Wenige Tage nachdem das zuständige Bundesamt neue Brennstofflieferungen an ausländische Atomkraftwerke genehmigt hat, rollen offenbar die ersten Atomtransporte. Aktivist*innen antworten mit Protest gegen die „deutsche Beihilfe zum Weiterbetrieb maroder Meiler“.
Seit über 40 Jahren wird in der Lingener Brennelementfabrik Nuklearbrennstoff für Atomkraftwerke in aller Welt hergestellt. Zu den Kunden gehören zum Beispiel die wegen Rissen in den Reaktorbehältern umstrittenen belgischen Meiler in Doel oder Altmeiler in Frankreich, deren „Sicherheit“ selbst von der Bundesregierung kritisch bewertet wird. Anfang März hatte das belgische Verfassungsgericht ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes bestätigt, welches besagt, dass die erteilte Laufzeitverlängerung für Doel nicht rechtens sei. Weil die Meiler also de facto illegal laufen, legten Atomkraftgegner*innen Widerspruch gegen die Transportgenehmigungen ein.
„Die Ausfuhrgenehmigung nach Doel hätte nicht erteilt werden dürfen“, unterstrich die Juristin Cornelia Ziehm in einem Rechtsgutachten.
Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) hat vor wenigen Tagen weitere Anträge zum Transport von unbestrahlten Brennelementen aus der Brennelemente-Fabrik genehmigt. Ziel des Brennstoffs sind wieder das belgische Doel und verschiedene französische AKW. Vom BASE heißt es dazu: „Werden alle Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt, muss das BASE die Genehmigung erteilen.“ Ziehm widerspricht in ihrem Gutachten: Werden „Schutzgüter“ in Deutschland durch das Exportgut gefährdet, dann darf die Genehmigung nicht erteilt werden.
Vor der Anlage beobachteten Aktivist*innen jetzt allerdings LKW, deren Ziel nach Auskunft der Fahrer „Holland“ sei. In den Niederlanden befindet sich das AKW Borselle – das aber auf den Genehmigungslisten des Bundesumweltministeriums als auch der BASE nicht zu finden ist.
Deutschland billigt den Weiterbetrieb der Meiler
Die Produktion von Brennelementen ist in dem Lingener Werk eingebrochen, im Juni wurden „nur“ zwei Brennelemente ausgeliefert. Ursache dafür ist aktuell mit Sicherheit Corona, doch grundsätzlich handelt es sich um einen Trend, haben Atomkraftgegner*innen recherchiert. Dennoch bleibt die Anzahl an Brennstofftransporten, interessanterweise bei deutlich abnehmender Anzahl an Transportgenehmigungen, grundsätzlich sehr hoch (2019: 452, 2018: 466, 2017: 436). Dabei handelt es sich hauptsächlich um Exporte (2019: 203) bzw. 157 Transporte, die „nur“ deutsche Straßen für den Transit nutzten. Mit der Billigung dieser Transporte unterstützt Deutschland den Weiterbetrieb von alten, maroden Meilern in unseren Nachbarländern.
„Atomkraft ist brandgefährlich“
Anders als in einem Atomkraftwerk kann es in einer Brennelementfabrik nicht zu einem Super-GAU kommen, der ganze Landstriche verseucht. Dennoch bedeutet das Hantieren mit Kernbrennstoffen immer auch Risiko. „Atomkraft ist brandgefährlich“ stand auf dem Transparent, mit dem eine Handvoll Atomkraftgegner*innen am Donnerstagmorgen die Einfahrt der Brennelementfabrik Lingen kurzzeitig blockierten. Sie erinnern damit an den wohl schwersten Störfall seit vielen Jahren, der sich Ende 2018 in der Anlage ereignete. In einem Labor kam es zu einer Explosion. Uran wurde freigesetzt – konnte aber „nicht wiedergefunden werden“. Nach dem Brand folgten Erklärungsversuche des französischen Betreibers, nur häppchenweise kamen Informationen an die Öffentlichkeit. Wegen „möglicher Verunreinigung und unerlaubten Umgangs mit radioaktiven Stoffen“ zeigten Atomkraftgegner*innen den Betreiber der Brennelementfabrik daraufhin an.
Aktivist*innen vor Gericht
Weil sie nach dem Störfall gemeinsam mit anderen die Zufahrt zum Gelände der Brennelementfabrik blockierten, müssen sich aktuell drei Aktivist*innen vor Gericht verantworten. Am 21. Januar 2019 waren sog. Tripods in der Einfahrt aufgebaut worden und so „ein Zulieferer mit Gewalt an der Weiterfahrt“ gehindert worden, heißt es von Seiten der Staatsanwaltschaft Osnabrück. Im März wurde bereits die erste von insgesamt 16 Aktivist*innen vom Vorwurf der „Nötigung“ freigesprochen, weil selbst die Polizei keinerlei „Gewalt“ feststellen konnte.
„Wir werden so lange wieder kommen, bis die Anlage endgültig stillgelegt ist“, kündigten die Aktivist*innen damals an.
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AKW-Brennstoff aus Deutschland? Fehlanzeige
10.07.2020 - In Lingen befindet sich Deutschlands einzige Fabrik zur Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke. Beliefert werden zahlreiche Meiler in Europa. Doch hergestellt wird in den letzten Monaten fast nichts. -
Widerspruch gegen Brennstoffexporte
24.04.2020 - Einen nächsten juristischen Schritt sind jetzt Atomkraftgegner*innen aus dem Münsterland gegangen: Weil die Bundesregierung den Export von deutschem Brennstoff an grenznahe marode Meiler nicht unterbindet, legten sie nun offiziellen Widerspruch dagegen ein.
Quellen (Auszug): base.bund.de, nirgendwo.info, contratom.de