Mit einer Protest-Mahnwache haben Aktivist*innen in Ahaus auf Hinweise reagiert, dass dieses Jahr möglicherweise noch ein Atommülltransport in das dortige Zwischenlager rollen könnte. Die Behälter stammen aus Garching und ihr Inhalt ist ein „problematischer Sonderfall“.
Der Forschungsreaktor FRM-II in Garching steht seit März still, Anfangs wegen der Corona-Pandemie, dann weil es einen Störfall gab, bei dem unzulässig viel Radioaktivität in die Umwelt entwichen ist. Es ist unklar, ob und wann der Betrieb wieder aufgenommen wird. Bekannt geworden ist kürzlich nämlich auch, dass der bisher gern betonte und für die umstrittene Errichtung als Argument angeführter „medizinische Nutzen“ für Krebs-Therapien gar nicht gegeben ist. Der Meiler dient fast ausschließlich der Forschung und Industrie.
In die Schlagzeilen kommt der FRM-II immer wieder, weil er mit hochangereichertem Uran betrieben wird. Relativ leicht ist damit eine Atombombe herzustellen, warnen Kritiker*innen. Internationale Abrüstungsbemühungen werden unterwandert. Der Betreiber wurde bei der Inbetriebnahme 2004 zur Umrüstung auf niedrig angereicherten Brennstoff bis Ende 2010 verpflichtet, doch diese Auflage wird seitdem ignoriert. Der Betrieb ist deshalb „illegal“, attestiert ein Rechtsgutachten. Doch die bayerische Atomaufsicht bleibt tatenlos.
Brennelementelagerbecken ist voll
Doch Garching hat noch ein Problem. Das Becken, in dem verbrauchte Brennelemente lagern, ist schon länger fast voll. Schon 2018 hieß es, dass kurzfristig Platz geschaffen werden müsse. Dann gab es jedoch Lieferschwierigkeiten beim frischen Brennstoff und der Reaktor stand zwischen März und Dezember 2019 still. Im März 2020 erfolgte dann wieder die Abschaltung, die bis heute andauert. Insofern entsteht derzeit auch kein neuer Atommüll.
Der Betreiber des Forschungsreaktors plant, den Atommüll von Bayern ins 700 Kilometer entfernte nordrhein-westfälische Zwischenlager Ahaus bringen zu lassen. Es dreht sich um siebzehn Castor-Transporte per LKW mit je fünf abgebrannte Brennelementen.
Dieser Atommüll ist wegen des hohen Anreicherungsgrades jedoch ein „Sonderfall“. Um ihn gemäß der aktuellen Pläne der Bundesregierung wie sämtlichen anderen Atommüll langfristig an einem unterirdischen Ort zu lagern, muss er konditioniert werden. Damit über Jahrtausende eine „Unterkritikalität“ gewährleistet ist, soll abgereichertes Uran zugemischt werden, empfiehlt selbst die Reaktor-Sicherheits-Kommission. In Ahaus fehlen allerdings jegliche Voraussetzung für diese Maßnahme. Kritiker*innen fordern daher, dass der Betreiber in Garching „seiner Verantwortung nachkommen muss“ - und warnen gleichzeitig vor einem illegalen Atommüllexport ins Ausland. Der Abtransport nach Ahaus könnte allerdings genau dafür der erste Schritt sein.
„Anstelle von riskanten Transporten nach Ahaus wäre es besser, den Müll direkt in Garching zu entschärfen. Die Technische Universität München muss als Betreiberin jetzt ein Verfahren zur Uran-Verdünnung entwickeln und ein sicheres Zwischenlager in Garching bauen“, fordert Dr. Hauke Doerk vom Umweltinstitut München im März 2019.
Erster Castor-Transport noch dieses Jahr?
Doch trotz der umfassenden Probleme wird an den Transportplänen nach Informationen der Bürgerinitiative „Kein Castor nach Ahaus“ festgehalten. „Unbedingt noch in diesen Jahr“ wolle Bayern den hochangereicherten Atommüll loswerden, hieß es in einem Aufruf zu einer Protestmahnwache, die am vergangenen Wochenende in Ahaus stattfand. Die Anwälte der Betreiber würden noch im 3. Quartal 2020 die Aufbewahrungsgenehmigung vom „Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung“ (BASE) erwarten, heißt es nach Informationen der Aktivist*innen in einer Antwort des Betreibers an das Oberverwaltungsgericht. Die zusätzlich erforderliche Beförderungsgenehmigung werde „aller Voraussicht nach im 2. Halbjahr 2020 erwartet“, so dass „noch im 4. Quartal 2020“ der erste CASTOR vom Typ MTR3 nach Ahaus rollen könnte.
„Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir im Herbst zahlreich auf die Straße gehen, um zu protestieren“, kündigt Heiner Möllers von der BI Ahaus an.
Dass diese Proteste groß ausfallen könnten, darauf weist eine erste Demonstration hin, die im März 2019 stattfand. Als damals erste Atommüll-Anlieferungen (nicht nur aus Garching) immer konkreter wurden, gingen 1.400 Menschen auf die Straße, so viele wie seit 20 Jahren nicht. Den Protesthöhepunkt erlebte Ahaus 1998, als mehr als 20.000 Polizist*innen einem Castor-Transport den Weg durch tausende Atomkraftgegner*innen bahnen mussten.
Der FRM-II in Garching hat also zahlreiche Probleme: sehr problematischen Atommüll und die juristische Bewertung, dass der Betrieb illegal ist. Die öffentliche Akzeptanz fehlt nicht erst seit Bekanntwerden des fehlenden medizinischen Nutzen – umstrittene Castortransporte mit massiver Polizeibegleitung fördern diese nicht. Außerdem drängt sich auf, dass sich der Meiler wegen der langen Stillstandszeiten gar nicht mehr rechnen kann. Doch statt einen Schlussstrich zu ziehen, warnt der Betreiber vor einem „Abwandern der Wissenschaft aus Deutschland“.
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Quellen (Auszug): bi-ahaus.de, muensterlandzeitung.de