Mit einer umfassenden Kritik über die Geschäfte des Atomkonzerns Urenco mit seiner Urananreicherungsanlage Gronau und der Zentrifugenforschung Jülich untermauern Atomkraftgegner*innen aus dem Münsterland ihre Forderung nach Abschaltung der Atomanlagen. Dafür fehlt allein der politische Wille.
Anlässlich einer Sachverständigen-Stellungnahme der Initiative Sofortiger Atomausstieg (SofA) Münster Mitte Februar für eine Anhörung im nordrhein-westfälischen Landtag arbeiteten die Aktivist*innen erneut zahlreiche Kritikpunkte gegen den Weiterbetrieb der Atomanlagen heraus. Dabei im Mittelpunkt: Deutschland schaltet sein letztes Atomkraftwerk Ende kommenden Jahres ab. Doch die Uranfabriken dürfen zeitlich unbefristet weiterproduzieren.
Das Gesetz zum Atomausstieg von 2011 weise "eine deutliche Lücke auf", weil es die offensichtliche Sinnlosigkeit und die Gefährlichkeit einer weiteren Urananreicherung in Gronau - sowie der Brennelementefertigung im niedersächsischen Lingen - nach der Stilllegung der letzten deutschen Atomkraftwerke ausgeblendet habe, heißt es in der Kurz-Studie. Öffentlich weniger bekannt und kritisiert ist der Urenco Standort Jülich. Dort findet die zentrale Erforschung und Entwicklung der Zentrifugen-Technologie sowie ein Teil der Zentrifugen-Produktion statt. Diese Anlagen sind die Grundlage für den Betrieb der Urenco-Urananreicherungsanlagen, nach einem Diebstahl von Firmengeheimnissen in den 70er Jahren aber auch für vergleichbare Werke im Iran und Pakistan.
Die Liste an konkreten Kritikpunkten an den Geschäften von Urenco ist lang, ein Auszug: Die Gefahren der Urananreicherung beginnen schon gleich am Anfang der Atomspirale, dem umweltzerstörenden Uranabbau. Allein der Betrieb der Urananreicherungsanlage Gronau erzeugt jährlich derzeit rund 4500 bis 5000 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid (UF6). Atommüll, für den es in Deutschland keine „Entsorgungslösung“ gibt, weil die großen Mengen bei der Planung eines möglichen Atommülllagers nicht berücksichtigt wurden. Urenco brachte zehntausende Tonnen UF6 nach Russland, dafür wurde der Müll kurzerhand in „Wertstoff“ umdeklariert.
Uran aus Deutschland wird in besonders gefährlichen, alten Reaktoren in der Ukraine, Belgien, der Schweiz oder Frankreich verbrannt. Selbst sicherheitstechnisch und friedenspolitisch höchst umstrittene Atomanlagen in den Vereinigten Arabischen Emiraten belieferte der Atomkonzern. Urenco exportiert aber auch angereichertes Uran nach Russland und verstößt damit - gebilligt von der Bundesregierung - gegen EU-Sanktionen. Auch japanische Atomanlagen werden mit Brennstoff aus Deutschland versorgt, bis 2011 belieferte Urenco u.a. das havarierte AKW Fukushima. Aktivist*innen fanden heraus, dass auch die Brennelementefabrik Tokaimura, 120km südlich von Fukushima, zu Urencos Kunden gehört. Tokaimura machte 1999 nach einem schweren Störfall Schlagzeilen. Das dortige AKW steht seit 2011 still, trotz neuer Erdbeben in der Region läuft die Atomfabrik aber weiter.
„Zum zehnten Jahrestag der Reaktorkatastrophe von Fukushima ist dieser Export das völlig falsche Signal, das Urenco sendet“, warnen die Aktivist*innen. Dass Gronauer Uran ausgerechnet im Erdbebengebiet an der japanischen Ostküste verarbeitet wird, „das ist schlicht unverantwortlich.“
Mini-AKW, Atomwaffen & Atommüllberge
Neben der Brennstoff-Versorgung von rechnerisch jedem zehnten AKW auf der Welt sind das Engagement Urencos in neue, kleine AKW und im militärischen Bereich besonders gravierend. Der Konzern engagiert sich in der Erforschung sog. „Mini-Reaktoren“, mit deren Hilfe sich einige Länder Klimaschutzmaßnahmen erhoffen. Geforscht wird auch an „Uranbatterien“, das US-Verteidigungsministerium äußerte Interesse an Uranlieferungen für „militärische Stromproduktion“. In bestehenden Urananreicherungsanlagen strebt Urenco dafür die massive Erhöhung des Anreicherungsgrads für Uran 235 von aktuell 6 auf knapp unter 20 Prozent an.
„Die Urananreicherung ist immer auch der Schlüssel zum Bau von Atomwaffen. Selbst Urenco gibt dies zu. Deshalb fordern wir vom NRW-Landtag, aber auch von der Bundesregierung, endlich eine klare friedenspolitische Richtungsentscheidung: Deutschland sollte als erstes Land freiwillig auf die Urananreicherung und die am NRW-Standort Jülich erforschte Zentrifugentechnologie verzichten, um so international ein Beispiel für Abrüstung und den Verzicht auf Atomwaffen zu setzen,“ fordert die Ärzteorganisation und Friedensnobelpreisträgerin IPPNW.
Doch auch am Bau großer Meiler hat der Atomkonzern Interesse: Urenco will sich an einem Konsortium beteiligen, das im ostenglischen Sizewell unter Führung von EDF Energy ein neues herkömmliches AKW bauen möchte. Die einzige AKW-Baustelle Englands, Hinkley Point, entwickelt sich seit Jahren zum Milliardengrab, zwei andere Projekte in Wales und am Standort Oldbury sind kürzlich abgesagt worden.
Politischer Wille für Ausstieg aus der Uranverarbeitung fehlt
Die Stilllegung der Urananreicherungsanlage Gronau sei im Rahmen des deutschen Atomausstiegs „rechtlich, energiepolitisch und friedenspolitisch“ geboten, heißt es in der Studie. Ein Gesetz zur Beendigung der Urananreicherung sei laut eines Rechtsgutachtens „mit hoher Wahrscheinlichkeit verfassungskonform“, ein Ausstieg aus bestehenden Verträgen möglich. Einer Stilllegung der Urananreicherungsanlage stehe nichts im Wege.
Allein der politische Wille fehlt. Zwar haben sich einige Vertreter*innen der Bundesregierung schon für eine Ende der Anreicherung stark gemacht. Unter dem Strich hieß es, eine gesetzlich verordnete (bzw. geordnete) Stilllegung sei nicht möglich. Im Umweltausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags wurde die Stilllegung der Urananreicherungsanlage mit den Stimmen von CDU, FDP und AFD abgelehnt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vielen Kritikpunkten fand nicht statt.
Mit Blick auf die Debatte um den Atomausstieg erinnern die Aktivist*innen abschließend daran, dass „noch unmittelbar vor der Reaktorkatastrophe von Fukushima hierzulande eine intensive Debatte über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines Atomausstiegs geführt wurde.“ Nun gelte es, konsequent die „Leerstellen“ im Atomausstiegsgesetz zu füllen und den Atomausstieg in Gronau, Lingen und Jülich „zu vollenden“.
„Niemand möchte dafür verantwortlich sein, wenn in einem von Urenco belieferten Atomkraftwerk der nächste schwere Reaktorunfall passiert“, heißt es im Resümee der Kurz-Studie. „Bei der Atomkraft ist nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte nur eines sicher - das Risiko.“
- Zur Kurzstudie: Urenco: Urananreicherungsanlage Gronau und Zentrifugenforschung Jülich - Gefährdung für Atomausstieg und Frieden
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