Das Behälter-Problem

02.12.2020 | Jan Becker

Während in den Zwischenlagern Betonmauern zusätzliche Sicherheit bieten, sind es allein die Atommüll-Behälter, die während des Transports den Schutz gegen Einwirkungen von außen gewährleisten müssen. In ihnen befindet sich der giftigste Müll, den die Menschheit produziert hat. Jetzt gab es Serienfehler bei den Verschlussdeckeln.

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Foto: GNS - Gesellschaft für Nuklear-Service mbH

Betrachtet man nur die Fläche, hat sich halb Deutschland auf die Suche nach einem Standort für die langfristige Lagerung des Atommülls gemacht. Auch wenn dieses Suchverfahren klappt, wird es noch Jahrzehnte dauern, bis dieser eine, angeblich „sicherste Ort“ gefunden und betriebsbereit sein wird. Bis dahin lagert der gesamte hochradioaktive Atommüll in über 1.100 Castor-Behältern, die sich in 16 Zwischenlagerhallen auf ganz Deutschland verteilt befinden.

In der Öffentlichkeit kochte der Konflikt um die unzureichende Sicherheit in den Zwischenlagern zuletzt Ende Oktober / Anfang November hoch. Sechs Atommüll-Behälter aus der Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield (GB) wurden mithilfe eines massiven Polizeiaufgebotes ins hessische Biblis gebracht. Anti-Atom-Aktivist*innen kritisierten, dass schon heute absehbar ist, dass Genehmigungszeiträume für die Lagerhallen weit überschritten werden, während wirkungsvolle Reparaturverfahren bei einer Undichtigkeit fehlen. Wie sich die Dichtungen der Behälter und der Spezialstahl über längere Zeiträume als vor Dutzenden Jahren mal vorgesehen verhalten, ist wissenschaftlich umstritten.

Das Deckelproblem

Eine Kombination aus zwei Deckeln ist verantwortlich für den absolut dichten Verschluss der Castor-Behälter. Der Deckel ist die Schwachstelle für mögliche Lecks. Genau dort wurde kürzlich ein Serienfehler festgestellt, Behälter an mindestens drei Standorten sind betroffen. Es sei zuerst in Philippsburg ein „das zulässige Maß geringfügig überschreitender Höhenunterschied zwischen der Oberkante des Behälters und der Oberseite des aufliegenden Deckels“ festgestellt worden. Die Ursache soll laut der Gesellschaft für Zwischenlagerung BGZ ein „Fehler bei der Übertragung von Daten in Formblätter“ gewesen sein – kurz: schlampige Arbeit oder menschliches Versagen. BGZ und Aufsichtsbehörden der Länder beschwichtigen eine Gefahr, schließlich habe es sich um einen Abstand „von wenigen hundertstel Millimetern“ gehandelt.

Dennoch mussten alle Behälter in Deutschland überprüft werden. Und wie so oft in Deutschlands Atommüll-Lagern: Wer suchet, der findet! Ein weiterer betroffener Behälter steht seit 2009 im Zwischenlager Brokdorf. Doch auch der sei bis heute trotzdem dicht, meldet die Atomaufsicht Schleswig-Holstein. Ein weiterer fehlerhafter Castor wurde in Esensham/Unterweser gefunden, gleich vier im Zwischenlager Nord.

Die zuständigen Atomaufsichtsbehörden in den Ländern müssen nun entscheiden, ob eine Reparatur erfolgen soll oder nicht.

Das Zeitproblem

Warum diese Sicherheitsprobleme hochgradig relevant sind, zeigt das Zeitproblem. Die Umlagerung der Castor-Behälter soll laut Regierungsplan „ab 2050“ mit der Inbetriebnahme eines Atommüll-Lagers beginnen und 2070 abgeschlossen sein. Mal abgesehen davon, dass auch der aktuelle Standortsuchprozess scheitern könne, sei dieser Zeitplan „völlig unrealistisch“, urteilte die Physikerin Oda Becker in einer Ausarbeitung für den BUND Anfang September. International zeichne sich „klar ab, dass in den meisten Ländern der Zeitbedarf zur Planung, Genehmigung und Errichtung eines Endlagers viel höher sein wird als ursprünglich vorgesehen“. Eine erste Einlagerung sei erst „in etwa 100 Jahren wahrscheinlich“. Für diese langfristige Lagerung des Atommülls gibt es keine belastbaren Untersuchungen. Betroffen davon sind alle Zwischenlager.

 

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Das Mauerproblem

2001 wurde eine weitere Gefahrenquelle für die Castor-Behälter realistisch: Ein Terroranschlag auf die Giftmüllhallen durfte nach 9/11 nicht mehr ausgeschlossen werden. Zusätzliche Mauern sollen die Lagerhallen vor einem Beschuss mit Raketen sichern. Doch zwei Jahrzehnte nach dem schrecklichen Ereignis in den USA stehen zahlreiche Atommüll-Behälter weiterhin ohne diese zusätzliche Barriere in ihren Hallen. Rund um das nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus wurde die zehn Meter hohe Mauer aus Stahlbeton 2016 fertiggestellt. In Gorleben allerdings, wo die nötigen Genehmigungen seit 2018 vorliegen, passierte noch nichts. Die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) Lüchow-Dannenberg spricht jetzt von einer „Hinhaltetaktik“ der Behörden, die sich „im Tiefschlaf“ befänden. Die Behörde wiederum nennt „weiteren Prüfungsbedarf“ bei zusätzlich geplanten Kerosinabläufen als Ursache. Es bleibt also weiter nur die Hoffnung, dass alles so lange wie möglich gut geht.

Umgekippt

Auch wenn es kein Castor war, die Meldung ist beunruhigend: Bei Arbeiten im Zwischenlager für Atomabfälle in Biblis ist vor knapp einer Woche ein Betonbehälter mit radioaktivem Müll abgestürzt. Es würden dort „bis zu drei Behälter übereinander gestapelt“, berichtet der Betreiber. Beim Anheben des obersten Behälters mit einem Gabelstapler sei dieser abgestürzt und beschädigt worden. Er sei aber dicht geblieben. Doch warum das Unglück passiert ist, ist laut Betreiber unklar.

Eine (kleine und schnelle) Lösung

Das Atommüll-Desaster ist angerichtet. Doch jedes Jahr produziert ein großer Meiler 26 Tonnen hochradioaktive Abfälle. Noch laufen sechs Atomkraftwerke in Deutschland. Sie könnten sofort und für immer abgeschaltet werden. Für die Versorgungssicherheit werden sie nicht gebraucht.

weiterlesen:

  • Planlose und gefährliche Zwischenlagerung
    04.09.2020 - Selbst wenn der aktuelle Suchprozess für ein Atommüll-Lager am Ende einen Standort benennt, an den der gesamte hochradioaktive Müll gebracht werden soll: Der Abfall wird sich noch sehr lange in unzureichend geschützten Zwischenlagerhallen befinden. Die Politik verschleppt das Problem.
  • Die Jahrhundert-Lager: Hochradioaktiver Müll
    Die Zwischenlagerung des hochradioaktiven Atommülls wird sehr viel länger dauern, als ursprünglich behauptet. Doch die Politik nimmt das Problem nicht ernst.

  • "Der Castor wird 100 werden"
    Atommüll-Experte Wolfgang Neumann über undichte Deckel, unsichere Hallen, untaugliche Prognosen und mögliche Kettenreaktionen im Innern von Castoren.

  • Dicke Wände
    Kein einziges Zwischenlager entspricht dem Stand von Wissenschaft und Technik. Neubauten sind unvermeidlich – zumal, wenn der Atommüll dort bis ins 22. Jahrhundert stehen soll.

  • CSD-Atommülldesaster
    13.08.2020 - Es ist schon viele Jahre her, da sorgte die Meldung, dass so genannte „CSD-Kokillen“ in das Zwischenlager Ahaus gebracht werden sollen, für Unmut. Die Geschichte um diese Atomtransporte ist ein Ausschnitt aus dem ganzen perspektivlosen Atommüll-Desaster, das immer teurer wird.

Quellen (Auszug): schleswig-holstein.de, ejz.de, bnn.de, hessenschau.de, castor-stoppen.de

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Jan Becker

Jan Becker hat jahrelang die Webseite www.contrAtom.de betrieben und täglich aktuelle Beiträge zur Atompolitik verfasst. Seit November 2014 schreibt der studierte Umweltwissenschaftler für .ausgestrahlt. Jan lebt mit seiner Familie im Wendland. Mit dem Protest gegen regelmäßig durch seine Heimatstadt Buchholz i.d.N. rollende Atommülltransporte begann sein Engagement gegen Atomenergie, es folgten die Teilnahme und Organisation zahlreicher Aktionen und Demonstrationen.

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