Mit einer zivilrechtlichen Haftpflichtregelung will Luxemburg sich gegen die Folgen eines schweren Atomunfalls schützen. Das Land hat selbst keine eigenen Atomkraftwerke, will so aber die AKW-Betreiber in den angrenzenden Ländern in die Pflicht nehmen.
Mit großer Mehrheit beschloss das Luxemburgische Parlament kürzlich eine Haftpflichtregelung, die es in der Form bisher nur in Österreich gibt. Das Gesetz sieht vor, dass Einwohner*innen Luxemburgs im Falle eines schweren Unfalls in einer Atomanlage in einem Nachbarland den erlittenen Schaden vor Luxemburger Gerichten einklagen können. Die Höhe der Klage sei unbegrenzt und die Verjährungsfrist beträgt 30 Jahre. Auch spät einsetzende medizinische Auswirkungen oder Folgen für Natur, Boden und Wasser können berücksichtigt werden. Dabei muss der Kläger nicht den Beweis erbringen, dass der Atomkraftwerksbetreiber einen Fehler begangen hat. Europäische Verordnungen würden garantieren, dass die Urteile der luxemburgischen Gerichte dann auch Rechtskraft in den Nachbarländern hätten, meint Berichterstatter François Benoy, Mitglied der Abgeordenetenkammer.
Bestehende Verträge böten keinen ausreichenden Schutz bei einem schweren Atomunfall, so Benoy. Die Havarien in Tschernobyl und Fukushima ziehen gigantische Kosten nach sich. Bei einem ähnlich schweren Vorfall würden laut Benoy in Frankreich mit 5.800 Milliarden, in Deutschland mit 6.000 Milliarden Euro Folgekosten gerechnet. Die vorgesehene Haftung habe allerdings Obergrenzen von 700 Millionen in Frankreich, von 1,5 Milliarden in Belgien und 2,5 Milliarden Euro in Deutschland. „Bürger und Betriebe würden also auf Kosten sitzen bleiben“, warnt Benoy.
Dieser politische Vorstoß könnte künftige Atomprojekte deutlich komplizierter und teurer machen. Nachbarländer müssten in Zukunft „stets höhere Kosten und Versicherungssummen mit einkalkulieren, wenn sie in der Grenzregion zu Luxemburg die Lebensdauer von Atommeilern verlängern oder Atommülllager bauen wollten“, so Berichterstatter Benoy.
Kritiker*innen zweifeln allerdings an der realen Umsetzung der Urteile in den Nachbarländern. Doch immerhin wird die dramatische Unterversicherung der AKW für einen schweren Unfall erneut öffentlich thematisiert.
Anti-Atom-Protest hat Tradition
Seit den 70er Jahren wird in Luxemburg gegen Atomenergie protestiert. Pläne im eigenen Land ein AKW zu bauen, wurden schnell verworfen. Besonders die nahen AKW Cattenom in Frankreich oder Tihange in Belgien werden immer wieder in den Fokus von Aktionen gerückt. Im Juni 1986 demonstrierten im Schatten der Tschernobyl-Katastrophe 30.000 Menschen im französischen Koenigsmacker gegen die Inbetriebnahme des AKW Cattenom, viele kamen auch aus dem angrenzenden Luxemburg. Mitte September 1986 beteiligten sich 8.000 Menschen im Dreiländereck zwischen Schengen und Perl an einer Menschenkette.
Nach dem GAU von Fukushima unterstrichen Aktivist*innen 2012 ihre kritische Haltung und sammelten 15.000 Unterschriften. Diese „Anti-Atom-Petition“ des Luxemburger „Aktionskomitees gegen Atomkraft“ forderte eine endgültige Schließung der Atomkraftwerke rund um Luxemburg, eine Anti-Atom-Politik in der EU sowie ein nachhaltiges Energiekonzept für Luxemburg.
2015 zogen zudem Luxemburg und Österreich vor den Europäischen Gerichtshof, um staatliche Beihilfen für den Bau eines AKW in Großbritannien zu verhindern. 2016 bot Luxemburg Frankreich Geld für die Abschaltung des AKW Cattenom an. Sollte es ein Problem in der „tickenden Zeitbombe“ geben, dann drohe das Großherzogtum „von der Landkarte gewischt zu werden“, warnte Ministerpräsident Xavier Bettel.
Eigentlich vorbildlich. Doch Luxemburg macht sich in seiner kritische Haltung unglaubwürdig: Das Land importiert ca. 10 Prozent seines Stroms aus Atomkraftwerken und exportiert seinen Atommüll aus Industrie, Medizin und Forschung nach Belgien.
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Quellen (Auszüge): wort.lu, journal.lu, tageblatt.lu, wienerzeitung.at