Am Wochenende wird als reine Online-Veranstaltung der erste Beratungstermin der „Fachkonferenz Teilgebiete“ durchgezogen – trotz Corona-Pandemie und eines mangelhaften Zwischenberichts zur Standortsuche. Echte Partizipation sieht anders aus.
In § 5 des Standortauswahlgesetzes steht: „Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung ist eine Lösung zu finden, die in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird und damit auch von den Betroffenen toleriert werden kann. Hierzu sind Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter des Verfahrens einzubeziehen.“
Daran muss sich somit die Praxis der Partizipation im Verfahren messen lassen. Ich messe im Folgenden, in dem ich auf verschiedene Akteur*innen im Verfahren eingehe. Denn die sorgen dafür, dass der Zwischenbericht so aussieht, wie er aussieht und die Konferenz so stattfindet, wie sie stattfindet.
A. Die Gesetzgeber*innen
Bereits im gesetzlichen Rahmen finden sich aus meiner Sicht etliche Fehler, die dazu führen, dass die Teilgebiete-Konferenz dem in §5 formulierten Anspruch nicht gerecht wird.
Ein m.E. grundlegender Fehler ist es, die Zahl der Konferenzen per Gesetz auf drei innerhalb weniger Monate zu begrenzen und dieses Instrument anschließend wieder aufzulösen. Das nächste sogenannte Beteiligungs-Instrument, die Regionalkonferenzen, folgt danach erst ein bis drei Jahre später. Dazwischen kann die BGE intransparent vor sich hinarbeiten.
Ein weiterer grundlegender Fehler ist die Tatsache, dass die BGE die Ergebnisse der Konferenzen nur „berücksichtigen“ muss, was streng juristisch auch bedeuten kann, dass sie sich diese durchliest und abheftet, ohne sich weiter darum zu scheren. Die BGE entscheidet völlig autonom darüber, welche Kritik an ihrer Arbeit sie aufnimmt und welche nicht. Es gibt dafür weder eine unabhängige Instanz noch ist ein Verständigungsprozess bei einem Dissens zwischen der Teilgebiete-Konferenz und der BGE vorgesehen.
Ein dritter grundlegender Fehler ist die im Gesetz angelegte Doppelrolle des Bundesamtes als Aufsichtsbehörde, die das Verfahren vorantreiben soll und gleichzeitig als Träger der Öffentlichkeitsbeteiligung. Im Zweifel, so die Erfahrung, entscheidet das Bundesamt sich für weniger Partizipation, beispielsweise wenn ordentlich gemachte Beteiligung den extrem engen Zeitplan der Standortsuche in Gefahr bringen würde.
Ein vierter Fehler ist, dass die gesetzliche Regelung der Datentransparenz unvollständig ist und zu spät kam. Die Folge: Ein Großteil der von der BGE verwendeten Daten ist geschwärzt und kann somit von den Betroffenen nicht nachgeprüft werden. Bei den riesigen Datenmengen hilft auch das Akteneinsichtsrecht des Nationalen Begleitgremiums (NBG) und seiner Gutachter*innen kaum, denn das NBG kann höchstens kleine Stichproben betrachten.
B. Die BGE
Die BGE hätte laut Gesetz unterscheiden müssen zwischen Gebieten über die ausreichend Informationen vorliegen (sogenannte „Teilgebiete“) und solchen Gebieten, die sie aufgrund mangelnder Informationen im Verfahren lässt. Stattdessen ist sie bei fehlenden Daten einfach von idealen Bedingungen ausgegangen. So kam es dazu, dass 54 Prozent des Bundesgebiets zum Teilgebiet wurden. Es gibt dahinter drei wesentliche politische Kommunikations- und Durchsetzungsstrategien:
1. Wenn die BGE 54 Prozent für quasi geeignet erklärt (zumindest wird der Zwischenbericht von der breiten Öffentlichkeit so verstanden), dann erscheint das Atommüllproblem plötzlich lösbar, obwohl in Wirklichkeit bei jedem Standort Risiken bleiben, weil es das ideale Gestein nicht gibt. Doch wenn 54 Prozent als geeignet verstanden werden, dann erscheinen die Regionen, die im nächsten Schritt ausgewählt werden, plötzlich als besonders gut geeignet (BGE-Chef Kanitz spricht deshalb auch bewusst von „Filetstücken“) und jeder Widerspruch dagegen soll in der Öffentlichkeit als Ausdruck von lokalen Egoismen wahrgenommen werden.
2. Wenn noch mehr als die Hälfte des Bundesgebietes im Topf ist, dann macht sich der einzelne Landkreis noch keine ernsthaften Sorgen. Viele Kommunalpolitiker*innen und Kommunalverwaltungen sagen deshalb aktuell: Wir warten erstmal ab, ob wir im nächsten Auswahlschritt überhaupt noch dabei sind. Eine breitere gesellschaftliche Debatte bleibt dadurch aus, obwohl sie schon jetzt dringend notwendig wäre.
3. Wenn im nächsten Schritt 53 der 54 Prozent ausscheiden, werden alle, die ausscheiden, voller Erleichterung, dass der Kelch an ihnen vorüber geht, das Verfahren als fair und gerecht loben und diejenigen, die im Topf bleiben, werden es extrem schwer haben, gegen diese Stimmung berechtigte Bedenken vorzubringen. Das habe nicht ich mir ausgedacht, sondern der für das Thema zuständige CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Möhring, der dies neulich bei einer Veranstaltung des Nationalen Begleitgremiums (NBG) süffisant lächelnd erläuterte.
Inzwischen haben einige geologischen Dienste von Bundesländern und auch die oberste geologische Bundesbehörde, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) das Vorgehen der BGE kritisiert. Fakt ist: In riesigen Flächen von ausgewiesenen Teilgebieten gibt es das entsprechende Gestein überhaupt nicht.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Arbeit der BGE: Die Bundesgesellschaft war seit der Veröffentlichung des Zwischenberichts nicht in der Lage, anspruchsvollere Fragen zum Zwischenbericht zeitnah zu beantworten. Teilweise mussten Fragesteller*innen mehrere Monate auf Antworten warten oder warten noch immer. Wenn Antworten der BGE unbefriedigend und lückenhaft waren und Nachfragen nötig wurden, ging erneut viel Zeit ins Land. Zeit, die für eine adäquate Vorbereitung auf die Teilgebiete-Konferenz fehlte. In den Online-Sprechstunden zu den Teilgebieten machten Fragesteller*innen außerdem die Erfahrung, dass sie auf die gleiche Frage in unterschiedlichen Sprechstunden völlig verschiedene Antworten von der BGE bekommen haben. Wer also versuchte, anhand der Angaben der BGE den Zwischenbericht tatsächlich zu durchdringen, war aufgeschmissen.
Schließlich hat die BGE mit ihrer kartographischen Darstellung des Zwischenberichts für Verwirrung gesorgt. Auf der Online-Landkarte können Nutzer*innen sich auch die nach den Ausschlusskriterien des Gesetzes aussortierten Bereiche anzeigen lassen. Dabei werden über zahlreichen Salzstöcken Ausschlussgebiete angezeigt, obwohl die dort vorhandenen sogenannten Scheitelstörungen von der BGE explizit nicht ausgeschlossen wurden, sondern nur andere aktive Störungszonen. Damit bleiben diese Salzstöcke also im Topf, obwohl die Karte etwas anderes suggeriert. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Scheitelstörungen und das fehlende wasserundurchlässige Deckgebirge, das zum Ausschluss von Gorleben führte, sind zweierlei)
C. Das Atommüll-Bundesamt (BaSE)
Für die Behörde, scheint es darum zu gehen, die drei Teilgebiets-Konferenzen möglichst schnell abhaken zu können: Sie stehen im Gesetz, also machen wir sie irgendwie und dann ist auch gut. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass das Bundesumweltministerium auf die ihm nachgeordnete Behörde Druck ausübt, damit die Konferenzen rechtzeitig vor der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes beendet sind. Offensichtlich scheut die SPD-Umweltministerin in Wahlkampfzeiten die Rolle der obersten Atommüll-Frau der Republik. Es lassen sich keine Wahlen damit gewinnen, den Leuten strahlende Abfälle vor die Tür bringen zu wollen.
Der Zeitdruck hat bereits dazu geführt, dass der BGE-Zwischenbericht die Anforderungen des Gesetzes nicht erfüllt. Nun führt der Zeitdruck dazu, dass wir eine Konferenz erleben werden, bei der ein Großteil der Teilnehmenden denkbar schlecht vorbereitet sein wird.
Aufgrund der Corona-Situation haben viele Menschen gerade andere Sorgen, als sich umfassend um das komplexe Atommüll-Thema zu kümmern. Zivilgesellschaft funktioniert derzeit sehr eingeschränkt, da sich die Leute nicht treffen können. Online-Angebote, das merken wir auch bei .ausgestrahlt, werden beispielsweise deutlich schlechter angenommen als Saalveranstaltungen. Auch die kommunalen Verwaltungen haben aktuell bis über beide Ohren mit der Pandemie zu tun und können sich nicht ausreichend in die Atommüll-Materie einarbeiten. Viele Kommunen haben nun eine*e Mitarbeiter*in zur Online-Teilnahme an der Teilgebiete-Konferenz abgestellt. Das werden aber oftmals Personen sein, die einen riesigen informationsbedarf haben, aber aufgrund mangelnder Vorbereitung nicht in der Lage sind, über den Zwischenbericht mitzudiskutieren.
Dazu kommt, dass eine reine Online-Veranstaltung deutlich weniger Interaktion und Vernetzung ermöglicht, als eine Präsenzveranstaltung. Wer hat noch nicht erlebt, dass bei Konferenzen die entscheidenden Erkenntnisse oft in Pausengesprächen oder Tischgesprächen entstehen und nicht im offiziellen Programm?
Unzählige gesellschaftliche Bereiche nehmen auf die Pandemie Rücksicht. Wichtige Veranstaltungen wurden verschoben oder ganz abgesagt. Dass ein Suchprozess, der sowieso noch Jahrzehnte dauern soll und zu einem Ergebnis für eine Million Jahre führen soll, nicht für einige Zeit aufgehalten werden kann, erschließt sich nicht, kommt es doch am Ende darauf an, dass gesellschaftliche Verständigung gelingt.
D: Die Vorbereitungsgruppe
Auf der Auftaktveranstaltung im Oktober hat das Bundesamt entgegen des ständig formulieren Postulats der „Selbstorganisation“ bestimmt, dass nur zwölf Personen in einer Vorbereitungsgruppe für den ersten Beratungstermin jetzt am Wochenende mitarbeiten dürfen. Die „Wahl“ dieser Vorbereitungsgruppe bei der Auftaktveranstaltung war eine Farce. Manche Kandidaturen kamen nicht auf die Liste, andere, die gar nicht kandidieren wollten, wurden zur Wahl gestellt. Die Online-Abstimmung hat nicht für alle Teilnehmenden funktioniert. So sind am Ende Personen in der Gruppe gelandet, die bei der „Wahl“ nur 25 oder 29 Stimmen bekommen haben (bei 300 bis 500 Teilnehmenden).
Die Fehler bei der Wahl hätten geheilt werden können, wenn sich die Gruppe für Interessierte geöffnet hätte. Sie hat sich dagegen entschieden und versucht, alles alleine vorzubereiten, zweifelsohne mit viel Engagement einzelner. Das führte zu riesigem Verantwortungsdruck, großem Zeitdruck, viel Stress und damit zwangsläufig zu Fehlern.
Sechs Personen sind aus der Gruppe ausgeschieden, aufgrund anderer Vorstellungen bezüglich der Frage der Öffnung der Gruppe und/oder ihrer Art der Entscheidungsfindung, manche auch aufgrund von Überlastung, weil eine Gruppe von zwölf Personen dieses Pensum eben nicht gut schultern kann. Das Bundesamt hat die freien Plätze dann einfach mit den nächsten Kandidat*innen aus der verunglückten „Wahl“ aufgefüllt.
Die Vorbereitungsgruppe veröffentlichte keine Protokolle ihrer Sitzungen und auch die eingegangenen Vorschläge für Themen der Konferenz (Einsendeschluss 4. Januar) wurden erst eine Woche vor Tagungsbeginn veröffentlicht, als der Programmablauf längst festgelegt war.
Für die organisatorischen Rahmenbedingungen war die Gruppe auf die Geschäftsstelle im Atommüll-Bundesamt und die von der Behörde beauftragten Moderations- und Technikfirmen angewiesen und hatte deshalb auf etliche Parameter keinen Einfluss, problematisierte dies aber auch kaum.
Auch diese Vorbereitungsgruppe ist Teil einer Kommunikationsstrategie: Schon jetzt wird vom Bundesamt und der BGE Kritik am geplanten Ablauf der Konferenz auf diese Gruppe abgewälzt. Man müsse doch gnädig sein, da zwölf Personen in ihrer Freizeit das Programm entwickelt hätten.
Der aus meiner Sicht größte Fehler der Gruppe ist ihre Entscheidung (die unter deutlicher Einmischung des Bundesamts zustande kam), die Konferenz jetzt durchzuführen und sie nicht zu verschieben, bis die Pandemiesituation wieder Präsenzveranstaltungen möglich macht (gerne mit zusätzlichen Online-Funktionen).
E. Fazit
In Paragraph 5 des Standortauswahlgesetzes steht: „Ziel der Öffentlichkeitsbeteiligung ist eine Lösung zu finden, die in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen wird und damit auch von den Betroffenen toleriert werden kann. Hierzu sind Bürgerinnen und Bürger als Mitgestalter des Verfahrens einzubeziehen.“ Damit habe ich diesen Text begonnen.
Meine Einschätzung: Mit diesem Pseudo-Zwischenbericht und dieser Art von Teilgebiete-Konferenz wird das mit der Mitgestaltung des Verfahrens und dem breiten gesellschaftlichen Konsens nichts.
Was mir Hoffnung macht: Es gibt inzwischen in einigen betroffenen Teilgebieten Menschen, die trotz Pandemie versuchen, Netzwerke zum Thema aufzubauen und sich in die Materie einzuarbeiten. Das sind nicht viele, aber sie haben trotz aller Widrigkeiten angefangen. Die meisten sehen dabei die gesellschaftliche Herausforderung des Atommüll-Problems und ziehen sich nicht auf ein „nur nicht bei uns“ zurück. Doch sie fordern ein faires, transparentes und partizipatives Verfahren – was es bisher nicht gibt.
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