Herr Kretschmann: Sicherheit ist nicht verhandelbar, übernehmen Sie!

26.06.2020 | Matthias Weyland

Wahren Sie die Atomaufsicht und legen Sie den Pannen-Reaktor Neckarwestheim II jetzt still

AKW Neckarwestheim
Foto: Daniel Meier-Gerber / EnBW
AKW Neckarwestheim

Herr Kretschmann, erinnern Sie sich an das Grüne Versprechen für mehr Sicherheit? Es war der Sommer 2011, quer durchs Land tobte ein erbitterter Streit um die Atomkraft. Die Anti-Atom-Bewegung, darunter auch viele Grüne sowie Anhänger der anderen Parteien, war seit Monaten ohne Pause im Einsatz. Der Super-GAU von Fukushima hatte gerade erst die Weltöffentlichkeit schockiert, die Bilder dazu waren noch frisch ins Bewusstsein gebrannt. Und die Grünen stimmten auf Bundesebene einem „Kompromiss“ zum Betriebsende der deutschen AKW zu, der vielen in der Anti-Atom-Bewegung wie auch in Ihrer Partei nicht schnell genug ging.

Damals im Juni 2011 verabschiedeten die Grünen auf ihrem Sonderparteitag zum so genannten Atomausstieg daher begleitend weitere Beschlüsse. Es klang fast wie ein Versprechen zum Einsatz für mehr Sicherheit:

„Fukushima hat gezeigt, dass ein Betrieb von Atomkraftwerken überhaupt nur unter schärfster Einhaltung der geforderte Sicherheitsauflagen verantwortbar ist. Die Risikovorsorge ist diesen Erkenntnissen, wie dem jeweils erreichten Stand von Wissenschaft und Technik so schnell wie möglich anzupassen. Fragen der betriebswirtschaftlichen Rentabilität sind demgegenüber eindeutig nachrangig. Der Anspruch der Bevölkerung auf Sicherheit ist höher zu werten als der Anspruch der Betreiber auf „Gewinn“.“

Ein weiterer Beschluss lautete: „Wir Grüne werden deshalb zusammen mit Friedens-, Umwelt- und Anti-Atom-Bewegungen weiter für einen schnellstmöglichen Atomausstieg in Deutschland und weltweit eintreten.“ Und nicht nur das: „Wir werden auch weiterhin mit aller Kraft dafür arbeiten, dass das letzte Atomkraftwerk so bald wie möglich endgültig vom Netz geht, und zwar deutlich vor dem von der Bundesregierung geplanten Jahr 2022.“

Nicht erst jetzt, aber spätestens jetzt, im Frühsommer 2020, fast auf den Tag genau neun Jahre nach diesen Versprechen, ist die Zeit gekommen danach zu handeln. Im AKW Neckarwestheim II ist es zu einer nicht hinnehmbaren Häufung von Defekten gekommen, die die Wiederinbetriebnahme zwingend ausschließt. Und zwar nicht nur nach bestem Gewissen (das wäre schon länger der Fall gewesen), sondern weil der Weiterbetrieb gegen geltendes Recht verstößt.

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Der Atomreaktor hat den kommerziellen Leistungsbetrieb am 15. April 1989 aufgenommen. Die vier Dampferzeuger des AKW sind somit durch den über 30 Jahre langen Betrieb geschwächt. Nach erstmaligen Auffälligkeiten 2017 wurden bei der Revision 2018 Wanddickenschwächungen in Heizrohren von zwei der vier Dampferzeugern ausgemacht. Insgesamt wurden an 101 DE-Heizrohren Wanddickenschwächungen festgestellt, die unterschiedlich stark ausgeprägt waren. Die Schwächung reichte bis zu 91 Prozent, die verbleibende Wandstärke betrug an diesem DE-Heizrohr nur noch 0,1 mm! Trotz der Einleitung von Maßnahmen zur Reduzierung des Schadens wurden bei der Revision im Jahr 2019 weitere 209 Riss-Befunde an insgesamt 191 Heizrohren an allen vier Dampferzeugern festgestellt. Diese sollen nach Angaben des AKW-Betreibers, der landeseigenen EnBW, etwa zur Hälfte bei der Revision im Jahr 2018 übersehen worden sein und zur anderen Hälfte im Laufe des neunmonatigen Betriebszyklus 2018/2019 aufgetreten sein.

Trotz aller Gegenmaßnahmen seit dem offiziellen Feststellen der Risse ist weiterhin mit neuen Rissen und mit Risswachstum in den Dampferzeuger-Heizrohre zu rechnen. Das Auftreten eines wanddurchdringenden Risses ist nicht sicher auszuschließen. Der Betrieb des AKW Neckarwestheim II mit defekten Dampferzeugern ist dem Umweltministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde allerspätestens seit der Revision im Jahr 2018 bekannt. Er verstößt gegen Ziffer 2.1 der Sicherheitsanforderungen an Kernkraftwerke (SiAnf) und ist daher unzulässig.

Herr Ministerpräsident Kretschmann. Seitens .ausgestrahlt haben wir, genauso wie andere engagierte Akteure, wiederholt das Gespräch mit der die Atomaufsicht gesucht und auf die Situation aufmerksam gemacht. Leider ohne dass dies zu ausreichenden Reaktionen geführt hätte. Daher haben wir jetzt den Austausch der Dampferzeuger sowie hilfsweise die Stilllegung des AKW beantragt. Erinnern Sie sich an das Grüne Versprechen. Aufgrund der defekten Dampferzeuger ist von einer erheblichen Gefährdung der Beschäftigten und der Bevölkerung in Baden-Württemberg bei Aufrechterhaltung des AKW-Betriebes auszugehen. Nehmen Sie jetzt die Atomaufsicht wahr, und legen Sie das defekte Pannen-AKW Neckarwestheim II endgültig still.

Weitere Informationen:

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Matthias Weyland

Matthias Weyland, Jahrgang 1979, ist seit 2006 bei .ausgestrahlt dabei. Beim BUND Baden-Württemberg, für den er bis Ende 2012 arbeitete, kämpfte er unter anderem für die Energiewende und gegen den Bau eines weiteren klimaschädlichen Kohlekraftwerks in Mannheim. Seit 2013 arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Umweltbundesamt.

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