wochen nach der Nationalen Wasserstoffstrategie der Bundesregierung auch die EU-Kommission ihre Strategie vorgestellt, bei der sie sich damals ausschließlich auf sogenannten grünen Wasserstoff fokussiert hat. Die geplanten sehr großen Investitionen mit einem Umfang von 430 Mrd. € innerhalb und außerhalb der EU bis 2030 wecken vielerlei Begehrlichkeiten. So ist eine regelrechte Wasserstoff-Lobby aktiv, um Förder- und Investitionsprogramme entsprechend ihren Bedürfnissen zu beeinflussen.
Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass Wasserstoff in Zukunft einen wichtigen Beitrag zur Energiewende darstellt. Doch für die zukünftigen gigantischen Mengen Wasserstoff, die die Industrie als Bedarf angemeldet hat, bedarf es ebenso viel Strom für dessen Elektrolyse. Und hier kommen die unterschiedlichen Wasserstoff-Arten ins Spiel.
Welche unterschiedlichen Wasserstoff-Arten gibt es und was ist gelber Wasserstoff?
Je nachdem, wie der Strom für die Elektrolyse von Wasserstoff produziert wird oder auf welcher Basis und mit welchen Verfahren Wasserstoff gewonnen wird, hat dies Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, die Klimabilanz und das Gefahrenpotential, die (in)direkt mit dem so produzierten Wasserstoff verbunden sind. Zum besseren Verständnis hier kurz die wichtigsten Produktionsarten:
- Grauer Wasserstoff: Herstellung auf Basis von fossilem Gas durch Dampfreformierung. Extrem klimaschädlich.
- Blauer Wasserstoff: Herstellung auf Basis von fossilem Gas durch Dampfreformierung mit CO2-Abscheidung. Als „CO2-arm“ gelabelt, aber durch die energieintensive CO2-Abscheidung, die bisher praktisch nicht existiert, und den Risiken der „Endlagerung“ des CO2 eine falsche Lösung.
- Grüner Wasserstoff: Herstellung auf Basis von Strom aus Erneuerbaren Energien. Sauberste Variante, wobei jedoch neokoloniale Megaprojekte kritisch zu sehen sind.
- Gelber Wasserstoff: Herstellung auf Basis von Strom aus Atomkraftwerken. Oberflächlich als „CO2-armer“ Wasserstoff gelabelt, der jedoch die extrem hohen Investitionskosten, Lock-in-Effekte, Atommüll-Lagerung, Unfallrisiko und Zerstörung durch Uranabbau ignoriert. Gelber Wasserstoff wird manchmal auch als violetter Wasserstoff bezeichnet. Hier zeigt sich das Problem, dass es noch keine einheitliche Zertifizierung / Kennzeichnung von Wasserstoff gibt. Eine klare Kennzeichnung ist insbesondere wichtig, um die Gefahr des Greenwashings zu verhindern.
Kann gelber Wasserstoff zu längeren Laufzeiten und potentiell neuen Atomkraftwerken führen?
Was den Streit um die Förderung von Atomkraft in der EU angeht, gibt es verschiedene Baustellen. Eine zentrale ist die sogenannte EU-Taxonomie für nachhaltige Investments, bei der es darum geht, ob Atomkraft als „grüne“ Technologie eingestuft wird oder nicht. Dies hat entscheidende Auswirkungen auf die Fähigkeit der Atomindustrie, sich staatliches Geld zu leihen, was für deren Fortbestand von zentraler Bedeutung ist. Eine andere stellt die Ausdifferenzierung der Wasserstoffstrategie dar, worum es in diesem Artikel geht.
Atomkraft tut sich schwer, komplementär zu den Erneuerbaren Energien zu funktionieren, weil AKW sowohl aus technischen Gründen als auch durch ihre extreme Kapitallastigkeit nicht dem schwankenden Bedarf in ausreichendem Maße angepasst werden können. Hierfür wäre für die Atomindustrie die Wasserstoff-Produktion eine sehnsüchtig herbeigesehnte Krücke, da der zwischendurch nicht benötigte Strom in Wasserstoff umgesetzt und gespeichert werden könnte. Wasserstoff hat generell das Potential, die finanzielle Liquidität der Atomkraftbetreiber zu erhöhen, was neben anderen Faktoren zu längeren Laufzeiten und potentiell neuen Atomkraftwerken führen kann. Ob dies gelingt, hängt sowohl davon ab, ob Wasserstoff aus Atomkraft als förderfähige Technologie im Rahmen der Wasserstoffstrategie anerkannt wird, als auch davon, ob und wie schnell sich der Wasserstoffmarkt entwickelt.
Insbesondere Länder mit einem großen Atomkraftwerkspark wie Frankreich haben ein großes Interesse an einer schnellen europäischen Umsetzung der Wasserstoffstrategie, damit sie so neue Einnahmequellen für ihre überschuldeten Staatsunternehmen generieren können. So hat Frankreich als erstes Land in Europa eine Wasserstoffstrategie beschlossen. Da die deutsche Stahlbranche und Chemische Industrie ein Interesse an großen Mengen H2 haben, besteht in Zukunft die Gefahr, dass sie mit gelbem Wasserstoff aus französischem Atomstrom beliefert werden. Es wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wie sich die deutsch-französische Wasserstoff-Allianz ausdifferenziert und welche Projekte als IPCEI-Projekte beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) eingereicht werden. Bei Projekten von besonderem europäischem Interesse, den sogenannten IPCEI-Projekten, sind staatliche Subventionen möglich, was für die Atomindustrie besonders wichtig ist.
Aber auch osteuropäische Länder wie die Slowakei, Ungarn, Tschechien, Polen und Rumänien setzen beim Wasserstoff auf Atomstrom. Generell kann gesagt werden, dass die EU-Staaten beim Kampf, welcher Wasserstoff unterstützt werden soll, in zwei gegensätzliche Lager aufteilen: Einerseits in die, welche nur grünen Wasserstoff ausschließlich aus erneuerbaren Energien unterstützen und jene Staaten, die eine breitere „CO2-arme“ Definition favorisieren, welche auch Atomenergie und dekarbonisiertes Gas beinhaltet. Weiter wird das Thema der europäischen Wasserstoffstrategie, und welche Rolle gelber Wasserstoff dabei spielen wird, beim Treffen der EU-Energieminister*innen im Juni 2021 auf der Agenda stehen.
Was sind Eckpfeiler einer wirklich nachhaltigen Wasserstoffstrategie ohne radioaktiven Beigeschmack?
Grüner Wasserstoff muss ausschließlich aus Erneuerbaren Energien produziert werden. Dazu muss einerseits die Erneuerbaren-Stromproduktion ausgebaut werden. Anderseits muss durch den Anstieg von Energieeffizienz und eine suffizientere Lebens- und Wirtschaftsweise überhaupt die Grundlage gelegt werden, dass der Energiebedarf erneuerbar gedeckt werden kann. Wasserstoff ist kein Allheilmittel, sondern sollte nur dort spezifisch eingesetzt werden, wo es keine anderen Austauschmöglichkeiten für fossile Brennstoffe gibt, wie etwa bei der Stahlproduktion, der chemischen Industrie oder beim Schwerlasttransport. Es darf keine Förderung von gelbem Wasserstoff und der damit verbundenen indirekten Förderung der Atomkraft geben. Ebenso sollte es ein Importverbot von gelbem Wasserstoff geben, wozu auch eine eindeutige Klassifizierung notwendig ist.
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