Am 30. September veröffentlicht die Bundesgesellschaft für Endlagerung erstmals eine amtliche Karte, welche Gebiete sie bei der Standortsuche für ein tiefengeologisches Atommüll-Lager konkret in Betracht zieht. Klar ist schon jetzt: Es werden viele sein
Über eine Million geologische Datensätze wurden in den letzten drei Jahren von der „Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE)“ eingesammelt und ausgewertet. Klingt viel, täuscht aber darüber hinweg, dass es für viele Regionen in Deutschland kaum Daten gibt und viele weitere nicht in digitaler Form vorliegen und deshalb nicht in die Suche einbezogen wurden. Im mehrstufigen Auswahlverfahren steht nun ein wichtiger Schritt an: Aufgrund der Datenlage nimmt die BGE eine erste Auswahl vor und veröffentlicht diese am 30. September als „Zwischenbericht Teilgebiete“. Dann ist bekannt, über welchen Regionen das Damoklesschwert der Atommüll-Lagerung hängt. Gut zwei Wochen später, am 17./18. Oktober, also mitten in den Herbstferien, tagt in Kassel die Teilgebiete-Konferenz, ein Pseudo-Beteiligungsformat ohne Ergebniswirksamkeit.
Was ist der Zwischenbericht?
Die BGE muss im Zwischenbericht laut Standortauswahlgesetz (StandAG) die Gebiete benennen, die sich auf Basis der Anwendung der im Gesetz genannten Kriterien und ihrer Abwägung als günstig erweisen. Das wird also die erste amtliche Landkarte für die Standortsuche mit der Botschaft: Hier geht die Suche weiter.
Zudem muss der Bericht „sämtliche für die getroffene Auswahl entscheidungserheblichen Tatsachen und Erwägungen“ darstellen. Wobei: Wer definiert entscheidungserheblich? Und wie soll „sämtliche“ funktionieren, da das Geologiedatengesetz die Transparenz einschränkt und bestimmte Daten eben nicht öffentlich einsehbar und damit nachprüfbar sein werden?
Der Bericht muss auch die Bereiche auf der Karte nennen, die aufgrund nicht hinreichender geologischer Daten nicht eingeordnet werden können. Die BGE muss eine Empfehlung zum weiteren Umgang mit diesen Gebieten abgeben. Allerdings kann der Bundestag diese Regionen aus der Suche ausschließen.
Wie viele Teilgebiete im Bericht auftauchen werden, liegt ein Stück weit im Ermessen der BGE. Gerade bei der Anwendung der geologischen Abwägungskriterien bleibt viel Spielraum. Das Gesetz schreibt nicht bei allen Kriterien eindeutig vor, wo die Grenze zwischen „günstig“ und weniger günstig verläuft. Diese Grenze kann die BGE so festlegen, dass eine für sie politisch sinnvolle Zahl von Teilgebieten dabei herauskommt. Bisher sieht es danach aus, als ob im Zwischenbericht sehr viele Gebiete ausgewiesen werden. Die BGE selbst spricht von einer hohen zweistelligen Zahl. Manche Gebiete werden mehrere Landkreise umfassen, andere nur einen Durchmesser von wenigen Kilometern haben. Somit werden zahlreiche kreisfreie Städte und Kreise im Herbst mit der Standortsuche konfrontiert.
Die BGE hat angekündigt, eine umfangreiche „offizielle“ Fassung des Zwischenberichtes zu veröffentlichen und eine weitere Fassung, die den Anspruch verfolgt, allgemeinverständlich zu sein und die weniger als 100 Seiten umfassen soll.
Was ist die Teilgebiete-Konferenz?
Laut Gesetz dient die Konferenz dazu, dass die BGE den Zwischenbericht erläutert, dass dieser „erörtert“ wird und dass die Konferenz „Beratungsergebnisse“ erarbeitet, die sie dann wiederum der BGE übergibt. Vermutlich werden die Teilnehmenden aber auch über alle anderen Aspekte der Standortsuche sprechen wollen.
Den Kreis der Teilnehmer*innen beschreibt das StandAG folgendermaßen: „Teilnehmende Personen sind Bürgerinnen und Bürger, Vertreter der Gebietskörperschaften der (…) Teilgebiete, Vertreter gesellschaftlicher Organisationen sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.“ („Gebietskörperschaften“ sind Bundesländer, Landkreise, Städte und Gemeinden.) Das können also sehr viele Personen werden, da letztlich jede*r kommen kann.
Im Gesetz ist zudem festgelegt, dass sich die Konferenz nach der Übermittlung ihrer Ergebnisse an die BGE auflösen muss. Das Atommüll-Bundesamt (BaSE) organisiert die Veranstaltungen, beheimatet die Geschäftsstelle der Konferenz und beauftragt auch die Moderation. Wer schon einmal erlebt hat, welchen Einfluss Moderator*innen auf den Ablauf einer Konferenz haben können, kann ermessen, wie groß hier die Gestaltungsmacht der Behörde ist. Andererseits betont das BaSE, dass sich die Konferenz selbst verwalten soll, sich also etwa eine Geschäftsordnung gibt, eine Arbeitsstruktur und ein Arbeitsprogramm. Wie das bei einer großen Gruppe von einander Unbekannten innerhalb von wenigen Monaten klappen soll, wenn gleichzeitig ja die inhaltliche Arbeit im Vordergrund stehen sollte, ist schleierhaft. Noch ist auch völlig unklar, wie diese Großveranstaltung unter Corona-Bedingungen stattfinden kann.
Weitere Termine nach dem Auftakt im Oktober sind der 4. bis 7. Februar 2021 in Kassel und der 15. bis 18. April 2021 in Darmstadt. Möglicherweise gibt es noch einen vierten Termin vom 10. bis 13. Juni in Berlin. Die Teilnehmer*innen erhalten keinen Ausgleich für mögliche Verdienstausfälle, keine Übernachtungskosten und auch kein Geld für unabhängige fachliche Beratung.
Was passiert mit den Ergebnissen der Teilgebiete-Konferenz?
Laut Gesetz müssen sie von der BGE „berücksichtigt“ werden. Der Vorsitzende des Fördervereins Mediation im öffentlichen Bereich, Dieter Kostka, schreibt in seiner für .ausgestrahlt verfassten Expertise „Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Standortsuche“: „‚Berücksichtigen‘ bedeutet dabei allerdings nur, sie in irgendeiner Weise zu verarbeiten, das heißt, sie nicht unbesehen völlig zu ignorieren. Sie bewusst zu verwerfen, reicht gegebenenfalls vollkommen aus, um der Berücksichtigungspflicht Genüge zu tun.“ Dazu kommt: Die BGE wartet nicht auf die Ergebnisse der Konferenz, sondern arbeitet parallel weiter am nächsten Auswahlschritt, denn aus den Teilgebieten muss sie die Regionen für die übertägige Erkundung ermitteln, ohne schon zu wissen, ob es berechtigte Zweifel an der Auswahl der Teilgebiete gibt.
Schrumpfende Lesezeit nimmt Zivilgesellschaft jede Chance
2019 hatte das Atommüll-Bundesamt noch verkündet, dass die erste Konferenz im Januar 2021 stattfinden soll. Der Zwischenbericht war von der BGE für das dritte Quartal 2020 angekündigt worden. So sollte also zwischen Veröffentlichung und Diskussion des Berichts eine „Lesezeit“ von über drei Monaten liegen, in der die Betroffenen die Möglichkeit hätten, sich mithilfe von Fachleuten den Bericht zu erschließen, zu verstehen und kritisch zu bewerten.
Als dann im März 2020 Corona das öffentliche Leben in Deutschland lahmlegte, forderte etwa der BUND eine Verschiebung der Konferenz, weil unter Pandemie-Bedingungen sowohl die zivilgesellschaftliche Vorbereitung als auch die Veranstaltung selbst nicht vorstellbar sind. Stattdessen legte das Bundesamt den Termin für die erste Konferenz nicht nach hinten, sondern nach vorne auf den 17./18. Oktober 2020. Die „Lesezeit“ schrumpfte damit also von über drei Monaten auf gut zwei Wochen.
Im Juni erklärten dann sowohl BaSE als auch BGE, dass der Bericht sogar erst auf der Konferenz selbst veröffentlicht werden würde. Damit wäre die „Lesezeit“ bei genau null angekommen. Schließlich wurde die Veröffentlichung dann doch auf den 30. September terminiert. Doch eine adäquate Vorbereitung, am besten mit fachlicher Beratung durch unabhängige Expert*innen, ist innerhalb von zwei Wochen nicht zu machen.
So bleibt die Frage im Raum, ob es überhaupt Sinn macht, sich an einem Pseudo-Beteiligungsformat mit denkbar schlechten Rahmenbedingungen zu beteiligen, bei dem nichts ausgerichtet werden kann und dies auch gar nicht gewünscht ist. Schließlich kann die BGE die Ergebnisse der Teilgebiete-Konferenz einfach als unbegründet zurückweisen.
weiterlesen:
- Ist Deine Region betroffen? Karte "Potentielle Standorte"
- Fragen und Antworten - Die wichtigsten Fragen und Antworten zur langfristigen Lagerung von hochradioaktivem Atommüll.
- weiterführende Informationen im Infoportal Standortsuche
- Mehr über die Rolle der "Bundesgesellschaft für Endlagerung" im Artikel "Fehlende Einsicht"