Obwohl gegen die Transporte geklagt wird, wurde im Januar weiterhin aus der Brennelementefabrik Lingen radioaktiver Brennstoff an marode Atomkraftwerke im Ausland geliefert. Das ist klarer Rechtsbruch und muss Konsequenzen haben.
Der Brennelementehersteller Framatome / ANF „setzt sich in Lingen mittlerweile in voller Offenheit über alle rechtlichen Schranken hinweg“, attestieren Atomkraftgegner*innen aus dem Münsterland. „Der Betreiber Framatome hat einen ungeheuerlichen Rechtsbruch begangen, indem er marode schweizerische und belgische Reaktoren nahe der deutschen Grenze mit hochgefährlichen Brennelementen beliefert hat", unterstreicht Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Vor gut zwei Wochen hatte es bereits Auseinandersetzungen um offenbar unzulässige Lieferungen radioaktiver Brennstoffe ins schweizerische Leibstadt gegeben. Gegen die Ausfuhrgenehmigungen wird geklagt, weil die Brennelemente an alte, unsichere Meiler geliefert werden, an deren Weiterbetrieb Deutschland so mitwirkt. Selbst im Bundesumweltministerium herrschte Empörung über das Vorgehen des Betreibers der einzigen Brennelementefabrik in Deutschland, das sich damit über rechtstaatliche Prinzipien während eines laufenden Klageverfahrens hinwegsetzt (oder kurz: Fakten schafft). Der Export sei „möglicherweise illegal“, so Staatssekretär Jochen Flasbarth Mitte Januar. Der Vorgang sei zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft abgeben worden.
Die Tochterfirma des französischen Staatskonzerns Framatome hielt die Transporte allerdings für zulässig. Laut einer Unternehmenssprecherin sei man am 22. Januar schriftlich über die Klage informiert worden. Nicht nur die Klageführer*innen vom BUND, auch das für die Exportgenehmigungen zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) haben darauf hingewiesen, dass die Klage eine „aufschiebende Wirkung“ hat. Transporte dürften also nicht stattfinden.
Transporte auch nach Belgien
Wie die taz recherchierte, wurden dennoch am 18., 19. und 21. Januar Brennelemente von Lingen zu den belgischen Pannenreaktoren Doel 1 und 2 geliefert. Davon berichtet habe laut taz Mitte der Woche der Parlamentarische Staatssekretär Florian Pronold (SPD) im Umweltausschuss des Bundestags. Ob eine weitere Lieferung, die für den 25. Januar angekündigt war, auch stattgefunden habe, dazu äußert sich das Unternehmen bewusst nicht.
Das Umweltinstitut München und der Verein „Stop Tihange e.V.“ haben nun bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück Strafanzeige gegen Framatome / ANF wegen des Verdachts des wiederholten unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen nach §328 Abs. 1 StGB sowie aller weiteren in Betracht kommenden Straftatbestände gestellt. Der BUND Nordrhein-Westfalen hat ANF ebenfalls angezeigt.
Es sei zudem „nach bisherigem diesseitigen Kenntnisstand nicht auszuschließen, dass das BAFA bzw. die dort mit der Sache befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Präsident von der Absicht der Durchführung der Exporte durch die ANF (...) wussten und diese gleichwohl gegenüber der ANF nicht unterbunden und/oder die zuständigen Zolldienststellen nicht entsprechend mit Blick auf mögliche rechtswidrige Exporte von Kernbrennstoffen durch die ANF in Kenntnis gesetzt haben“, schreibt Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm an die Staatsanwaltschaft. Sollte dies der Fall sein, stehe ebenfalls eine Strafbarkeit nach §328 Abs. 1 StGB mit Blick auf die mit der Sache befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim BAFA sowie des Präsidenten in Frage.
„Mit illegalen Exporten in Folge steht die Zuverlässigkeit des Brennelemente-Herstellers ANF in Frage - die Voraussetzung für jedweden künftigen Export von Kernbrennstoff, aber auch den Betrieb kerntechnischer Anlagen“, fordert Philip Bedall vom Umweltinstitut München. „Die Atomfabrik in Lingen muss stillgelegt werden.“
„Wir fordern eine umgehende Stilllegung der Brennelementefabrik Lingen, aber auch der benachbarten UAA Gronau sowie den damit verbundenen Stopp aller Uran- und Brennelemente-Transporte“, heißt es von den Aktivist*innen aus dem Münsterland.
Im aufsichtführenden Bundesumweltministerium sei man „entsetzt, dass weiterhin Transporte stattgefunden haben“, heißt es in der taz. Jetzt sollen „mögliche Konsequenzen gegen ANF und BAFA“ geprüft werden.
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