10 Jahre Fukushima: Cäsium, Uran, Strontium in der Natur, Kühlwasserlecks, radioaktive Fische

24.02.2021 | Jan Becker
Foto: Alexander Tetsch

Letzte Woche wurde die Region Fukushima von kräftigen Erdbeben erschüttert, die bestehende Schäden an den zerstörten Reaktoren offenbar verschlimmert haben. Ein Jahrzehnt nach dem Unfall entdeckten Forscher mit hochradioaktiven Glaspartikeln eine „neue Form des radioaktiven Fallouts“ und haben unzulässige Radioaktivitätswerte in gefangenem Fisch gemessen. Die Katastrophe ist noch lange nicht vorbei.

Am Samstag, 13. Februar, bebte die Erde in den Präfekturen Fukushima und Miyagi mit einer Stärke von 7.3, nur einen Tag später erneut mit einer Stärke von 5.2. Es handelt sich um Nachbeben des verheerenden Tōhoku-Erdbebens vom März 2011, dass mit einer Stärke von 9.0 und anschließendem Tsunami beide Präfekturen verwüstete und das AKW Fukushima zerstörte.

Direkt nach dem aktuellen Beben meldeten der Betreiber des AKW Fukushima, Tepco, als auch Japans Chefkabinettssekretär Katsunobu Katom, dass es „keine neuen Schäden“ im AKW Fukushima gegeben habe. Einige Medienberichte sprachen von „übergeschwappten Kühlwasserbecken“, die Menge an ausgetretenem radioaktivem Wasser schien aber in der Größenordnung, wie es in Fukushima nicht unüblich ist. Eine Woche nach dem Beben hat Tepco nun bekannt gegeben, dass in Reaktorblock 1 und 3 die Kühlwasserstände abgesunken seien. In Block 2 konnte keine Veränderung ermittelt werden, weil die Messgeräte ausgebaut sind.

Der Rückgang der Wasserstände zeige, dass die bestehenden Schäden durch das Beben am Wochenende offenbar noch verschlimmert wurden, heißt es von Tepco. Seit 2011 läuft radioaktives Kühlwasser aus den beschädigten Reaktorbehältern aus und muss ständig aufgefüllt werden, um den übrigen Brennstoff zu kühlen und eine erneute Kernschmelze zu verhindern. Diese Leckrate könnte sich jetzt erhöht haben. Damit muss einerseits mehr frisches Kühlwasser zugeführt, aber auch mehr radioaktives Wasser aus den Untergeschossen der Reaktorgebäude abgepumpt und auf dem Gelände in Tanks gelagert werden. Die Lagerkapazitäten von 1.3 Millionen Tonnen sind bald erschöpft. Tepco plant seit Jahren die Einleitung in den Pazifischen Ozean. Erheblicher Protest von Fischern, zuletzt auch von der katholischen Kirche, konnten das bisher verhindern.

Zehn Jahre nach dem verheerenden Super-GAU ist eine „Bewältigung“ der Folgen nicht in Sicht, im Gegenteil werden die Probleme immer größer.

Hochradioaktive Glaskügelchen gefunden

Bei den Explosionen und Lecks wurden Partikel freigesetzt, die vor allem radioaktives Cäsium, aber auch Uran, Strontium und radioaktive Isotope der Elemente Lithium, Schwefel und Zirkonium enthalten. Es ist schon länger bekannt, dass auch winzige Glaspartikel freigesetzt wurden, die entstanden, als bei der Kernschmelze Teile der Beton-Reaktorinnenwand schmolz und Cäsium und andere radioaktive Partikel eingeschlossen wurden.

Jetzt hat ein Forscherteam der Universität Kyushu eine zuvor unbekannte, deutlich größere Form des verglasten Fallouts aufgespürt. Sie hatten Bodenproben aus einem Gebiet wenige Kilometer nordwestlich des Atomkraftwerks entnommen und analysiert, berichtet das Wissensmagazin scinexx. Die mehr als 300 Mikrometer großen Teilchen sollen bei der Wasserstoffexplosion im überhitzen Reaktorblock 1 entstanden sein, „im Reaktorinneren umher schwebende Partikel“ hätten sich an das geschmolzene Gesteinsglas angelagert. Diese Glaskörnchen sind hochradioaktiv, bei zwei dieser Teilchen wurde die höchste jemals bei Partikeln aus Fukushima gemessene Cäsium-Radioaktivität nachgewiesen.

Eine zusätzliche Gefahr für den Menschen ergebe dieser Fund jedoch nicht, die Partikel seien zu groß zum Einatmen, zudem wasserunlöslich und damit sei die Wahrscheinlichkeit der Aufnahme in den Körper gering. Unklar sind die Folgen für die Natur. Auch wenn die Forscher sich jetzt über mögliche Analysen der „atmosphärischen Bedingungen im Reaktorgebäude zum Zeitpunkt der Wasserstoffexplosion und der physikalisch-chemischen Phänomene, die bei der Kernschmelze auftraten“ freuen, die Partikel werden „noch viele Jahrzehnte in der Umwelt bleiben und für Radioaktivitäts-Hotspots sorgen“, so der Wissenschaftler Satoshi Utsunomiya.

Für den Menschen definitiv problematisch können hohe Radioaktivitätswerte werden, die kürzlich bei Fischen aus dem Meer nahe dem havarierten Atomkraftwerk festgestellt wurden. Der Messwert habe bis zu 500 Becquerel Cäsium pro Kilogramm betragen – das fünffache des derzeit in Japan zulässigen Grenzwerts für Nahrungsmittel. Es sei das erste Mal seit Februar 2019, dass Meeresprodukte aus dem Gebiet um Fukushima unzulässig hohe Radioaktivitätswerte aufwiesen, so der Nachrichtensender NHK.

10 Jahre Leben mit Fukushima

Es handelt sich hier nur um einen kleine Ausschnitt aktueller Problematiken in Fukushima, das große Ganze umreißen die atomkritischen Ärzt*innen vom IPPNW so: Bis heute stellen die havarierten Reaktoren eine erhebliche Gefahr für Umwelt und öffentliche Gesundheit dar. Der mehrfache Super-GAU im März 2011 verseuchte das Meer, die Luft und die gesamte Region im Nord-Osten Japans.

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U.a. die gesundheitlichen Folgen für die Menschen werden auf Initiative des IPPNW auf einer Online-Fachtagung „10 Jahre Leben mit Fukushima“ thematisiert, die am  27. Februar stattfindet. .ausgestrahlt ruft auch in diesem Jahr dazu auf, an die schwerwiegenden Folgen des Super-GAU zu erinnern und damit der Öffentlichkeit die Gefahren der Atomkraft ins Gedächtnis zu rufen:

weiterlesen:

  • Leben mit dem Super-GAU
    30.01.2021 - Die Atomkatastrophe von Fukushima ist auch nach zehn Jahren noch lange nicht vorbei. Was wissen wir bis heute über die gesundheitlichen Folgen des Super-GAUs? Ein Gastbeitrag von Alex Rosen (IPPNW)

  • Zehn Jahre danach
    29.01.2021 - Der Super-GAU von Fukushima brachte das japanische Atomprogramm zu Fall, die Atomkraft weltweit in Misskredit und – dank des Engangements Hunderttausender – der Energiewende in Deutschland einen Schub. Aber die Atom-Fans haben noch nicht aufgegeben. Und selbst grüne Landesregierungen nehmen die Lehre aus Fukushima nicht ernst.

  • Vom Reaktor-GAU zum Welterbe?
    06.01.2021 - Während sich in Fukushima die Schwierigkeiten um die Bewältigung des Super-GAU vor fast zehn Jahren zuspitzen, will die Ukraine die Region um Tschernobyl zum „Welterbe“ erklären lassen. Um Touristen in die verstrahlte Landschaft zu locken.

  • Hundertausende Tonnen radioaktive Abwässer sollen im Meer verklappt werden
    29.08.2018 - Tag für Tag entstehen bei die Kühlung der zerstörten Reaktoren von Fukushima hunderte Tonnen kontaminiertes Kühlwasser. Laut Betreiber TEPCO wird es gefiltert und in Tanks aufgefangen. Doch der Platz auf dem Kraftwerksgelände wird knapp und die Filter versagen.

  • Atomunfall – sicher ist nur das Risiko
    Ob technischer Defekt oder Flugzeugabsturz, Materialermüdung oder Unwetter, Naturkatastrophe oder menschliches Versagen – in jedem Atomkraftwerk kann es jeden Tag zu einem schweren Unfall kommen. Ein Super-GAU bedroht Leben und Gesundheit von Millionen.

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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