Selbst wenn der aktuelle Suchprozess für ein Atommüll-Lager am Ende einen Standort benennt, an den der gesamte hochradioaktive Müll gebracht werden soll: Der Abfall wird sich noch sehr lange in unzureichend geschützten Zwischenlagerhallen befinden. Die Politik verschleppt das Problem.
Eine neue Studie im Auftrag der Umweltorganisation BUND untermauert zahlreiche Kritikpunkte am bisherigen Umgang mit den strahlenden Abfällen. Die Situation der 16 deutschen Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle „ist weiterhin teils hoch problematisch“, heißt es im Fazit der kürzlich vorgestellten Ausarbeitung „Aktuelle Probleme und Gefahren bei deutschen Zwischenlagern für hoch-radioaktive Abfälle“. So existieren u.a. erst für 10 von 16 Lagern weitreichendere Sicherheitsstandards gegen Einwirkungen von außen – wie etwa Terrorangriffe.
Die Anordnung dieser Maßnahmen sind auf die Anschläge auf das World Trade Center zurückzuführen, die immerhin schon 19 Jahre her sind. Die Hallen in Jülich und Brunsbüttel haben ihre Betriebsgenehmigungen wegen sicherheitsrelevanter Defizite vor Jahren schon verloren. Atommüll steht in den Hallen trotzdem, per „Notverordnung“. Als „Lösungen“ dieser Probleme werden zweifelhafte „Schutzmauern“ vor die Hallen gebaut oder neue Genehmigungsverfahren für die alten Gebäude angestrengt.
Keine Untersuchungen von langfristiger Lagerung
Studienautorin Oda Becker hat das aktuelle Atommüll-Konzept der Bundesregierung ausgewertet. Die Genehmigungen der Zwischenlager sind auf 40 Jahre nach der ersten Einlagerung begrenzt und enden zwischen 2034 und 2047. Die Umlagerung der Castor-Behälter soll laut Regierungsplan „ab 2050“ mit der Inbetriebnahme eines Atommüll-Lagers beginnen und 2070 abgeschlossen sein.
Mal abgesehen davon, dass auch dieser Standortsuchprozess scheitern kann, sei dieser Zeitplan „völlig unrealistisch“, urteilt die Physikerin Becker. International zeichne sich „klar ab, dass in den meisten Ländern der Zeitbedarf zur Planung, Genehmigung und Errichtung eines Endlagers viel höher sein wird als ursprünglich vorgesehen“. Eine erste Einlagerung sei erst „in etwa 100 Jahren wahrscheinlich“. Für diese langfristige Lagerung des Atommülls gibt es keine belastbaren Untersuchungen. Betroffen davon sind alle Zwischenlager.
Echte Kontrolle nicht vorgesehen
Je länger der Atommüll zwischengelagert werden muss, desto älter werden Behälterkomponenten, was sich wiederum negativ auf die Sicherheit auswirkt. Im Zwischenlager Gorleben steht ein Castor-Behälter aus dem AKW Philippsburg, der schon im April 1995 (also vor 25 Jahren) dorthin gebracht wurde. Auch für diesen schon lange nicht mehr genutzten Behältertyp „CASTOR IIa“ fehlen Nachweise für das Verhalten der Materialien, die die Dichtheit für die erforderlichen langen Zeiträume gewährleisten sollen. Derzeit ist es in Deutschland nicht vorgeschrieben, den Zustand der gelagerten Brennstäbe umfassend zu überprüfen. Vorgesehen sind neben „Stichproben“ rechnerische Nachweise. „Nachschauen“ wäre allerdings auch hochproblematisch: Um einen Behälter zu öffnen um das tödlich strahlende Inventar zu inspizieren, bräuchte es eine „heiße Zelle“. Im zweiten „zentralen Zwischenlager“ Deutschlands, das sich im westfälischen Ahaus befindet, gibt es diese Möglichkeit gar nicht. In Gorleben könnte dazu die „Pilotkonditionierungsanlage“ dienen, doch diese Anlage war noch nie in Betrieb und die Betreiber wollen die 20 Jahre alte Anlage auch nicht mehr reaktivieren, sondern abbauen. Die AKW-Standorte bieten diese Option nur noch wenige Jahre, nämlich solange, bis sie abgerissen werden.
Dass rechnerische Kontrollen nicht ausreichen, hat die Öffentlichkeit in den letzten Jahren im Zusammenhang mit defekten schwach- und mittelaktiven Fässern erfahren. Die Betreiber fanden in zahlreichen Zwischenlagern demolierte Gebinde, von denen einige keinesfalls noch Jahrzehnte dicht geblieben wären. Viele Fässer waren nicht mal zugänglich in unterirdischen Kavernen gelagert, eine visuelle Kontrolle unmöglich.
Offenbar zweierlei Standards
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) verweist unterdessen darauf, dass bei der Genehmigung der Zwischenlager „Belastungen, die weit über die alltäglichen Einwirkungen hinausgehen“, wie etwa „der Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges“ berücksichtigt wurden. Nun liegen diese Verfahren, aus denen die juristisch nur schwer anfechtbaren Betriebsgenehmigungen resultieren, Jahrzehnte zurück und wurden unter völlig anderen Rahmenbedingungen durchgeführt, als es heute üblich ist. Mit einem gezielten Flugzeugabsturz etwa konnte 1981, als der Bau der Zwischenlagers in Gorleben erörtert wurde, niemand ernsthaft rechnen.
Zudem entlarvt sich die Beschwichtigung des Bundes mit dem Neubau eines Zwischenlagers am Standort Lubmin selbst: Die Wandstärke des monolithischen Bauwerks soll 1,80 Meter betragen. Zum Vergleich: Die erste Generation von Zwischenlagern für hochradioaktive Abfälle in den Transportbehälterlagern Ahaus und Gorleben weist Wand- und Deckstärken von 50 bzw. 20 Zentimetern auf.
Sorgfalt statt Eile!
Aus diesen zahlreichen Problemen könnte der deutliche Zeitdruck abgeleitet werden, ein Atommüll-Lager für die hochaktiven Abfälle zu finden. Genau das wird von der Politik auch propagiert („Entscheidungen müssen noch in dieser Legislaturperiode fallen“ / „Verantwortung gegenüber Folgegenerationen“ etc.) und – wie die Auseinandersetzung im laufenden Suchverfahren belegen - sogar praktiziert . Doch dieser Rückschluss ist völlig falsch, geht er doch in jedem Fall zu Lasten größtmöglicher Sicherheit. Er widerspricht auch eklatant einer breiten Beteiligung vieler Menschen, die in der Regel vor allem Zeit braucht.
„Das Zwischenlagerproblem darf aber auch nicht zu einer Beschleunigung der Atommülllagersuche auf Kosten von Sicherheit und Partizipation führen“, fordert daher auch der BUND im Fazit der Studie. Die Bundesregierung müsse ein „belastbares Zwischenlagerkonzept“, das transparent und mit Beteiligung der Öffentlichkeit erarbeitet wird, vorlegen.
Das Positionspapier „Zwischenlagerung hoch radioaktiver Abfälle“ ist im Rahmen der Atommüllkonferenz, einem regelmäßigen bundesweiten Treffen von Initiativen, Umweltverbänden und kritischen Wissenschaftler*innen, entstanden. - zum Positionspapier
Damit eine gesellschaftliche Verständigung über die offenen Fragen der Zwischenlagerung von hochradioaktivem Atommüll erfolgreich sein kann, haben Standort-Initiativen im Juni 2018 "Gelingensbedingungen" definiert. - zum Positionspapier
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Quellen (Auszug): bund.net, base.bund.de, energiezukunft.eu, bi-luechow-dannenberg.de, gorleben-archiv.de